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Eine Farce?

20. November 2001

- Das russisch-tschetschenische Treffen in Moskau brachte "praktisch keine Ergebnisse"

https://p.dw.com/p/1OT7

Moskau, 19.11.2001, 1600 GMT, NTW, russ.

Vor einer Stunde hat im Sitz von INTERFAX in Moskau eine Pressekonferenz des Beauftragten des Präsidenten im südlichen föderalen Bezirk, (Wiktor) Kasanzew, und des Tshetschenien-Führers (Achmad) Kadyrow begonnen. Bis dahin hatten weder der Kreml noch die russische Regierung das gestrige Treffen des Gesandten Maschadows mit dem Beauftragten des russischen Präsidenten auf dem Moskauer Flughafen Scheremetewo-2 kommentiert. (...)

Maschadows Gesandter Achmed Sakajew ist mit dem Ergebnis zufrieden. Einzelheiten über sein Treffen mit Kasanzew gab Sakajew in Istanbul, wohin er aus Moskau zurückgekehrt war, jedoch nicht bekannt. Maschadows Gesandter rechnet mit der Fortsetzung des Dialogs mit Präsident Putins Bevollmächtigtem. Er sagte: "Wir sind mit dem Treffen sehr zufrieden. Wir gehen davon aus, dass diese Gespräche fortgesetzt und von Erfolg gekrönt werden." Das Ziel dieser Gespräche sei es, den Krieg in Tschetschenien zu beenden.

Wiktor Kasanzew hatte sich bis heute Abend jedes Kommentars enthalten. Am Nachmittag traf der Chef der tschetschenischen Administration Kadyrow in Moskau ein und es wurde beschlossen, die Begegnung mit Journalisten, die sich vergebens bemüht hatten, Einzelheiten über das gestrige Treffen zu erfahren, nicht auf die lange Bank zu schieben. Wir haben eine Satellitenverbindung zur Nachrichtenagentur INTERFAX und unser Korrespondent Aleksej Poborzow berichtet jetzt live für das Programm "Sewodnja". (...):

"(...) Sowohl Achmad Kadyrow als auch Wiktor Kasanzew sind der Meinung, dass das Treffen praktisch keine Ergebnisse gebracht hat. Das Wichtigste, was Wiktor Kasanzew den Journalisten sagen wollte, ist, dass bei dem Treffen in Scheremetewo-2 nichts Besonderes gesagt worden ist. Man habe in den zwei Stunden viel über die Notwendigkeit theoretisiert, dass in der Tschetschenischen Republik wieder der Frieden einkehren müsse, wie das jedoch geschehen soll und ob die tschetschenischen Kämpfer bereit sind, die Waffen niederzulegen und zum zivilen Leben überzugehen, wie Präsident Putin vorgeschlagen hat, darüber wurde nicht gesprochen. Hören Sie, was Kasanzew zu sagen hat:

'Es kann die folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie an praktische Schritte denken. Die Absicht ist da. Der Wille ist vorhanden, aber wenn es um praktische Maßnahmen geht, dann sind sie nicht bereit. Einige Leute werden sich wahrscheinlich fragen, ob solche Treffen wirklich erforderlich sind. Treffen sind notwendig, um in der Tschetschenischen Republik Leben zu retten und die Kämpfe, die keiner braucht, zu beenden. Wenn aber nur theoretisiert wird, dann sind die Begegnungen wohl kaum nötig und machen keinen Sinn.'

Achmad Kadyrows Haltung hat sich kaum geändert. Er ist immer noch der Ansicht, dass Gespräche sinnlos sind, insbesondere mit den Leuten, mit denen man sich derzeit zu einigen versuche. Mehr noch - Kadyrow glaubt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt Gespräche nicht möglich sind, da Präsident Maschadow unter dem Einfluss einflussreicher Feldkommandeure stehe - Bassajews und Chattabs. Kadyrow sagte dazu folgendes:

'Bassajew hat die Befehle Maschadows nie akzeptiert, und heute schon gar nicht. Sie sind sich nicht einig. Sie sind völlig zerstritten. (...) Hinter Maschadow stehen drei oder vier Leute, die ihn von einem Ort zum anderen schleppen, um ihn zu verstecken. Das sind die Truppen, die er hat.

Und Sakajew kam aus der Türkei. Wenn er gegen Russland kämpft, wie die Leute sagen, wenn er ein Feldkommandeur ist, was tut er dann in der Türkei? Ist sein Platz denn nicht in Tschetschenien? "Eine andere Frage: Was für ein Kämpfer, was für ein Befehlshaber ist er? Wen befehligt er?'" (...) (TS)

NTW, russ., 19.11.2001, 1900 GMT

Welche konkreten Schritte kann Aslan Maschadows engste Umgebung vorschlagen? Diese Frage richtete ich an Achmad Sakajew, Maschadows Gesandten, mit dem wir telefonisch in Istanbul verbunden sind.

Hallo Achmed! Was können Sie als Antwort auf die Erklärung Wiktor Kasanzews vorschlagen?

Sakajew: Hallo, guten Abend! Zwei Jahre lang sind Maschadow und seine Waffenbrüder als blutrünstige Kämpfer dargestellt worden, aber Aslan Maschadows Reaktion auf Putins Erklärung und mein gestriges (18.11.) Treffen mit Kasanzew beweisen, dass uns der Frieden sehr am Herzen liegt.

Frage: Kasanzew sagte heute, er sei mit dem Gespräch, bei dem nur theoretisiert worden sei, nicht zufrieden. Er brauche von Maschadow konkrete Vorschläge, praktische Schritte. Was können Sie anbieten?

Sakajew: Putins Erklärung vom 24. September hat die russische Öffentlichkeit unterschiedlich aufgenommen: Die einen sehen sie als Ultimatum, die anderen als Vorschlag zur Aufnahme des Friedensdialogs. Mit der Zeit hat sich der erste Standpunkt durchgesetzt, obwohl es auch heute noch einige gibt, die sich ein Leben ohne Ultimaten nicht vorstellen können. Wenn die Tschetschenen Putins viel beachtete Erklärung falsch verstehen, dann tröstet es uns, dass zu denen, die sie missverstehen, auch US-Präsident George Busch zählt, der während des letzten Besuchs Putins in Amerika dem russischen Präsidenten eben wegen dessen Dialogs mit den Tschetschenen Rückendeckung gegeben hat.

Frage: Achmed, entschuldigen Sie, aber Sie antworten einfach nicht auf die Frage.

Sakajew: Wenn es darum geht, was wir anzubieten haben - nun, wir haben den Krieg nicht angefangen. Wir können immer nur betonen, dass wir eine friedliche Lösung des Konflikts wollen. Ich habe soeben Kadyrow gehört. Ich glaube, in jedem Krieg gibt es Befürworter und Gegner und unser Standpunkt, unsere Bereitschaft und mein persönliches Treffen mit Kasanzew sind ein Beweis dafür, dass wir den Dialog und den Frieden wollen. (...)

Frage: Ich habe eine Frage an Sie. Sie waren direkt an dem Gespräch beteiligt. Welche Forderungen richtete Kasanzew an Sie? Worüber sprachen Sie?

Sakajew: Beginnen wir damit, dass keiner Forderungen an den anderen stellte. Es war ein Dialog, und ich glaube, es war ein konstruktiver Dialog. Wir sprachen über Maßnahmen, über Möglichkeiten, die Militäraktion in der Tschetschenischen Republik so schnell wie möglich zu beenden. Ob dies dem einen oder anderen gefällt, ist eine andere Frage. Tatsache ist, dass wir uns für das, was in der Republik geschieht, gewissermaßen verantwortlich fühlen, und wenn die Medien nach wie vor uns die ganze Verantwortung dafür geben und erklären, wir wollten den Frieden nicht, dann sagen wir noch einmal: Hört zu! Was geschieht heute in der Republik? Es gibt Hunderttausende von Flüchtlingen, die einen weiteren Winter unter inhumanen Umständen verbringen müssen, von den Menschen in der Republik selbst ganz zu schweigen. Sie werden tagtäglich Repressalien ausgesetzt. Aber heute, vor dem Hintergrund des geplanten Friedensdialogs, sind Äußerungen so genannter Politiker oder Politikergruppen zu hören, die es nicht ertragen können, dass dieser endlosen Gesetzlosigkeit in Tschetschenien ein Ende bereitet werden kann und dass die Herrschaft des Gesetzes wiederhergestellt werden kann.

Frage: O.k., Achmed. Ich habe eine Frage an Sie.

Sakajew: Die föderalen Truppen hat man heute nicht unter Kontrolle. Unter Kontrolle sind sie dort, wo sie konzentriert auftreten. Und die Söldner, die Russland dort hingeschickt hat, quälen die Menschen und machen sich über sie lustig.

Frage: Achmed, wir wollen uns jetzt nicht auf politische Statements konzentrieren, sondern etwas näher auf praktische Fragen eingehen. Welchen Einfluss hat Aslan Maschadow zur Zeit tatsächlich auf die Rebellen? Diese Frage wird häufig gestellt, und viele Leute meinen, er habe die Lage gegenwärtig nicht unter Kontrolle, er habe weder Bassajew noch Chattab unter Kontrolle. Wieviel Macht hat er wirklich?

Sakajew: Lassen Sie uns damit beginnen, dass Maschadow der Präsident der Tschetschenischen Republik ist. Er ist legal gewählt und von der russischen und internationalen Öffentlichkeit anerkannt worden. Ich traf Kasanzew nicht als Sakajew, sondern im Auftrag von Präsident Maschadow.

Frage: O.k., aber wen kontrolliert er?

Antwort: Er hat mich damit beauftragt.

Frage: Achmed, wen kontrolliert Maschadow? Wen kontrolliert Maschadow? Das möchte ich von Ihnen wissen.

Sakajew: Maschadow hat mehr Kontrolle über die Republik als die föderalen Truppen. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass Maschadow über mehr Kontrolle verfügt als die russischen Truppen. Und wenn heute konkrete Schritte erforderlich sind, dann kann darüber nicht in der Presse diskutiert werden. Ich habe einige konkrete Vorschläge mitgebracht. Diese Vorschläge werden Präsident Putin unterbreitet werden und die weitere Entwicklung des Dialogs wird einzig und allein vom Standpunkt der russischen Führung abhängen. (...) (TS)