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Eine fatale Radikalisierung

Mona Naggar16. Januar 2014

Erneut gab es einen Anschlag im Libanon auf einen schiitischen Ort. Vor zwei Wochen hatte sich bereits ein junger Sunnit in einem schiitischen Stadtteil Beiruts in die Luft gesprengt. Welche Beweggründe hatte er?

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Anschlag im Libanon in Hermel (Foto: 16.01.2014
Im Nordosten des Libanon kam es wieder zu einem Anschlag auf eine Schiiten-HochburgBild: AFP/Getty Images

Die Menschen in Wadi Khalid stehen immer noch unter Schock. Aus dieser Region im Nordosten des Libanon stammt Qutaiba. Der 19-Jährige hatte am 2. Januar eine Autobombe in einem schiitischen Viertel in Beirut gezündet. Er tötete sich selbst und fünf weitere Menschen. Ahmad as-Sayyid ist Qutaibas Onkel. Er ist der einzige aus der Familie, der bereit ist, mit Journalisten zu sprechen. "Für unsere Familie ist es eine Katastrophe, ein Schock, aus dem wir noch nicht erwacht sind. Wir können nicht glauben, was passiert ist", sagt er.

Ahmad as-Sayyid aus Wadi Khalid Libanon (Foto: Mona Naggar)
Qutaibas Onkel Ahmad kann immer noch nicht glauben, was passiert istBild: DW/M. Naggar

Der große, schlanke Mann mit den kurzen braunen Haaren wiederholt immer wieder, dass er und seine Familie den Angehörigen der Opfer ihr Beileid ausdrücken und diese Tat verurteilen. Ahmad as-Sayyid beschreibt Qutaiba ruhig. Er habe zwei Jahre Ingenieurwissenschaften an der Uni in Tripoli studiert. Manchmal hätten sie zusammen Wasserpfeife geraucht. In seiner Freizeit habe Qutaiba Fußball gespielt. "Genau wie ich, war er ein Fan von Bayern München". Qutaiba sei zwar regelmäßig in die Moschee gegangen, aber das heiße doch nicht, dass er fanatische Ideen gehabt habe. "Alle, die Qutaiba kannten, fragen sich, wie er so etwas machen konnte."

Solidarität mit den Verwandten

Hnaidir, Qutaibas Dorf, liegt in Wadi Khalid, einer Region ungefähr 160 km von der Hauptstadt Beirut entfernt. Die Landschaft ist hügelig, auf den Hängen steht hin und wieder ein Baum. Syrien ist in Sichtweite. Die Menschen hier leben von der Tierhaltung und eigentlich auch vom Schmuggel mit dem Nachbarland. Die Schmuggelgeschäfte, auf die sich die Bevölkerung oft verlässt, seien durch den Krieg in Syrien stark zurückgegangen, erzählt die Journalistin Najla Hammoud. Sie ist Lokalreporterin bei der Tageszeitung "As-Safir" und schreibt seit Jahren über die Region.

Seit dem Ausbruch des Aufstandes gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist nichts mehr wie es war in Wadi Khalid. Auch leide die Region unter der großen Zahl der syrischen Flüchtlinge, die in den Dörfern Zuflucht suchen. Zu den ungefähr 35.000 Einwohnern, kämen noch mal so viele Flüchtlinge hinzu. "Jedes Massaker, das auf der anderen Seite der Grenze passiert, hinterlässt auch hier seine Spuren. Die verwandtschaftlichen Beziehungen sind sehr eng", erläutert Najla Hammoud.

Wadi Khalid im Norden des Libanon (Foto: Mona Naggar)
Die Menschen in der Region Wadi Khalid haben auch vom Schmuggel gelebtBild: DW/M. Naggar

Ahmad as-Sayyid macht keinen Hehl daraus, dass er und viele Bewohner der Dörfer in Wadi Khalid den Aufstand in Syrien unterstützen. Sie fühlen sich solidarisch mit ihren sunnitischen Glaubensbrüdern und Verwandten jenseits der Grenze, erklärt der 30-Jährige.

"Genauso wie Christen sich mit Christen solidarisieren würden, helfen wir den Sunniten." Das Engagement der Hisbollah auf der Seite des syrischen Regimes, habe bei den Sunniten zu Unmut geführt. Ein Klima der Spannung zwischen Sunniten und Schiiten sei entstanden. "Aber das heißt nicht, dass jemand von uns sich in die Luft sprengen würde." As-Sayyid gibt zu, dass einige junge Männer aus Wadi Khalid nach Syrien gegangen seien, um auf der Seite der Rebellen zu kämpfen. Aber das seien Einzelfälle, beteuert er. "Eine organisierte Rekrutierung gibt es aber nicht".

Gespaltene Gesellschaft

Der Krieg in Syrien hat die libanesische Gesellschaft tief gespalten. Die schiitische Hisbollah gehört zu den wichtigsten politischen und militärischen Verbündeten Assads.Viele Sunniten dagegen stehen auf der Seite der Aufständischen. Die Gewalt, die der Libanon seit Monaten erlebt, ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Im nordlibanesischen Tripoli, das als Hochburg der Assad-Gegner gilt, explodierten Ende August Autobomben vor sunnitischen Moscheen. 45 Menschen wurden getötet. Anschläge trafen auch schiitische Wohnviertel, wie Mitte August den Beiruter Stadtteil Ruweis. 24 Menschen wurden getötet. Der Anschlag, den Qutaiba in Beirut Anfang Januar verübt hatte, war nicht der letzte Anschlag in dieser Reihe. Denn am 16.01.2014 gab es wieder einen Anschlag auf eine schiitische geprägten Ort im Libanon Beirut. Fünf Menschen wurden dabei getötet, 20 verletzt, meldeten lokale Medien. Der Sprengsatz detonierte vor einem Verwaltungsgebäude in Hermel.

Die Lokalreporterin Najla Hammoud vermutet, dass Qutaiba sich während seines Studiums in Tripoli radikalisiert haben könnte. Die Stadt, 50 Kilometer von Wadi Khalid entfernt, ist seit dem Ausbruch des Aufstandes im Nachbarland zu einem Tummelplatz für gewaltbereite sunnitische Gruppen geworden. Der Aufruf zum Kampf in Syrien, den der Imam einer Moschee in Tripoli im April letzten Jahres gestartet hat, ist ein Beispiel dafür. Ahmad as-Sayyid, Qutaibas Onkel, kann nicht verstehen, dass die moderate Dar Al-Fatwa, die offizielle Vertretung der Sunniten im Libanon, nichts gegen die Imame unternimmt, die zu Gewalt aufrufen und unter jungen Muslimen Anhänger rekrutieren.

Mohamed Abu Zeid - Richter aus dem Libanon (Foto: Mona Naggar)
Mohamed Abu Zeid arbeitet für Dar Al-FatwaBild: DW/M. Naggar

Einbindung des Staates

Mohamed Abu Zeid arbeitet für Dar Al-Fatwa. Er ist Imam und religiöser Richter im südlibanesischen Saida. Er kann die Kritik von Ahmad as-Sayyid nachvollziehen. "Wir hören immer wieder, dass wir doch eine Fatwa, ein Rechtsguachten, herausgeben sollen, die diese Gewalt kriminalisiert", sagt der Religionsgelehrte. Aber eine Fatwa sei nicht bindend. Sie sei nur eine Empfehlung an die Gläubigen. "Und wir genießen bei diesen jungen Menschen, die in den Bann der radikalen Gruppen geraten, ohnehin kein Vertrauen. Sie haben ganze andere Autoritäten." Ein weiteres Problem seien die vielen Moscheen und religiösen Schulen, die nicht der Dar Al-Fatwa untergeordnet seien. Dort habe die religiöse Institution eh keinen Einfluss.

Die Dar Al-Fatwa sei mit dem Phänomen der Radikaliserung junger Libanesen überfordert, sagt Abu Zeid. Er wünscht sich daher eine stärkere Rolle des libanesischen Staates.