Eine kurze Geschichte der Berlinale
3. Februar 2011Ganz wohl fühlte sich Berlinale-Chef Dieter Kosslick am Dienstag nicht, als er das Programm der 61. Berlinale vorstellte: Kosslick hatte den iranische Regisseur Jafar Panahi in die Wettbewerbs-Jury geladen. Doch sein Stuhl wird wohl (wie schon im letzten Jahr in Cannes) leer bleiben. Denn Panahi ist im Iran zu 20 Jahren Reise- und Berufsverbot verurteilt worden. Die Berlinale setzt ein politisches Zeichen, wie so oft in ihrer Geschichte.
Glanz und Glamour in der Trümmerstadt
Als die Internationale Filmfestspiele in Berlin 1950 gegründet werden, ist das auch ein Politikum. Die Berlinale soll nicht nur Glanz und Glamour in das noch weitgehend zerstörte West-Berlin bringen, sondern auch als "Schaufenster der freien Welt" mitten in der DDR, im unfreien Ostblock, fungieren. So denkt sich das zumindest ihr Initiator, der amerikanische Filmoffizier Oscar Martay, Damit entwickelt sich ein lang anhaltender kultureller Konfrontationskurs, der erst langsam abgebaut werden kann, jedoch bis zum Mauerfall 1989 immer präsent ist.
Tumulte und Reform
Lange zuvor, in den späten 1960er Jahren, verabschiedet sich die Berlinale davon vor allem ein Glamourfestival zu sein. Wegen der gesellschaftspolitischen Veränderung kommt es 1970 zu einem heftigen Streit, als der Anti-Kriegsfilm "O.K." von Michael Verhoeven im Wettbewerb läuft. Darin meldet ein Soldat seinem Vorgesetzten die Vergewaltigung und den Mord an einer Zivilistin durch Soldaten seiner Einheit. Doch der Vorgesetzte will davon nichts wissen. Jury-Präsident George Stevens und andere glaubten, in dem Film Anti-Amerikanismus zu erkennen. Das Werk sollte zurückgezogen werden.
Daraufhin wurde das Premierenkino besetzt, viele Filmemacher protestieren, die Jury trat zurück und die Berlinale wurde abgebrochen. Es war der Startschuss für eine Reform des Festivals. 1971 wird das "Internationale Forum des jungen Films" eingeführt, das zuvor als Gegenfestival zur Berlinale gegründet worden war. Bis heute präsentiert das Forum, wie es meist nur genannt wird, außergewöhnliches Autorenkino, Werke, die das Kino irgendwie weiter entwickeln, sei es ästhetisch oder inhaltlich.
Ostblockländer protestieren
Mit der Entspannungspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt verbessert sich das Ost-West-Verhältnis, und 1974 wird erstmals ein sowjetischer Film gezeigt, ein Jahr später ein Film aus der DDR. 1979 dann aber ein weiterer Eklat: Der amerikanische Film "The Deer Hunter" von Michael Cimino, ein Anti-Vietnam-Kriegsfilm, beleidigte nach Meinung der sowjetischen Delegation in einigen Szenen das vietnamesische Volk. Im Film gibt es unter anderem "Wettbüros", in denen gefangene amerikanische Soldaten Russisch Roulette spielen müssen, während Vietnamesen Geld darauf setzen, welcher der Spieler sich als Nächster umbringt. Dass diese Szenen auf Tatsachen beruhten, interessierte nicht. Mehrere Ostblockländer und Kuba verließen die Berlinale.
25 Jahre Teddy-Award
Doch davon ließ sich in Berlin niemand beeindrucken. Bis heute steht die Berlinale für künstlerische Freiheit und individuelle Lebensführung. So widmet sich zum Beispiel die Sektion Panorama besonders dem schwul-lesbischen Leben. Dort wird der Teddy-Award, der älteste schwul-lesbische Filmpreis der Welt, in diesem Jahr zum 25. Mal verliehen. Damals wie heute leitet Wieland Speck das Panorama. Ihm geht es darum, Unterdrückung von Minderheiten zu thematisieren: "Wir hatten damals das Glück, dass gleich zu Anfang zwei Regisseure den Teddy gewannen, die damals noch keiner kannte, Pedro Almodovar und Gus van Saint, die später Weltstars wurden. Der Teddy-Award hat in 25 Jahren bewiesen, dass er zu einer ganz wichtigen Veranstaltung der Berlinale geworden ist. Menschen aus der ganzen Welt kommen auch wegen dieses Dauerschwerpunktes "Queeres Kino" nach Berlin.“
Der "Talent Campus" schließlich widmet sich seit 2003 dem filmischen Nachwuchs. In der einwöchigen Akademie haben rund 350 junge Filmemacher aus der ganzen Welt die Möglichkeit, in Workshops, Vorträgen und Diskussion von etablierten internationalen Profis zu lernen. Dort werden in diesem Jahr unter anderem der israelische Regisseur des Films "Lebanon", Samuel Maoz erwartet, der "Fight-Club"-Produktions-Designer Alex McDowell sowie der englische Komponist Michael Nyman.
Zensur und Meinungsfreiheit
Regisseur und Jury-Mitglied Jafar Panahi aber wird wohl nicht dabei sein. Er ist in seinem Heimatland zu Reise- und Berufsverbot verurteilt worden, weil er im Iran die Grüne Oppositionsbewegung und deren Führer Mussawi unterstützt hat. Der Film, bei dessen Dreharbeiten er verhaftet wurde, handelt von einer Familie, deren Sohn bei den Unruhen nach den jüngsten Wahlen verhaftet wurde. "Mein Fall ist das Musterbeispiel einer Bestrafung, die verhängt werden soll, ehe ein Verbrechen begangen wird", sagte Panahi in seiner Verteidigungsrede vor Gericht. "Man macht mir den Prozess wegen eines Films, dessen Dreharbeiten zum Zeitpunkt meiner Verhaftung erst zu 30 Prozent abgeschlossen waren." Aus Protest zeigt die Berlinale in mehreren Sektionen Filme von Jafar Panahi. Außerdem wird es eine Diskussion zum Thema "Zensur und Meinungsfreiheit" im Iran geben. Ein Zeichen dafür, dass die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung noch immer ein Markenzeichen des Filmfestivals ist.
Autor: Bernd Sobolla
Redaktion: Jochen Kürten