Eine Schule für Lac Laconth
19. Dezember 2003"Tashakor, Takashor", schreien die Kinder. Tashakor heißt danke. Natürlich haben die Lehrer den Mädchen und Jungen gesagt, dass sie ganz laut danke schreien sollen, sobald die Geländewagen der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur um die Ecke biegen. Aber die Kinder machen es gerne. Sie schreien und winken und lachen und können es gar nicht mehr abwarten, endlich in ihre neue Schule zu stürmen. Noch versperrt ein schlichtes rotes Band aus Papier den Weg in die Klassenzimmer.
Neuer Geist in Lac Laconth
Die Mitarbeiter von Cap Anamur klettern aus den beiden Geländewagen, mit denen sie sich in der vergangenen Stunde durch Schlaglöcher und Schlammpfützen gequält haben. Wie die meisten Straßen im Norden Afghanistans ist auch die Piste zum Bergdorf Lac Laconth in einem miserablen Zustand. Hier oben in der zerklüfteten Bergwelt an der Grenze zu Tadschikistan lebt jeder von seinem Land und von seinen Tieren. Rostende Panzergerippe und leere Patronenhülsen sind stumme Zeugen dafür, dass sich der ewige Krieg bis in den letzten Winkel des geschundenen Landes gefressen hat.
Deshalb läßt Projektleiter Peter Geier vom Kölner Notärztekommittee Cap Anamur in seiner kurzen Rede zur Einweihung der neuen Schule von Lac Laconth keinen Zweifel daran, welcher Geist hier in Zukunft durch die Klassenzimmer wehen soll. "Lehrer, Ärzte und Ingenieure sind die Zukunft Afghanistans", sagt Peter Geier mit fester Stimme. "Gewehre sind Waffen der Ingoranz, der Stift ist die Waffe des Wissens", schließt er seinen kurzen Auftritt. Und kaum hat der Übersetzer den letzten Satz übersetzt, stürzen die Jungen und Mädchen los. Sie haben lange genug gewartet.
Erlebnis Schule
Die Lehrer geben es kopfschüttelnd auf, für Ordnung zu sorgen. In Sekundenschnelle verteilen sich rund 1400 Kinder wie von Geisterhand auf die vierzehn Klassenzimmer. Fast alle Kinder gehen zum ersten Mal in ihrem Leben in eine richtige Schule. Ausgestattet mit einer echten Schiefertafel, einem dickem roten Teppich zum Draufsitzen und einem Dach, das Regen und Hitze erträglich macht.
Sayed Khaireden ist 15 Jahre alt und geht in die zweite Klasse. Sein Fußmarsch zur neuen Schule in Lac Laconth dauert fast eine Stunde, aber es macht ihm nichts aus. "Wir können nur in der Schule lernen. Wenn wir nicht zur Schule gehen, bleiben wir dumm und können nicht Doktor werden."
Die 12-jährige Quandi Gul dreht sich zu ihren Freundinnen um und fängt vor Freude an zu singen: "Mein schönes Land", schmettern die Mädchen der zweiten Klasse der neuen Grundschule von Lac Laconth. "Als Du im Krieg warst, konnten wir Dir nicht helfen. Jetzt lernen wir für den Frieden, geliebtes Land. Wir lernen für Deine Zukunft."
Bildung gegen den Krieg
Draußen vor der Schule versteckt sich der Abdul Kahar hinter einem Geländewagen von Cap Anamur. Sein Esel ist mit Heu beladen, und Abdul hält das Führseil fest in der Hand. Er ist dreizehn Jahre alt und muss für seine Mutter und drei kleine Schwestern sorgen. Sein Vater ist vor ein paar Monaten von einer Mine zerrissen worden. "Klar ist es besser zur Schule zu gehen, aber ich muss jetzt Geld verdienen. Ich weiß nicht, was aus mir wird. Ich bleibe Bauer. Ein kleiner Laden wäre schön."
Peter Geier von Cap Anamur hört dem Jungen, der nicht mehr als seinen Namen schreiben kann, schweigend zu. Schuftende Kinder gehören in Afghanistan genauso zum Alltag wie zerstörte Klassenzimmer, Landminen und bewaffnete Kämpfer, die herumlungern und auf neue Befehle warten.
Insgesamt hat das Kölner Notärztekomitee jetzt schon 30 Schulen in der nordafghanischen Provinz Takhar gebaut. Mit Klassenzimmern für über 40.000 Kinder. "Durch ihre Unwissenheit sind die Leute in dieser ländlichen Gegend von ihren Führern sehr leicht zu beeinflussen", erzählt er. Geier hat die Hoffnung das Bildung die Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Afghanistan ist: "Wenn die Kinder lesen und schreiben können, wird es wesentlich schwerer, diese Jugend nochmal so zu beeinflussen, dass ein Krieg wieder leicht möglich wird."