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Reformschule Jenaplan

Ronny Arnold29. Oktober 2012

Jeder Schüler lernt von jedem. Es gibt weder Klassenbeste noch Klassenletzte, und die Schüler dürfen im Unterricht mitbestimmen. Das pädagogische Konzept der Jenaplanschule ist alt, aber erfolgreich.

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Schüler im Unterricht an der Jenaplanschule in Jena (Foto: DW / Ronny Arnold)
Schüler im UnterrichtBild: Ronny Arnold

Sie sind mutig, diese Lehrer der Jenaplanschule. Mit vollem Einsatz und vor versammelter Schülerschaft führen sie auf einer kleinen Bühne der Turnhalle ein Märchen auf. Sie spielen die Schneekönigin. Bälle aus Papier fliegen durch die Halle und Elche fahren auf Rollern durch den Sportsaal. Immer wieder gibt es herzhafte Lacher, doch die Lehrerschaft lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Das Märchen gehört eben dazu - und es ist gedacht für all jene Kinder, die noch nicht lange auf die Jenaplanschule gehen.

Lehrer machen für ihre Schüler Theater – Nicht nur daran sehen die Kinder, dass hier einiges anders läuft als an einer klassischen Schule. "Ich würde sagen, diese Schule ist geordnetes Chaos", meint Camille, und sie muss es wissen. Seit zehn Jahren geht sie auf die Jenaplanschule, drei Gruppen hat die 15-Jährige durchlaufen. "Hier läuft nicht alles nach Vorschrift und mit eiserner Disziplin ab", erzählt sie. "Man muss oft selbst kreative Lösungen finden." Genau das sei wichtig für den eigenen Weg, ein besseres Lernen, für die Persönlichkeit. Camille sagt die Sätze aus dem Bauch heraus. Es kommt nicht aufgesetzt daher, sondern klingt überzeugend.

Die Schülerin Camille und ihr Mitschüler Carl von der Jenaplanschule in Jena (Foto: DW / Ronny Arnold)
Die 15-jährige Camille geht seit zehn Jahren auf die JenaplanschuleBild: Ronny Arnold

Schüler als Lernpartner der Lehrer

Keine Frage, an der Jenaplanschule im ostdeutschen Jena genießen die Schüler größere Freiheiten als an anderen Schulen. Sie dürfen den Unterricht aktiv mitgestalten, im gesamten Haus lernen, werden von klein auf als Lernpartner der Lehrer akzeptiert und von diesen gezielt gefördert und gefordert. Die Projektarbeit ist ein zentraler Punkt im pädagogischen Konzept, das übrigens schon über 80 Jahre alt ist.

1927 entwickelte der Reformpädagoge Peter Petersen sein Schulmodell an der Universität Jena, daher der mit der thüringischen Stadt verbundene Name. Nach seinem Konzept unterrichten heute Schulen in ganz Europa, vor allem in Deutschland und den Niederlanden. In Jena wurde Petersens Modellschule nach der Gründung der DDR 1950 geschlossen und 1991 neu gegründet.

Wo es Lehrern und Schülern gut geht

Heike Ginter ist Deutschlehrerin an der Jenaer Jenaplanschule. Vorher hat sie an einem herkömmlichen deutschen Gymnasium unterrichtet, sich dort aber nicht wohl gefühlt. Weil sie ihre Schüler stärker in den Unterricht einbeziehen wollte, ihnen mehr Freiheiten gab und gerne neue Unterrichtskonzepte ausprobierte, machte sie sich im Kollegium unbeliebt. "Ich habe damals viel Unverständnis von den Kollegen erfahren", erzählt sie. Daher wechselte sie vor 15 Jahren an die Jenaplanschule, "weil es den Schülern hier gut geht, und den Lehrern mit."

Pausenraum in der Jenaplanschule in Jena (Foto: DW / Ronny Arnold)
Überall im Haus wird gelerntBild: Ronny Arnold

Camille schätzt die Freiheiten an ihrer Schule, vor allem mag sie die Projektarbeit. Sechs Stunden pro Woche, auf drei Tage verteilt, arbeiten sie an Themen, von denen sie am Anfang kaum etwas wissen. Ergebnis soll ein Vortrag sein, in dem sie die Mitschüler dann über ihr spezielles Gebiet informieren. "Man beschäftigt sich einfach tiefgründiger mit einem speziellen Thema", erklärt sie. Im aktuellen Projekt etwa geht es um Europa – geografisch, politisch, um Vielfalt und Grenzen.

Diskussionen um Lerninhalte erwünscht

Unterrichtet wird an der Jenaplanschule nicht in Klassen, sondern in Stammgruppen. Jeweils drei Jahrgänge sind in einer Unter-, Mittel- und Obergruppe zusammengefasst. Danach kommt die gymnasiale Oberstufe. Schulnoten gibt es erst ab der 7. Klasse in der Obergruppe. Für den 16-jährigen Carl hat das sogenannte "jahrgangsübergreifende Lernen" nur Vorteile. Die jüngeren orientieren sich beim Lernen an den älteren Schülern und diese vertiefen ihr Wissen, indem sie es den jüngeren erklären, meint Carl. "Das macht den Lernprozess leichter."

Schüler im Unterricht an der Jenaplanschule in Jena (Foto: DW / Ronny Arnold)
Der Unterricht findet nicht in Klassen, sondern in Gruppen stattBild: Ronny Arnold

Wenn Schüler Schwierigkeiten beim Lernen haben, schalten sich die Lehrer ein und erklären den Unterrichtsstoff noch mal. Außerdem diskutieren sie mit den Kindern und Jugendlichen das Projekt. "Wir fragen, was es ihnen gebracht hat und wie der Unterricht weiter laufen soll", erzählt Heike Ginter. "Wir müssen uns auf Schülerwünsche einstellen, das fördert die Motivation." Manchmal, so gibt die Pädagogin zu, seien die Schüler ihren Lehrern durch die Projektarbeit sogar fachlich voraus. Das sei auch eine Herausforderung für die Lehrer.

Neugierige Schüler fördern

Doch nicht nur in der Projektarbeit wird den Schülern viel Freiheit gelassen. Sie dürfen auch sonst ihr Lerntempo selbst bestimmen. Jeder Schüler erhält einen sogenannten "Wochenplan". Dort stehen alle Aufgaben, die er in fünf Tagen bearbeiten soll. Er darf dann selbst entscheiden, was er wann lernen möchte. Für Thomas Röher ist der Wochenplan einer der großen Unterschiede zum herkömmlichen Unterricht in Deutschland, bei dem jeder Schüler denselben Stoff zur gleichen Zeit lernen muss.

Thomas Röher, Direktor der Jenaplanschule in Jena (Foto: DW / Ronny Arnold)
Schulleiter Thomas RöherBild: Ronny Arnold

Der Schulleiter bezweifelt, dass das der richtige Weg der Wissensvermittlung ist. "Wenn eine Schule nur eine Institution ist, die wie durch einen Trichter die Schüler abfüllt, dann kann das am Ende nicht erfolgreich sein", betont der Pädagoge. Röher hat allen Grund, selbstbewusst zu sein: 2006 gab es für die Jenaer Jenaplanschule den "Deutschen Schulpreis". Regelmäßig informieren sich ausländische Besucher über das reformpädagogische Konzept. Denn in Jena gingen die Schüler nicht nur gerne zur Schule, sie lernten auch viel, betont Röher stolz. "Beim Abitur schneiden sie schon seit einigen Jahren besser ab als der Thüringer Durchschnitt."