Mal Dampf ablassen
23. November 2012Der St. George Yacht Club im Herzen von Beirut ist eigentlich ein Ort, an dem sich tagsüber die Schickeria am Pool sonnt und teure Cocktails schlürft. An diesem Abend dient er aber als Bühne für die syrische Rockband Tanjaret Daght. Der Band gefällt es, ihre Musik an eher ungewöhnlichen Orten zum Besten zu geben. So erreiche man besonders viele unterschiedliche Leute, sagen sie. Sie - das sind Khaled Omran, Gitarrist und Gründer der Band, Dani Shukri, Schlagzeuger und Tarek Khalqi, Gitarrist und Sänger. Die Drei tragen locker sitzende Hosen, T-Shirt und Turnschuhe. Sie geben nicht viel auf Äußerlichkeiten - egal wo sie spielen. Zu lange hätten sie das Gefühl gehabt, nur eine Hülle ihrer selbst zu sein. "Jahrzehntelang hat man uns den Mund verboten, unsere Lippen waren wie zugenäht, nie haben wir sagen können, was wir denken", erzählt Khaled. Doch das habe jetzt ein Ende.
Sich Luft verschaffen
In ihrem Lied "Taht el daght" - was so viel wie "unter Druck" bedeutet - geht es darum, dass man weder daheim noch außerhalb des Hauses wirklich frei war. Mal hätte man unter gesellschaftlichem Druck gestanden, hätte sich an Sitte und Tradition halten müssen, und immer musste man sich mit politischen Äußerungen zurückhalten. In den Augen der Menschen, so heißt es an einer Stelle in dem Song, könne man keine Emotionen mehr sehen. Alle hätten nur noch funktioniert, jeder sei einer von vielen gewesen, singen sie. Ihre Seelen seien ihnen entwichen. Da sei es kein Wunder, so Khaled Omran, dass das Volk eines Tages "explodiert", dass es zu einer Revolution kommt. Und nicht jeder habe die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Musik Luft zu verschaffen, ein bisschen Dampf abzulassen. Das spiegelt sich auch im Namen der Band wieder - "Tanjaret Daght" bedeutet auf Arabisch Dampfkocher. Ihre Songs singen sie bewusst in syrischem Arabisch. "Jeder Araber versteht, was wir mit unseren Texten sagen wollen, aber eigentlich gelten unsere Texte unseren syrischen Landsleuten", sagt Khaled.
Vor dem Einsatz im Krieg geflüchtet
Khaled, Dani und Tarek sind nacheinander vor knapp einem Jahr nach Beirut gekommen. Eigentlich sind zwei von ihnen vielmehr geflohen - geflohen vor dem Militärdienst. Denn wären sie in Damaskus geblieben, dann hätte man die End-Zwanziger eingezogen - und das mitten im Bürgerkrieg. Ihr ganzes Leben haben sie in Damaskus verbracht, haben dort an der Musikhochschule studiert und sich dann 2008 als Trio zusammengetan. Als die Revolution begann, wussten sie, dass sie als Vollzeit-Musiker keine Chance mehr haben würden. In einem Land, in dem Krieg herrscht, so Dani, sei sicherlich kein Raum mehr für Kreativität.
Damals in Syrien haben sie nur Instrumentalmusik gemacht - und die war zudem auch eher eine Art improvisierter Jazz. Als dann der Aufstand im Frühjahr 2011 in Syrien begann, haben sie ihrer Musik nach und nach immer mehr Rockelemente zugefügt. Die Rockmusik mit ihren manchmal aggressiven wie sanften Tönen drücke am besten die Gefühle einer unterdrückten Bevölkerung aus, die lange nach Freiheit gesucht habe, sagen sie. Außerdem haben sie begonnen, Texte zu schreiben und darin ihre Kritik an der Gesellschaft und dem politischen System zu äußern. "Wir wollten, dass die Menschen sich an unsere Lieder erinnern, dass sie sie mitsingen können", sagt Dani. Nur so könne man eine Botschaft vermitteln.
Mehr Freiheit und Raum für Entfaltung
Als sie dann nach Beirut kamen, haben sie ihre Songs samt der Texte aufgenommen. Entstanden sind dabei Lieder wie "Taht el daght" und ebenso der Song "Tanfees" - "Atmen". In "Tanfees" fordern sie die Leute auf, sich selber stärker in den Mittelpunkt zu stellen und sich nicht nur als Teil einer religiösen Gruppe zu sehen. Aber auch für das Trio war das nicht immer einfach. In Beirut, so sagen sie, könnten sie sich und ihre Musik viel freier entfalten, hätten alleine schon musikalisch viel mehr Möglichkeiten. Und dennoch, sagt Dani: "Beirut ist nicht der Ort, an dem ich immer leben will, aber ein guter Ort, um die Musik voran zu bringen und den Menschen zu sagen wie es uns erging und was wir denken". Die Jungs von Tanjaret Daght haben bereits in Kairo und Amman Konzerte gegeben, touren ständig durch Beiruts Clubs, aber ihr größter Wunsch ist es, ein Konzert mit ihren neuen Songs in Syrien zu spielen. "Aber das", so Dani Shukri, "wird so schnell nicht möglich sein. Denn an ein Zurückgehen ist momentan überhaupt nicht zu denken."