Einmal nach Mekka
19. November 2008Wir sind in Bayern, genauer gesagt in der Landeshauptstadt München. Ein weiß gestrichener Kellerraum, Leuchtstoffröhren sorgen für grelles Licht. Normalerweise kommen hierher Schüler zur Hausaufgabenbetreuung. Aber an diesem Tag hat ein auf Pilgerreisen spezialisiertes Reisebüro zum Hadsch-Unterricht eingeladen. Ein Beamer wirft eine Powerpoint-Präsentation an die Wand, auf dunkelblauem Grund sieht man die Kaaba in Mekka und die Moschee von Medina.
Fünfzehn Männer und fünf Frauen sind an diesem Abend gekommen. Sie stammen aus Afrika, Afghanistan oder dem Irak. Aber so unterschiedlich ihre Herkunftsländer auch sein mögen, ein Gefühl verbindet alle im Raum: Vorfreude. Einer der Teilnehmer berichtet, dass er sehr glücklich sei, dieses Jahr auf den Hadsch fahren zu können: "Unsere Religion verpflichtet uns dazu. Wenn man gesund ist und das nötige Geld hat, muss man nach Mekka fahren, um das Haus Gottes zu besuchen."
Ein anderer erklärt, was für eine bedeutende Reise der Hadsch für jeden Muslim ist: "Es geht nicht nur darum, namentlich zum 'Hadschi' zu werden, sondern auch viele Informationen mitnehmen zu können."
Richtige Vorbereitung ist enorm wichtig
Auch Lahbabi Mounir freut sich auf die Pilgerfahrt. Der 33-Jährige im blauen Kapuzenpulli kam vor zehn Jahren aus Marokko nach Deutschland. Er hat Maschinenbau studiert, geheiratet und ist inzwischen glücklicher Vater, wie er sagt. Bei aller Vorfreude hat Mounir aber auch Bedenken.
"Bei der Hadsch gibt es fast drei Millionen Personen. Es wird nicht einfach werden." Zum Vergleich: In ein Stadion passten in der Regel höchstens 60.000 Leute. "Mit drei Millionen Personen gibt es immer Schwierigkeiten, es wird geschubst und solche Dinge. Man muss sich schon richtig vorbereiten - und immer locker bleiben."
Um sich richtig vorzubereiten, sind die gläubigen Muslime zum Hadsch-Unterricht gekommen. Sie wollen wissen, wo und wie damals der Prophet Mohammed wirkte. Sie fragen nach, was genau sie auf der Pilgerfahrt erwarten wird, was sie tun dürfen und was nicht.
Sofian Trabelsi, der Imam, der den Unterricht hält, malt mit den Händen Bilder in die Luft. Er spricht mit eindringlicher Stimme. Was er sagt, wird ins Deutsche übersetzt, denn die meisten Zuhörer verstehen kein Arabisch. Trabelsi gibt einen Streifzug durch die islamische Geschichte, erklärt viele Details. Er erläutert den Höhepunkt der Hadsch, den sogenannten Tawaf, bei dem die Kaaba sieben Mal entgegen dem Uhrzeigersinn umrundet wird. Eine wichtige Sache, die der Imam den Pilgern mitgeben will: Ein Hadsch hat mit Urlaub nichts zu tun, es ist anstrengend und man braucht viel Geduld.
Auch Geld ist erforderlich
Viel Geduld brauchen die Muslime schon vor der Pilgerfahrt, denn dafür müssen sie lange sparen. Knapp 3000 Euro kosten die günstigsten Hadsch-Reisen, sie dauern meist drei Wochen. Nach oben ist dem Preis kaum eine Grenze gesetzt. Für eine VIP-Hadsch mit Businessclass-Flug, Unterkunft im Luxushotel und individueller religiöser Begleitung kann man durchaus auch 25.000 Euro ausgeben.
Lahbabi Mounir hat in diesem Jahr auf die jährliche Reise in sein Heimatland Marokko verzichtet, um nach Mekka fahren zu können. "Meine Kollegen wissen das schon lange, denn sie haben mitbekommen, dass ich dafür spare und mich vorbereite. Sie wünschen mir auch eine gute Reise", sagt er.
Offenbar gibt es in Deutschland viele Muslime wie Mounir. Denn das Interesse, die Pilgerfahrt zu machen, ist groß, meint Adel El Rezgui. Er wird als ehrenamtlicher Reisebegleiter mit der Gruppe zu den Heiligen Stätten fliegen. Er erzählt, dass die Nachfrage nach dem Hadsch immer stärker würde, was man an der Zahl der Gruppen und Reisebüros sehen könnte, die die Hadsch-Fahrt organisieren. "Früher waren es nur die Älteren, die die Pilgerfahrt machten, ab sechzig Jahren. Heute ist das nicht mehr so, heute sind die meisten zwischen dreißig und vierzig Jahre alt."
Die Nachfrage übersteigt das Angebot
Es gibt heute also mehr Menschen als früher, die von Deutschland aus auf den Hadsch fahren möchten. Das Problem dabei: Das Angebot ist gar nicht groß genug, um die Nachfrage zu decken. Bei einigen Veranstaltern waren die Reisen schon Anfang des Jahres ausgebucht.
Engin Karahan von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs - gleichzeitig einer der größten Hadsch-Veranstalter in Deutschland - erläutert, dass der Wille, mehr Leute mitzunehmen, schon da sei. "Das Problem ist eigentlich nur, dass von der saudischen Regierung aus für die einzelnen Länder Kontingente bestehen, die Höchstgrenzen ausweisen. Diese Kontingente haben sich in den letzten Jahren kaum nach oben hin geändert." Dementsprechend stelle diese Tatsache auch die größte Beschränkung für die Zahl der Pilgerreisenden aus Deutschland dar.
Insgesamt rund 20.000 Hadsch-Visa werden für Deutschland vergeben. 2700 Pilger fliegen allein mit Milli Görüs nach Mekka. Die Ersten haben sich schon für nächstes Jahr einen Platz reserviert.
Derweil ist der Hadschkurs in München nach fast vier Stunden zu Ende gegangen. Einige gehen gleich nach Hause. Ein paar der Männer bleiben noch ein bisschen, sie gehen in den Nebenraum und beten gemeinsam das Nachtgebet. Bald können sie das - so Gott will - in der Stadt tun, in deren Richtung sie sich auf dem Gebetsteppich gewandt haben: in Mekka.