Elektroauto: "Ressourcen sind kein Problem"
12. Februar 2023Deutsche Welle: Die Elektromobilität scheint sich schneller durchzusetzen als vorhergesagt. Die Produktion von weltweit rund 130 Millionen reinen Elektroautos wurde von Experten bis zum Jahr 2030 bislang prognostiziert. Diese Schätzung wurde mittlerweile auf mehr als 200 Millionen angehoben. Herr Buchert, reichen die Rohstoff-Ressourcen überhaupt, um so viele neue Elektroautos auf die Straße zu bringen?
Matthias Buchert: Weltweit sind genügend Rohstoffvorkommen vorhanden. Eine physische Begrenzung ist nicht das Problem. Aber es kann zu temporären Verknappungen und Problemen in den Wertschöpfungsketten kommen - sei es in der eigentlichen Rohstoff-Förderung oder in der Aufbereitung der Rohstoffe zum fertigen Produkt. Wenn die Nachfrage plötzlich sehr stark steigt. Das heißt aber nicht, dass gleich der gesamte Markt an die Wand fährt - aber der Hochlauf ruckelt ein Stück weit.
Wir haben das beim Halbleitermangel während der Corona-Pandemie erlebt. Es gab zeitweise Engpässe bei Chips für Autos und Elektronikgeräte. Fahrzeuge wurden dann teilweise mit Verzögerungen von mehr als einem Jahr ausgeliefert.
In Bezug auf die Elektromobilität stellt sich natürlich die Frage, ob es zu längeren Engpässen bei wichtigen Rohstoffen kommen wird. Experten von der Deutschen Rohstoffagentur sehen in dieser Hinsicht vor allem Probleme beim Lithium, dem Schlüsselelement für Lithium-Ionen-Batterien. Ich verstehe solche Szenarien als Weckruf, dass die Angebotsseite schneller hochgefahren werden muss, um mit dem rasant steigenden Nachfragetempo Schritt zu halten.
Kann das Ihrer Meinung nach gelingen?
Bleiben wir mal beim Lithium. Das wird zurzeit vor allem in Australien, Chile und zum geringeren Teil in China gewonnen. In den beiden Hauptförderländern sind jedoch kaum geopolitische Verwerfungen zu erwarten.
In den USA, Lateinamerika, Asien, Afrika und in Europa gibt es viele Lithium-Vorkommen, bisher werden aber lediglich in Portugal kleinere Mengen Lithium gefördert. Es gibt aber unter anderem in Finnland, Österreich, Serbien, Spanien, Portugal und Frankreich potentielle Fördermöglichkeiten. In Italien und Deutschland könnten im optimalen Fall an Lithium reiche, heiße Tiefengewässer ausgebeutet werden.
Wenn ich Sie recht verstehe, sehen Sie im Rohstoffbereich eher beherrschbare Risiken und Probleme. Wie steht es denn um die Energieversorgung? Mehr Elektroautos verbrauchen auch mehr Strom.
Elektrofahrzeuge haben einen sehr hohen Wirkungsgrad. Wenn man die gesamte PKW-Flotte und auch viele Nutzfahrzeuge elektrisch antreibt, steigt nach Hochrechnungen der gesamte Stromverbrauch nicht beispielsweise um das Zehnfache, sondern lediglich um rund ein Drittel gegenüber dem jetzigen Gesamtstrombedarf in Deutschland. Und es gibt noch große Einsparpotentiale beim Stromverbrauch, etwa bei der Beleuchtung oder durch den Ersatz von alten Elektrogeräten. Das gilt auch für die Industrie in deren bisherigen Prozessen.
Zusätzlich wird im Wärmesektor in Zukunft immer mehr Strom verbraucht werden durch den Einbau von Heizungen mit Wärmepumpen. Reicht der Strom auch dafür?
Das ist ein zweiter wichtiger Bereich, das kommt auf alle Fälle noch hinzu. Und auch in der Industrie steigt der Strombedarf durch den vermehrten Einsatz von grünem Wasserstoff zur CO2-Reduktion, was sehr viel sauberen Strom erfordert. Deshalb wollen die EU und auch die Bundesregierung den Ausbau von Photovoltaik und Windkraftanlagen massiv ausbauen.
All das sind große Herausforderungen und wir haben auch nicht 50 Jahre Zeit.
Die Ziele der Bundesregierung zum Ausbau erneuerbarer Energien sind in jüngster Zeit enorm nachgeschärft worden. Ich glaube, da ist in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren sehr viel Zeit vertrödelt worden. Deshalb muss künftig alles erheblich schneller gehen.
Für die Elektromobilität werden auch mehr Ladestationen und größere Stromnetzkapazitäten benötigt. Denken Sie an den Streit, ob man in bestimmten Spitzenzeiten die Stromversorgung begrenzt, etwa beim Laden für Elektroautos oder beim Heizen mit Wärmepumpen, weil es sein könnte, dass die Stromnetze zu bestimmten Spitzenzeiten nicht genügend Kapazität haben.
Ja, oder umgekehrt und zu anderen Zeiten haben wir eher Überschuss an Strom in den Netzen. Man braucht einfach bessere Ausgleichssysteme, also smarte Systeme. Dann wird das Auto vielleicht nicht ab 19.00 Uhr geladen, weil da die Verbrauchsspitzen höher sind, sondern erst ab Mitternacht.
Zu den zusätzlich benötigten Ladestationen: Da gibt es Untersuchungen, dass gar nicht mal so viele Schnelllader im öffentlichen Raum gebraucht werden, weil viele Elektroautos zu Hause oder im Parkhaus des Büros aufgeladen werden. Das heißt nicht, dass der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur vernachlässigt werden sollte. Aber man muss da sehr aufpassen, dass keine Scheinriesen aufgebaut werden, die bei näherer Betrachtung zwar gewaltig, aber dennoch bewältigbar erscheinen.
Aber kaufen die Leute denn Elektroautos, wenn sie nicht wissen, ob es genügend Ladestation gibt?
Natürlich muss die Ladeinfrastruktur so schnell wie möglich ausgebaut werden, es muss mehr Ladestationen geben. Da ist eine Zusammenarbeit notwendig zwischen öffentlichen Stellen und privaten Investoren aus der Energiewirtschaft. Die berichten übrigens in jüngster Zeit von einer deutlich besseren Ausnutzung der bestehenden Ladesäulen, was natürlich das Ganze durchaus rentabler macht.
Wenn Sie als Experte eine Art Rangliste aufstellen: Welche Faktoren behindern aus heutiger Sicht das Hochfahren der Elektromobilität am meisten? Was sind die größten Probleme zurzeit?
Die größte Verwerfung ist möglicherweise, dass das Angebot der Wertschöpfungsketten der Nachfrage hinterherhechelt.
Außerdem suggerieren manche Politiker, es gäbe Alternativen zur Elektromobilität, etwa durch den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren. Das ist aber technisch längst überholt. Im PKW-Bereich sind E-Fuels, wenn sie denn mal in entsprechenden Mengen hergestellt würden, vom Wirkungsgrad her gesehen völlig ineffizient.
Die eigentliche Herausforderung besteht in der gigantischen Transformation der Autoindustrie. Da müssen hunderte Milliarden Euro umgeschichtet werden. Schauen wir auf die Batterieherstellung, die bisher hauptsächlich in Asien stattfindet. In Europa sollen über 30 Gigafactories zur Batteriefertigung entstehen, allein in Deutschland mehr als ein halbes Dutzend. Dafür sind riesige Investitionen nötig.
Außerdem brauchen wir die Komponenten für die Batteriezellen, also Kathodenmaterial, Anodenmaterial und so weiter. Auch dafür müssen die Kapazitäten in Europa sehr viel schneller hochgefahren werden. Und so müssen wir weiter zurückgehen über die Zwischenmaterialien letztlich zu den reinen Rohstoffen, die ja entweder aus Hartgestein, Salzseen oder aus Tiefengeothermie kommen müssen, im Falle von Lithium beispielsweise.
Viel zu wenig geredet wird meiner Meinung nach über die Elektromotoren. Für deren Produktion sind sogenannte Permanentmagneten notwendig, die wiederum Seltene Erden benötigen. China hat bei der Magnetproduktion bislang eine sehr starke Position. Die USA, Europa und Australien haben da enormen Aufholbedarf, deshalb gibt es hier gerade einen massiven Strategiewechsel, für den der Begriff "Zeitenwende" angemessen ist.
Sie sehen also noch eine Fülle von Problemen, die beim Hochfahren der Elektromobilität noch zu lösen sind. Es ist vielleicht nur ein schwacher Trost, aber die Entwicklung von Autos mit Verbrennungsmotor, wie wir sie heute kennen, hat ja auch ziemlich lange gedauert.
Da haben Sie vollkommen recht. Der Unterschied ist aber, dass in der aktuellen Situation der Zeitdruck sehr hoch ist. Laut EU dürfen ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen verkauft werden, also praktisch ausschließlich batterieelektrische. Deutschland will 2045 klimaneutral sein, da sollten am besten gar keine Verbrennerfahrzeuge mehr über die Straßen fahren. Um diese Ziele zu erreichen, haben wir also lediglich zehn bis maximal fünfzehn Jahre Zeit - und das ist sportlich.
Matthias Buchert ist Bereichsleiter Ressourcen & Mobilität am Öko-Institut e.V. mit Standorten in Freiburg, Darmstadt und Berlin. Das Institut berät unter anderem die Bundesregierung.
Das Gespräch führte Klaus Ulrich