Elf Stimmen der spanischen Literatur
18. Oktober 2022Die weltgrößte Buchmesse startet wieder und hat in diesem Jahr Spanien zum Ehrengast gekürt. Der spanische König Felipe VI. hat am Dienstagabend zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Frankfurter Buchmesse eröffnet - drei Jahrzehnte, nachdem das südeuropäische Land zuletzt Ehrengast war. Das war 1991, Spanien war eine junge Demokratie. Mittlerweile verstorbene Schriftsteller wie der große Javier Marías, Almudena Grandes und Carlos Ruiz Zafón standen damals noch am Anfang ihrer Karriere und machten erste literarischen Schritte.
"Das heutige Spanien hat nicht mehr viel gemein mit dem damaligen Spanien", sagte König Felipe VI. bei der Eröffnungsfeier. Besonders der EU-Eintritt 1986 habe zu tiefgreifenden Veränderungen geführt. Spanien sei ein Land, das sich der Freiheit und Toleranz verpflichtet fühle.
In Frankfurt präsentiert sich Spanien mit Dutzenden Autorinnen und Autoren unter dem Motto: "Sprühende Kreativität". Wir präsentieren Ihnen eine Auswahl spanischer Literatur-Stars - und ihrer Bücher:
Fernando Aramburu
Fernando Aramburu ist der meistgelesene baskische Schriftseller aller Zeiten. Das hat er vor allem seinem Meisterwerk "Patria" (2016) zu verdanken. Darin erzählt Aramburu, wie der ETA-Terrorismus im spanischen Baskenland zwei Familien zerstört. Sein Buch verkaufte sich über 1,2 Millionen Mal, wurde in 34 Sprachen übersetzt und von HBO fürs Fernsehen adaptiert. Aramburu wohnt seit Mitte der 1980er-Jahre in Deutschland und spricht fließend Deutsch.
Najat El Hachmi
1979 in Marokko geboren, kam Najat El Hachmi mit acht Jahren nach Katalonien. In ihren preisgekrönten Büchern erforscht die Autorin, was es bedeutet, sich zwei Welten zugehörig zu fühlen. Viele ihrer Romane tragen autobiografische Züge und handeln von jungen Frauen aus Einwandererfamilien, die unter religiösen und kulturellen Zwängen aufwachsen. Auf der Suche nach Freiheit müssen sie Barrieren überwinden, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft auferlegt wurden.
Luz Gabás
Für ihren historischen Roman "Lejos de Luisiana" (Weit weg von Louisiana) gewann Luz Gabás den diesjährigen Planeta Preis, den höchstdotierten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt. Im 18. Jahrhundert angesiedelt, erzählt der Roman die Liebesgeschichte zwischen einem Ureinwohner und einer Französin in Louisiana. Teile des heutigen US-Bundesstaates waren damals in spanischen Händen.
"Für mich müssen Romane lehren, unterhalten und bewegen. Und ich glaube, dass diese Geschichte, bei der auch ein Teil der spanischen Kolonialvergangenheit aufgearbeitet wird, all diese Anforderungen erfüllt", sagte Gabás am Rande der Preisverleihung in Barcelona.
Sara Mesa
Sara Mesa, geboren 1976 in Madrid, begann ihre literarische Karriere mit Gedichten. Dann entdeckte sie ihre Begeisterung für Kurzgeschichten und Romane. Im Zentrum ihrer Erzählungen stehen die zwischenmenschlichen Beziehungen, etwa innerhalb einer Familie ("La familia", 2022). Mesa seziert das menschliche Verhalten, spürt die Wunden und Widersprüche ihrer ambivalenten Figuren auf. Für ihren Roman "Eine Liebe" (2022), der vor kurzem in deutscher Übersetzung erschienen ist, erhielt sie den spanischen Buchhändlerpreis.
Sergio del Molino
Spanien und seine literarische Szene werden von zwei Städten dominiert: Madrid und Barcelona. Viele Regionen leiden unter Landflucht. Das Phänomen des "leeren Spaniens" beschrieb der Autor und Journalist Sergio del Molino in seinem Essay "La España vacía" (2016). Der 43-Jährige stieß damit eine Debatte über das Problem der Entvölkerung und des Stadt-Land-Gefälles an. Mittlerweile ist sein Buch zu einem Referenzwerk geworden, wenn es darum geht, das heutige Spanien zu verstehen.
Rosa Montero
Mit dem Schreiben begann Rosa Montero in jungen Jahren: Aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung konnte sie kaum etwas anderes tun, als zu lesen und eigene Geschichten zu verfassen. Die gebürtige Madrilenin schrieb in den 1970ern als eine der ersten Spanierinnen über feministische Themen und Frauenschicksale. Ihr Sachbuch "Das unsichtbare Leben. Porträts großer Frauen" (1997) enthält 15 Frauenporträts, von Frida Kahlo bis hin zur Bildhauerin Camille Claudel.
Antonio Muñoz Molina
Mit 15 teils verfilmten Romanen gehört Antonio Muñoz Molina zu den literarischen Schwergewichten Spaniens und ist einer der international erfolgreichsten Schriftsteller des Landes. In den 1950er-Jahren im ländlichen Andalusien aufgewachsen, widersetzte er sich dem väterlichen Wunsch, die traditionelle Feldarbeit fortzusetzen und wurde Schriftsteller - zur Freude seiner Fans. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Der Winter in Lissabon" (1987) und "Der polnische Reiter" (1991).
Arturo Pérez-Reverte
Arturo Pérez-Reverte ist einer der populärsten Schriftsteller Spaniens. In schier unerschöpflicher Produktivität schreibt der frühere Journalist einen Bestseller nach dem anderen. Seine Bücher wurden weltweit übersetzt, seine Stoffe mehrfach erfolgreich verfilmt und für Comics adaptiert. Sein größter Erfolg ist die Reihe um den furchtlosen "Capitán Alastriste". Darin mischt Pérez-Reverte Abenteuergeschichten mit der historischen Lebenswirklichkeit im Spanien des 17. Jahrhundert.
Elvira Sastre
Elvira Sastre gilt als Shootingstar der zeitgenössischen spanischen Literatur. Mehr als eine halbe Million Menschen folgen ihr auf Instagram. Dort postet die junge Lyrikerin Gedichte und zeigt ihre Poetry Slams. 1992 geboren, gehört sie zu einer Generation junger Autorinnen, die neue Formen und Themen in den Fokus rückt. Dazu gehört die Aufarbeitung der jüngsten spanischen Geschichte.
In ihrem Debütroman "Die Tage ohne dich" (2022) erzählt Sastre im Kontext zweier Liebesgeschichten, wie der spanische Bürgerkrieg der 1930er Jahre noch heute die Gesellschaft prägt. Für die junge Autorin ist der Blick auf die spanische Vergangenheit wichtig: "Nach und nach stirbt die Bürgerkriegs-Generation aus. Viele verängstigt, ohne je darüber gesprochen zu haben. Das ist traurig".
Irene Solà
Irene Solà, Jahrgang 1990, ist im "leeren Spanien" aufgewachsen. Nach Studienaufenthalten in Brighton, London und Reykjavik kehrte sie in ihr 272-Einwohner-Dorf zurück und arbeitet von dort aus als Schriftstellerin. Ihr Markenzeichen: eine polyphone und magische Natur. In ihrem Roman "Singe ich, tanzen die Berge" (2022) bekommt alles eine Stimme: der Sonnenaufgang, das Licht, die Wolken und die Tiere. Eine weitere Besonderheit der jungen Autorin ist, dass sie vorrangig auf Katalanisch schreibt, eine der Amtssprachen Spaniens. Damit ist Solà Teil einer Gruppe, die den literarischen Reichtum der Regionalsprachen wiederentdeckt.
Irene Vallejo
Mit ihrem Sachbuch "Papyrus: Die Geschichte der Welt in Büchern" (2022) gelang Irene Vallejo eine kleine Sensation. Ihr Essay über die Bücherwelt der Antike - eigentlich ein Nischenthema - wurde zum Publikumsliebling und zum Gewinner wichtiger Literaturpreise. Die promovierte Altphilologin Vallejo bezeichnet den Essay als einen "Liebesbrief an das Buch in der Antike". Mittlerweile wurde ihr Herzensprojekt in 35 Sprachen übersetzt und mehr als 40 Ländern veröffentlicht.