Ellipse und Labyrinth
14. Dezember 2009Das vielleicht erstaunlichste Phänomen des mexikanischen Filmwunders ist die scheinbar mühelose Verbindung zwischen Kunst und Kommerz. Filme wie "Babel", "Children of men" oder "Pans Labyrinth" sind international an den Kinokassen erfolgreich, verzücken aber auch die Kritik. Seit nunmehr zehn Jahren haben sich ein paar Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler aus dem mittelamerikanischen Land an vorderster Front des Weltkinos etabliert, treten regelmäßig auf Festivals auf, räumen Preise ab, sind aber auch in vielen Ländern der Erde an den Kassen erfolgreich.
Band 15 der von der "edition text + kritik" herausgegebenen Reihe "Film-Konzepte" ist dieser "Neuen Welle" des mexikanischen Kinos gewidmet. In den schmalen, meist nur 100 Seiten umfassenden Bänden der seit 2006 erscheinenden Filmbuchreihe werden Schlaglichter auf Schauspieler, Regisseure oder eben nationale Kinematografien geworfen. Das Konzept ermöglicht es den Autoren auch auf relativ aktuelle Entwicklungen des internationalen Kinos einzugehen.
Durchbruch mit "Amores Perros"
Schließlich ist es gerade einmal neun Jahre her, dass "Amores Perros", das fulminante Debüt des damals 37jährigen Regisseurs Alejandro Gonzáles Inárritu, die internationale Filmwelt beglückte. Für Roman Mauer, der in dem Band ein Kapitel über Gonzáles Inárritu beigsteuert hat, steht der Film am Anfang des Nuevo Cine Mexicano: "Amores Perros bündelt die stilistischen Entwicklungen im Autorenkino der 1990er Jahre zu einer kraftvollen Synergie: den neuen Realismus in den Miliestudien einerseits, das episodische Erzählen paralleler Lebenswelten andererseits - zwei Trends, welche die Künstlichkeit der Postmoderne und die linearen Heldenreisen zurückgedrängt haben", schreibt Mauer. Gonzáles Inárritu bestätigte sein Debüt mit den Nachfolgefilmen "21 Grams" und dem mehrfachen Oscargewinner "Babel".
Mexiko und Hollywood
Auch den Regiekollegen Alfonso Cuarón und Guillermo del Toro gelang es, den mexikanischen Wurzeln treu zu bleiben, ihren kulturellen Background aber selbst dann nicht zu verleugnen, wenn sie mit großem Budget in Hollywood drehten. Sie schafften es sogar mit Stars wie Brad Pitt, Clive Owen oder Daniel Radcliff zu arbeiten, ohne sich damit einem seelen- und geistlosen Hollywood-Mittelmaß zu verkaufen. Cuarón, der seine Visitenkarte 2001 mit der wunderbaren Freiheits- und Adoleszenzstudie "Y tu mamá también - Lust for Life" abgegeben hatte, glänzte in den USA mit der Großproduktion "Children of Men" und musste sich sogar für seinen Beitrag zur Harry Potter-Serie ("H.P. and the Prisoner of Azkaban", 2004) nicht schämen.
Del Toro, der sein frühes mexikanisches Debüt 1993 mit dem phantastisch-mystischen "Cronos" abgeliefert hatte, etablierte sich in Hollywood mit Schockern wie "Hellboy" oder "Mimic". Und wer da schon gedacht hatte, dieser Meister des schaurigen Effekts würde den Verlockungen der Kinomaschienerie Hollywoods erliegen, den überraschte Del Toro 2006 mit "Pan's Labyrinth". Die düster-surrealistische wie faszinierde Studie über die Nachwehen des spanischen Bürgerkriegs gewann drei Oscars.
Außergewöhnlicher Stilist
Eine ganz andere Richtung schlug der vierte im Band vorgestellte Regisseur Carlos Reygadas ein. Für Wolfgang Martin Hamdorf "ein ungewöhnlicher Filmemacher, auch innerhalb eines so ungewöhnlichen Filmlandes wie Mexiko". Reygadas hat sich mit nur drei Filmen ("Japón", "Batalla en el cielo" und "Stellet Licht") den Ruf als visuell außergewöhnlicher Verteter des mexikanischen Kinos erworben: "Seine ganz eigene Synthese aus Transzendenz und Realismus ensteht in einer gekonnten Mischung aus Natürlichkeit der Laienschauspieler, einer fast metaphorischen Stilisierung und einer exzellenten Beobachtung der Details!".
Porträts der Schauspieler Salam Hayek und Gael García Bernal sowie des Autors Guillermo Arriaga runden den Band ab. Die Texte sind allesamt gut lesbar, ermöglichen einen kurzen und prägnanten Blick auf das Schaffen der vorgestellten Filmkünstler. Dabei stehen die Filme des "Nuevo Cine Mexicano" nicht isoliert da, das machen die sieben Autoren des Bandes immer wieder deutlich. Vor allem zahlreiche Bezüge zur Tradition des mexikanischen (Luis Bunuel) und des europäischen Films (Dreyer etc.) werden herausgearbeitet. So verschafft der Band "Die jungen Mexikaner" dem Leser einen kompakten und höchst aufschlußreichen Einblick in eine der aufregensten und phantasievollsten Kinonationen, die es derzeit gibt.
Film-Konzepte 15, "Die jungen Mexikaner", hrsg. von Thomas Koebner und Fabienne Liptay, Edition text + kritik, 112 Seiten, 17,80 Euro, ISBN 3-86916-025-X; (der gerade erschienene Band 16 der Reihe widmet sich dem irischen Filmregisseur Neil Jordan)
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Conny Paul