Energiesicherheit kann es nur langfristig geben
28. Mai 2014Wenn vom Schiefergas die Rede ist, dann fällt in der Regel schnell das Wort Revolution. Die USA haben es vorgemacht und sind dank des sogenannten 'fracking' auf dem besten Weg, unabhängig von Erdgasimporten zu werden. Andere Länder machen es ihnen nach. Ob Australien, China oder Polen – die Möglichkeit, zuvor unerreichbare Erdgasvorkommen auszubeuten, hat in vielen Ländern eine Entwicklung ausgelöst, die an den Öl-Rausch nach dem ersten Weltkrieg erinnert.
Gas ist in Europa inzwischen um ein Vielfaches teurer als in den USA. Doch die in den vergangenen Jahren in Europa geführte Diskussion um Energiepreise und Wettbewerbsvorteile wird im Zuge der Krise in der Ukraine um einen weitaus wichtigeren Aspekt ergänzt: Die Versorgungssicherheit.
"Seit einigen Wochen ist Energiesicherheit kein mittelfristiges und kein langfristiges Thema mehr, sondern kurzfristig aktuell", stellt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem 'Energy Security Summit 2014' fest, das die Münchner Sicherheitskonferenz gemeinsam mit dem Frankfurter Allgemeine Forum in Berlin veranstaltete. "Die Ukraine-Krise hat das Thema zum aktuellen Brennpunkt der Politik gemacht."
EU ist von Russland abhängig
Insgesamt deckte Russland nach Informationen der EU-Statistikbehörde Eurostat im Jahr 2010 rund 35 Prozent der Rohöl-, etwa 32 Prozent der Erdgas- und 27 Prozent der Steinkohleimporte aller EU-Mitgliedstaaten ab. Deutschland kauft 38 Prozent seiner Gasimporte in Russland ein, dazu kommen rund 35 Prozent der deutschen Erdöl-Importe. Die drei baltischen Staaten, die Slowakei, Finnland und Bulgarien und damit sechs Mitgliedstaaten der EU hängen zu beinahe 100 Prozent am russischen Gas. In Tschechien ist die Situation kaum besser.
Steinmeier erinnert sich, dass er schon 2006 während seiner ersten Amtszeit als Bundesaußenminister darauf hingewiesen hatte, dass Energiepolitik "ganz unmittelbar ins Kerngeschäft der Außen- und Sicherheitspolitik" gehöre. "Was damals noch Kopfschütteln und Schulterzucken ausgelöst hat, das ist jetzt in der Ukraine-Krise ganz offensichtlich greifbar."
Russland droht und will Weltmacht sein
Während die früheren Gas-Krisen in der Ukraine 2006 und 2009 für sich alleine standen und lösbar waren, ist der aktuelle Gasstreit Gegenstand einer größeren politischen Auseinandersetzung. Wie akut die ist, wird in der Bemerkung des Vorsitzenden des Energieausschusses der Russischen Staatsduma, Iwan Gratschow, deutlich. "Russland und Europa kommen jetzt an einen Punkt, dass nur eine ganz geringe Abweichung von den geschäftlichen Regeln uns zu einer Katastrophe führen könnte", sagte er auf dem 'Energy Security Summit'. Es sei aber auch möglich, "zu einer ganz großen Sache" zu kommen, schob er nach. Kompromisse könnten im Meinungsaustausch gefunden werden.
Gratschow wehrt sich gegen Vorwürfe, Russland missbrauche die Energieexporte in die EU als politisches Instrument. Das sei noch nie der Fall gewesen, Russland habe seine Verträge immer erfüllt. Das Land hat die größten Gasreserven der Welt, vor allem in Westsibirien wird der Rohstoff in riesigen Mengen aus dem Boden geholt und über ein sehr gut ausgebautes Pipeline-Netz bis nach Europa transportiert. Die Hauptleitungen führen über die Ukraine und Weißrussland, seit 2011 ist die Nord-Stream-Pipeline unter der Ostsee in Betrieb.
Aus den Rohstoffvorkommen seines Landes leitet Gratschow einen unmissverständlichen Anspruch ab: "Russland wird eine Energie-Weltmacht sein." Energie sei ein Schlüsselmoment und das Vorhaben, den Verbrauch zu senken, eine Utopie, da sei er sich als Physiker sicher. "Fortschritt und steigender Energieverbrauch sind nicht voneinander zu trennen und Russland kann dazu beitragen, den Energiehunger zu stillen."
EU sucht die Unabhängigkeit
Die Pläne der Europäer unabhängiger von russischem Gas zu werden, beobachten die Russen mit Misstrauen. Die EU sucht bereits seit Jahren nach alternativen Routen für Pipelines und hat bereits weitere Lieferanten gefunden. Das hat den russischen Anteil an den Gasimporten von 45 Prozent im Jahr 2003 bereits deutlich gesenkt. EU-Energiekommissar Günther Oettinger schlägt nun vor, die Infrastruktur in den Mitgliedstaaten weiter zu verbessern, Energie effizienter zu nutzen und die eigenen Ressourcen besser auszubeuten. Unter anderem soll der Bau von Terminals für Flüssiggas vorangetrieben werden. An solchen Stationen kann Erdgas umgeschlagen werden, das per Schiff zum Beispiel aus den Golfstaaten nach Europa transportiert werden könnte.
Doch diese Maßnahmen sind Zukunftsmusik. Daran lässt auch Außenminister Steinmeier keinen Zweifel. "Niemand mache sich vor, dass wir das Problem kurzfristig lösen können, beispielsweise mit Schiffen, die Flüssiggas aus Texas, Ohio oder Katar anliefern." Die akute Bedrohung der Energiesicherheit könne damit weder entspannt, noch die Situation entschärft werden. "Die notwendige technologische und regulatorische Entwicklung, die wir brauchen, um etwas zu verändern, die ist nicht innerhalb von 14 Tagen und auch nicht innerhalb von zwei Jahren zu haben."
EU und Russland müssen sich arrangieren
So wird Europa jenseits aller Pläne für mehr Diversifizierung bei den Gaslieferungen, für die Einrichtung neuer Versorgungssysteme und jenseits des Vorhabens, mehr Energie einzusparen und effizienter zu werden, kurzfristig nicht darum herumkommen, sich mit Russland zu arrangieren. "Selbst in Zeiten des Kalten Krieges ist es uns über viele Jahre gelungen, die Energielieferungen aus den großen politischen Systemkonflikten herauszuhalten", appelliert Steinmeier.
Störungen in der Energieversorgung richte Schaden auf allen Seiten an. Energiepolitik und Energielieferungen dürften nicht zum Gegenstand des großen politischen Konflikts zwischen Ost und West werden. "Ich glaube auch, dass Russland schlicht aus ökonomischen Gründen ein Interesse daran hat, dass die wirtschaftliche und die energiewirtschaftliche Zuverlässigkeit des Landes nicht in Frage steht."