Senator Obama vs. President Obama
14. August 2013Macht verändert Menschen - und macht dabei auch vor Präsidenten nicht halt. Das neueste Projekt der New Yorker Non-Profit Nachrichtenredaktion ProPublica zeigt, wie gravierend sich Barack Obama verändert hat, seit er 2009 das Präsidentenamt übernahm. Im Fokus: seine Haltung zur staatlichen Überwachung. Die öffentlich verfügbaren Informationen darüber haben die Redakteure von ProPublica zusammengetragen.
Noch vor fünf Jahren, so stellte sich dabei heraus, hat Obama, damals Senator von Illinois, eine Reihe von Gesetzen befürwortet, die die Befugnisse der National Security Ageny (NSA) beschränken. Jetzt, fünf Jahre später, haben die Aktionen des Ex-NSA-Angestellten Snowden zu einem rigorosen Wandel der Debatte geführt: Während das Repräsentantenhaus jüngst eine Reihe von ähnlichen Einschränkungen für die NSA vorgeschlagen hat, wurden diese von Obama umgehend abgeblockt.
Präsidialer Wankelmut
Ein recht offensichtlicher Rollenwechsel - und Grund für den Präsidenten, auf einer Pressekonferenz zum Gegenangriff überzugehen, als er nach seiner "veränderten" Sicht auf die NSA-Programme gefragt wird: "Ich habe meinen Standpunkt bezüglich der tatsächlichen Programme nicht verändert", war die Antwort. Und: Als Präsident habe er die staatlichen Überwachungsprogramme ausgewertet, für eine verbesserte Aufsicht gesorgt, und sei nun der Meinung, dass sie es "wert seien, beibehalten zu werden".
Die Autorin des ProPublica-Artikels, Kara Brandeiski, sagt, dass sich Obamas Gesinnungswandel einerseits durchaus durch öffentliche Quellen belegen lasse - dass jedoch dessen wahre Bedeutung erst mit dem Fall Snowdens deutlich wurde: "Obamas Unterstützer waren bereits 2008 verärgert, als er im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes seine Haltung zu einem der Überwachungsgesetze änderte", so Brandeiski im DW-Interview. "Mittlerweile wissen wir, dass es jenes Gesetz war, das auch das Prism-Programm ermöglicht hat."
Obamas öffentliche Meinungswechsel - insgesamt sieben - werden von ProPublica detailliert aufgelistet: Noch als Senator wollte Obama die Aktivitäten der NSA in puncto Massendatenspeicherung beschränken. "Mithilfe eines entsprechenden Gesetzes wäre die Regierung dazu gezwungen gewesen, nachzuweisen, dass sie an Aufzeichnungen über einen spezifischen 'verdächtigten Agenten einer fremden Macht' Interesse hätte - und nicht an den Daten aller Amerikaner", so Brandeiski, mit Blick auf die weitreichenden Aktivitäten der NSA. "Ich glaube, dies ist bis jetzt der stärkste Meinungswechsel."
Gesetzesänderungen für mehr Aufsicht: abgelehnt
2007 war Obama Teil einer Gruppe von Senatoren, die die Datensammler der Regierung dazu zwingen wollten, nur mit richterlicher Genehmigung Nachrichten von oder an US-Bürger abhören zu dürften. Diese Gesetzesänderung bekam aber nicht die nötige Mehrheit im Senat, worüber sich Obama später als Präsident möglicherweise gefreut hat - schließlich unterstützte er nun öffentlich das Prism-Programm, das genau derartige Datensammlungen vorgenommen hat.
Andere Gesetzesänderungen, die Obama als Senator noch befürwortet, als Präsident jedoch abgelehnt hatte, betreffen das die Herabstufung der Geheimhaltung von Dokumenten, die Möglichkeit für Angeklagte, staatliches Überwachungsmaterial rechtlich anzufechten, und den Zwang für exekutive Einrichtungen der Regierung, Überwachungsmaßnahmen dem Kongress zu melden.
Obama, der politisch Gefangene
Jeffrey Chester, Geschäftsführer einer Washingtoner Nichtregierungsorganisation für digitale Rechte, dem "Zentrum für digitale Demokratie", zeigt Verständnis für die Lage des Präsidenten: "Ich glaube, er steht unter unglaublichem Druck", so Chester im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Er wird von seinen Kritikern bedrängt, und zweifellos auch vom militärischen Aufklärungsapparat - dem Pentagon und der NSA." Laut Chester war Obamas Richtungswechsel nahezu unausweichlich: "Für Obama ist es politisch sehr viel sicherer, sich auf eine Seite mit dem militärischen Establishment zu stellen." Er wolle seinen politischen Gegnern nicht in de Hände spielen, und "ich glaube, er sieht Nutzen in dieser Art von Überwachung."
Dieses Verständnis für Obamas Gesinnungswandel teilt Drew Mitnick von der Organisation für die Sicherheit digitaler Daten "Access Now" nicht. Im DW-Interview nennt er es "Ironie, dass Obama ein großer Befürworter vieler Reformen war, für die sich diese Organisation einsetzt. Mit diesen Dingen hat er Wahlkampf gemacht. Nicht zu vergessen sein Job als Dozent für Verfassungsrecht, bevor er Präsident wurde. Das war damals schließlich etwas, was er zu seinem eigenen Vorteil genutzt hatte - zu sagen, dass er Verfassungsexperte sei, eine Tatsache, die Grundlage war für die Ämter, die er innehatte."
Für Chester handelt es sich um nicht mehr als eine politische Gleichung: "Nach Obamas Rechnung lohnen sich die NSA-Programme, wenigstens potenziell, und der Lohn besteht darin, dass bestimmte Fälle von terroristischen Anschlägen verhindert werden könnten", so Chester. "Ehrlich gesagt glaube ich, dass Obama in diesem militärischen Sicherheitskomplex gefangen ist - als politisch Gefangener." Auch hier widerspricht Mitnick: "Es gibt Wege, die Sicherheit auch ohne eine globale Pauschal-Überwachung sicherzustellen. Genau deswegen hat er schließlich diese Position vor seiner Präsidentschaft auch vertreten."
Gelähmter Kongress
Wenn es um Gesetzesänderungen in Dingen nationaler Sicherheit geht, ist der Kongress aus naheliegenden Gründen im Nachteil - vor allem, weil der Präsident Zugang zu weit mehr Informationen hat, als es bei "normalen" Senatoren der Fall ist.
Ein Umstand, der jedoch erst mit dem Fall Snowden so richtig ans Licht gekommen ist, sagt Brandeiski: "Kongressabgeordnete haben sich darüber beschwert, dass sie nicht ausreichend über die NSA-Programme informiert wurden." Und: "Da so viel der Geheimhaltung unterliegt, ist der Gesetzgeber eingeschränkt, wenn es darum geht, diese Dinge öffentlich zu diskutieren."
Vor Snowdens Enthüllungen war das Thema der öffentlichen Überwachung einfach kein Fall für die Politik; nun jedoch ist Mitnick sicher, dass Reformen folgen werden. "Der politische Diskurs hat sich verändert. Ich denke, jetzt ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass wir Veränderungen sehen werden." Auch Jeff Chester begrüßt es, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt: "Es ist sehr schwierig, ein gesundes Mittelmaß zu finden; wir sehen ja, wie sich der Konflikt auswirkt." Das sei zugleich aber auch der positive Effekt: "jetzt haben wir eine Debatte darüber."