Entlassung Woloschins stärkt die Petersburger im Kreml
31. Oktober 2003Die "Akte Yukos" - wie der Konflikt um den größten Öl-Konzern des Landes in den russischen Medien heißt - hat inzwischen den Kreml erreicht: Am späten Donnerstag Abend (30.10.2003) entließ Präsident Putin seinen Stabschef Alexander Woloschin. Medienberichten zufolge hatte dieser bereits nach der Verhaftung Chodorkowskis zum Zeichen der Kritik am Vorgehen der russischen Ermittler seinen Rücktritt eingereicht.
Woloschin: ein Mann Jelzins und der Oligarchen
Woloschins Abschied aus dem Kreml ist mehr als nur eine bloße Personalentscheidung: Er hatte den Posten als Leiter der mächtigen Präsidialverwaltung schon unter Putins Vorgänger Jelzin inne und galt als dessen enger Vertrauter. Woloschin besaß auch sehr gute Kontakte zu der in der Jelzin-Zeit reich und mächtig gewordenen Gruppe der "Oligarchen". Das ist Russlands kleiner Zirkel von milliardenschweren Großindustriellen, die aus ihrer Nähe zu Präsident Jelzin und dessen Familie Kapital zu schlagen wussten: Sie hatten sich Mitte der 1990er Jahre in umstrittenen Privatisierungsgeschäften des Staates die Großindustrie und Rohstoffressourcen angeeignet - häufig für einen Bruchteil der heutigen Vermögenswerte. Yukos-Chef Michail Chodorkowski war einer von ihnen.
Die Verhaftung Chodorkowskis und die Entlassung Woloschins markieren einen klaren Einschnitt in der Amtszeit von Präsident Putin: Damit hat sich Putin einer der letzten personellen Fesseln der Jelzin-Ära entledigt. Er kann gestärkt seiner - sehr wahrscheinlichen - zweiten Amtszeit nach den Wahlen im März 2004 entgegensehen.
Sieg der Geheimdienstler?
Gestärkt wird durch die Entlassung Woloschins nicht nur Präsident Putin selbst. Einen deutlichen Machtgewinn erfährt dadurch auch die Gruppe von Personen, die Putin seit seinem Amtsantritt in hochrangige Staats- und Regierungspositionen gebracht hat. Sie gelten als kremltreu und stammen häufig aus Putins Heimatstadt St. Petersburg. Jüngstes Beispiel ist Woloschins Nachfolger Dmitri Medwedjew, mit dem Putin schon in seiner Zeit als Stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg zusammengearbeitet hat.
Sehr viele von Putins Vertrauten haben zu Sowjetzeiten - ähnlich wie Putin selbst - für die Sicherheitsdienste und den Geheimdienst KGB gearbeitet. Vor allem mit ihrer Hilfe hat Putin die Zügel im Land angezogen und nach Meinung vieler Kritiker eine "gelenkte Demokratie" geschaffen. Die Entlassung Woloschins könnte die autoritären Tendenzen in der russischen Innen- und Wirtschaftspolitik weiter verschärfen. Auch, wenn Woloschins Nachfolger Medwedjew selbst keine KGB-Vergangenheit hat und eher als pragmatischer Reformer gilt.
Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen sind noch unklar, doch kann das harte Vorgehen gegen Chodorkowski als ein weiterer Beleg für fehlende Rechtsgarantien im russischen Wirtschaftsleben und die Abhängigkeit der Geschäftswelt vom Staat dienen. Das wird nicht nur ausländische Investoren verunsichern, sondern vor allem die russischen Unternehmer, die begonnen hatten, ihr Fluchtkapital ins Land zurückzuholen. Putin muss sie mit Taten und nicht nur mit Worten davon überzeugen, dass sein vor Investment-Bankern geäußertes Bekenntnis zur liberalen Wirtschaftspolitik ernst gemeint war.