Entsetzen über Urteil gegen Al-Dschasira-Journalisten
29. August 2015"Wir sind in Ägypten. Alles ist möglich": Vielleicht hatte Baher Mohammed den schlechten Ausgang des Prozesses erahnt. Vielleicht hatte er aber auch eine realistische Sicht auf den Zustand der ägyptischen Justiz, als er sich kürzlich im Gespräch mit der Deutschen Welle nicht allzu optimistisch über das nun ergangene Urteil äußerte: Er und seine beiden Mit-Angeklagten, die ebenfalls für Al-Dschasira arbeitenden Journalisten Mohamed Fahmy und der im Februar dieses Jahres nach Australien ausgewiesene Peter Greste wurden zu drei Jahren Haft verurteilt.
Baher Mohammed und Mohamed Fahmy werden ihre Haftstrafe in Ägypten antreten müssen. Das Gericht hatte sie für schuldig befunden, die als terroristisch eingestufte Muslimbruderschaft zu unterstützen. Außerdem hätten die Journalisten "Unwahrheiten" verbreitet. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.
Al-Dschasira reagierte umgehend auf das Urteil. "Der heutige Richterspruch fordert Logik und den gesunden Menschenverstand heraus", sagte Mostefa Soua, einer der Direktoren des Senders. "Das Urteil ist ein weiterer Angriff auf die Pressefreiheit. Es ist ein dunkler Tag für die ägyptische Justiz. Anstatt die Freiheit und faire und freie Medien zu verteidigen, hat sie ihre Unabhängigkeit politischen Zielen geopfert."
Zweifel an Rechtsstaatlichkeit in Ägypten
Das Urteil hat weltweit Empörung ausgelöst. Das kanadische Außenministerium forderte die sofortige Freilassung des kanadischen Staatsbürgers Mohammed Fahmy. "Diese Entscheidung untergräbt auf ernsthafte Weise das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit in Ägypten", heißt es auf der Internetseite des Ministeriums.
Die australische Außenministerin Julia Bishop erklärte, sie sei "bestürzt" durch das Urteil. Man werde weiterhin "alle diplomatischen Wege" nutzen, um Grestes Unschuld zu beweisen.
Auch Amnesty International kritisierte das Urteil. Philip Luther, der Nahost- und Nordafrika-Verantwortliche der Menschenrechtsorganisation, sprach von dem Urteil als einer "Farce, die auf das Herz der Redefreiheit in Ägypten zielt."
"Reporter ohne Grenzen" sprach von einem "beschämenden 'politischen' Urteil". Die Organisation veröffentlicht einen jährlichen Index der Pressefreiheit. Der Index des Jahres 2015 umfasst 180 Länder. Ägypten befindet sich auf Rang 158. Diesen Platz hält das Land seit drei Jahren unverändert. Im Jahr 2010, also vor der Revolution von 2011, lag Ägypten auf Rang 127. Damals umfasste die Liste noch 173 Länder.
18 Journalisten in Haft
Nach Recherchen des internationalen "Committee to Protect Journalists" befinden sich in Ägypten derzeit mindestens 18 Journalisten berufsbedingt in Haft. "Das Androhen einer Gefängnisstrafe ist Teil einer Atmosphäre, in der die Behörden Druck auf Medien ausüben, um kritische Stimmen zu zensieren und ein Schweigegebot zu heiklen Themen durchzusetzen", schreibt die Organisation.
Den meisten der derzeit inhaftierten Journalisten wurde vorgeworfen, mit den Muslimbrüdern zusammenzuarbeiten.
Fragwürdiges Anti-Terror-Gesetz
Mitte August hatte Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi ein Anti-Terror-Gesetz unterzeichnet, das auch Schritte gegen Journalisten zulässt. Weicht ihre Darstellung einer Straftat von der offiziellen ab, können sie zu einer Geldstrafe von umgerechnet fast 23.000 Euro verurteilt werden. In Fällen, die das Gericht als besonders schwerwiegend ansieht, kann sich diese Strafe mehr als verdoppeln. Ursprünglich war sogar vorgesehen, Journalisten für diese "Vergehen" zu Haftstrafen verurteilen zu können. Angesichts massiver Proteste war dieser Passus aber wieder gestrichen worden. Doch auch so bietet das Gesetz dem Staat eine breite Grundlage, um gegen kritische Journalisten vorzugehen. Der nicht präzise definierte Begriff "Terrorismus" erlaubt es, darunter die unterschiedlichsten Handlungen und Äußerungen zu fassen - und entsprechend gegen unliebsame Journalisten wie auch andere Personen vorzugehen.
Auch gegen Zeitungen geht die ägyptische Justiz vor. So berichtete die liberale, in London erscheinende arabische Zeitung "Al-araby al-jadeed" vor wenigen Tagen, die ägyptische Tageszeitung "Al-Misriyoun" habe nicht gedruckt werden dürfen, weil sie sich kritisch mit der religiösen Rhetorik in Al-Sisis Reden auseinandergesetzt habe. Auch habe sie in einem Text über eine angebliche Verzögerung einer Reise Al-Sisis nach Großbritannien berichtet. Der Grund, "Al-Misriyoun" zufolge: Der ägyptische Präsident befürchte, man werde in Großbritannien juristisch gegen ihn vorgehen. Auch die Zeitung "Al-Sabah" habe nicht erscheinen dürfen. Sie hatte sich kritisch über ein Interview eines der Regierung nahestehenden Politikers geäußert.
Auch Sängerinnen stehen vor Gericht
Die ägyptische Justiz geht aber nicht nur gegen Journalisten vor. Nachdem sie in diesem Jahr in mehreren Prozessen hunderte Mitglieder der islamistischen Muslimbrüder zum Tode verurteilt hatte, richtete sie sich zuletzt auch gegen Popmusiker. Anfang Juni erhob sie Anklage gegen drei in Ägypten populäre Sängerinnen: Rida al-Fouly, Suha Muhammed Ali und Dalia Kamal Yousseff. Die drei hätten in ihren jeweiligen Werken "Unmoral und mangelnden Anstand" erkennen lassen - "Vergehen", die in Ägypten mit Haftstrafen zwischen drei Monaten und drei Jahren geahndet werden können. Die Bauchtänzerin Rida al-Fouly wurde für ein Video in einem knappen Outfit zu einem Jahr Haft verurteilt. Die ägyptische Justiz kennt derzeit viele Vergehen.