Populisten-Triumph erzürnt die EU
10. Februar 2014Die von den Bürgern des Alpenlandes befürwortete Initiative "verletzt das Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der Europäischen Union und der Schweiz", stellte die EU-Kommission unmissverständlich klar. Zugleich kündigte sie an, nun die Folgen "für die Gesamtbeziehungen" zu analysieren. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, betonte: "Man kann nicht alle Vorteile des großen europäischen Binnenmarktes für sich in Anspruch nehmen, sich dann aber teilweise raustun." Das werde man jetzt mit der Schweiz diskutieren müssen, so der deutsche Sozialdemokrat. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), meinte: "Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen." Es dürfe nicht sein, dass sich hier "Rosinenpickerei" durchsetze.
Von Seiten der deutschen Bundesregierung wurde die Entscheidung der Schweizer bedauert: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble prognostizierte: "Das wird eine Menge Schwierigkeiten für die Schweiz verursachen." Die deutsche Politik solle jedoch auch Lehren aus dem Ergebnis des Referendums ziehen. "Es zeigt natürlich ein bisschen, dass in dieser Welt der Globalisierung die Menschen zunehmend Unbehagen gegenüber einer unbegrenzten Freizügigkeit haben", sagte der christdemokratische Politiker. Und er fügte hinzu: "Ich glaube, das müssen wir alle ernst nehmen."
Denkbar knappes Votum
Die Initiative "Gegen Masseneinwanderung" war von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) eingebracht worden, die im Zuzug von Ausländern die Ursache für viele Probleme in der Schweiz sieht. SVP-Chef Toni Brunner sprach nach der Abstimmung von einer Wende in der Schweizer Einwanderungspolitik.
So sollen künftig die einzelnen Kantone des Landes eine Höchstzahl von Zuwanderern festlegen. Die Befürworter der Initiative erhielten - zur allgemeinen Überraschung - 19.500 Stimmen mehr als die Gegner, was letztlich 50,3 Prozent "Ja"-Stimmen bedeutete. Die Schweizer Regierung, die örtliche Wirtschaft und die Parteien, mit Ausnahme der SVP, hatten die aus ihrer Sicht schädliche Initiative bekämpft.
Seit dem Inkrafttreten des Abkommens über freien Personenverkehr mit der Europäischen Union 2002 haben sich jährlich 80.000 EU-Bürger in der Schweiz niedergelassen - zehn Mal so viele wie die Regierung in Bern einst vorhergesagt hatte. Mit gut 23 Prozent (knapp 1,9 Millionen Menschen) hat das Land einen besonders hohen Ausländeranteil - verursacht nicht zuletzt durch den Bedarf Schweizer Firmen an Fachkräften. Etwa 300.000 Bewohner der Schweiz sind Deutsche.
Die "Guillotine-Klausel"
Seit rund einem Jahrzehnt konnten EU-Bürger problemlos in das Nicht-EU-Land Schweiz ziehen, wenn sie dort einen Arbeitsplatz haben. Das entsprechende Abkommen ist Teil eines Vertragspaketes mit der Europäischen Union, das der Schweizer Wirtschaft bislang auch den freien Zugang zum riesigen EU-Markt sichert. Dieser Zugang gilt als ein Hauptfaktor für den Wirtschaftsboom in der Schweiz. Aufgrund der "Guillotine-Klausel" - ein Vertrag kann nicht einzeln gekündigt werden - steht nun ein Paket von insgesamt sieben Verträgen zwischen der Schweiz und der EU auf dem Spiel.
Bei anti-europäischen Parteien in der EU sorgte die Entscheidung der Schweizer drei Monate vor der Europawahl für regelrechte Begeisterung. "Das sind wunderbare Nachrichten für die Anhänger von staatlicher Souveränität und Freiheit in ganz Europa", meinte etwa der Vorsitzende der United Kingdom Independence Party (UKIP), Nigel Farage. Und der Vize-Chef der französischen Partei Front National, Florian Philippot, lobte: "Gut gemacht, Schweiz! Eine echte Demokratie!"
wa/SC (afp, dpa, rtr)