Entwicklungshilfe kürzen - oder ausweiten?
11. Januar 2017Die Forderung kommt inzwischen aus der Union genauso wie aus der SPD: Länder, die ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen, sollen weniger Entwicklungshilfe bekommen. Spektakulärster Anlass war der Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri. Der Tunesier sollte schon lange aus Deutschland abgeschoben werden, das scheiterte aber an bürokratischen Hürden. Anfangs hatte ihn Tunesien gar nicht als seinen Staatsbürger anerkannt. Dann zog sich die Beschaffung der notwendigen Papiere über Monate hin - bis zum Attentat.
Das Vorgehen scheint Methode zu haben. Die Asylanerkennungsquote von Personen aus den drei Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien ist verschwindend gering. Trotzdem gelingt es Deutschland meist nicht, abgelehnte Asylbewerber zurückzuschicken, weil die Herkunftsstaaten sie nicht zurücknehmen. Beispiel Tunesien: 2015 und 2016 gab es jeweils etwa 900 Asylanträge von Tunesiern. Weniger als ein Prozent von ihnen wurden anerkannt. 2015 wurden aber nur 17 Tunesier abgeschoben, 2016 immerhin 117. Dabei war Innenminister Thomas de Maizière vor knapp einem Jahr in den drei Ländern gewesen, um das Problem zu lösen, hatte aber nur vage Zusagen einer besseren Zusammenarbeit bei Rückführungen mit nach Hause genommen.
Jetzt wollen führende Regierungspolitiker andere Saiten aufziehen. De Maizière selbst meint enttäuscht: "Die Bereitschaft von Staaten, ihre eigenen Bürger zurückzunehmen, muss verknüpft werden mit anderen Politikfeldern, und dazu gehört auch die Entwicklungshilfe." Sein sonst in Migrationsfragen zurückhaltender SPD-Ministerkollege Heiko Maas vom Justizressort ereifert sich, es könne nicht angehen, dass Deutschland als Bittsteller bei den betreffenden Staaten auftrete: "Wer nicht kooperiert, wird sanktioniert." Und SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erklärt: "Wer hier nicht ausreichend kooperiert, kann nicht auf unsere Entwicklungshilfe hoffen."
Ungewohnte Schützenhilfe
Doch alle, die das fordern, haben die Rechnung ohne den Wirt, nämlich den zuständigen Entwicklungshilfeminister Gerd Müller von der CSU gemacht. Die CSU ist sonst für ihre besonders harte Linie in Flüchtlingsfragen bekannt. Doch die Entwicklungshilfe zu kürzen würde deutschen Interessen schaden, glaubt Müller. In der "Passauer Neuen Presse" sagt er: "Die Menschen brauchen zuhause Arbeit und Zukunft, sonst kommen sie zu uns." Ein wirtschaftlicher Zusammenbruch, auch wegen ausbleibender Hilfe, "würde zu riesigen Problemen führen".
Schützenhilfe bekommt der CSU-Politiker von ungewohnter Seite, nämlich vom Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. In der "Mitteldeutschen Zeitung" nannte er eine Senkung der Entwicklungshilfe als Druckmittel "Unsinn" und meint: "Wir müssen vielmehr das Gegenteil tun und helfen, die Ursachen für Flucht und Vertreibung vor Ort zu bekämpfen."
Dirk Messner, der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, sieht die Sache differenziert. Messner ist nicht grundsätzlich gegen Kürzungen der Gelder, hält das aber nur dann für geeignet, wenn man damit die Regierungen und nicht die einfache Bevölkerung treffe. Er schlägt zum Beispiel eine Kürzung der Exportförderung vor, um Staatsführungen unter Druck zu setzen.
Um wieviel Geld geht es? Laut dem Entwicklungshilfeministerium zahlte Deutschland 2016 rund 1,1 Milliarden Euro an die Maghreb-Länder, den größten Teil in Form von Darlehen; das Geld ist also kein Geschenk. Es geht zum Beispiel um Aus- und Weiterbildungsprojekte, Energieprojekte, auch Rückkehrerprogramme werden damit finanziert. Es gibt außerdem seit einigen Jahren das Sonderprojekt "Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost". Damit will Deutschland mit den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit die Lebensbedingungen in der Region verbessern und einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten. In den Augen von Gerd Müller ist das gut angelegtes Geld, für beide Seiten.
Rückkehr ist Scheitern
Gerd Müller spricht sich keineswegs gegen Rückführungen aus, er will sie nur nicht mit der Entwicklungspolitik in Zusammenhang bringen. Die Bundesregierung solle "im Respekt" mit Marokko, Tunesien und Algerien Rückführungsabkommen aushandeln, die es bisher nicht gibt. Er hat auch Verständnis für die Forderung Marokkos und Tunesiens an Deutschland, die Herkunft zurückgewiesener Flüchtlinge eindeutig durch biometrische Daten festzustellen.
Tim Westerholt, Migrationsexperte bei der Caritas, weist noch auf einen weiteren Aspekt hin, der Rückführungen entgegenstehe. Junge Nordafrikaner versuchten mit allen Mitteln, in Europa zu bleiben, "weil zurückkehren schlichtweg für viele keine Option ist. Sie wollen schnell Geld verdienen, denn schließlich sind sie dafür teils von den Familien hierhergeschickt worden." Eine Rückkehr sei für sie Scheitern.
Müller wendet sich unterdessen nicht nur gegen eine Kürzung der Hilfe für afrikanische Staaten, er will sie ausweiten, und zwar deutlich. Bereits bei der CSU-Winterklausur vergangene Woche hatte er einen "Marshallplan mit Afrika" angekündigt, eine "wirtschaftlichen Zusammenarbeit in ganz neuer Dimension". Den Anfang dafür sollten die Maghreb-Staaten und Ägypten machen. "Unser Schicksal wird sich am Schicksal Afrikas entscheiden. Die Bevölkerung wird sich verdoppeln." Es sei aber keine Lösung, Millionen junger Menschen in Europa aufzunehmen. Daher müssten Perspektiven vor Ort geschaffen und afrikanische Länder zu Eigeninitiative motiviert werden. Länder, die sich in diese Richtung bewegten, sollten mehr Geld bekommen, Reformverweigerer weniger. Am 18. Januar will Müller das Konzept in Berlin vorstellen.