Er bleibt spannend: Michael Kohlhaas
8. August 2013Als Heinrich von Kleist vor zwei Jahrhunderten die Feder in die Hand nahm, um seine Novelle "Michael Kohlhaas" zu Papier zu bringen, griff er auf einen historischen Stoff zurück, der damals schon rund 250 Jahre zurücklag. Dass im Jahre 2013 gleich zwei Filme in die Kinos kommen, die Kleists Erzählung zur Grundlage genommen haben, ist also erstaunlich.
Premiere in Cannes
Bei dem einen Film handelt es sich um eine französische Produktion mit internationalem Staraufgebot. "Michael Kohlhaas" von Regisseur Arnaud des Pallières feierte im Mai in Cannes Uraufführung und kommt im Herbst (12.9.) in die deutschen Kinos. "Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel" des deutschen Nachwuchsregisseurs Aron Lehmann erreicht die Zuschauer schon im Sommer (Bundesstart ist der 8.8.).
Der Grund für die anhaltende Popularität der Kleist-Novelle dürfte zuallererst am Inhalt liegen. "Es geht um Grundfragen wie Recht und Gerechtigkeit. Kleist erzählt uns ein universelles Thema. Das zeichnet gute Literatur aus", meint Barbara Gribnitz vom Kleist-Museum im ostdeutschen Frankfurt an der Oder. Der "Kohlhaas" sei Kleists meistgelesene Novelle, sagt Gribnitz und verweist auch auf die vielen Übersetzungen.
Übersetzung in 30 Sprachen
Nachdem die Erzählung im 19. Jahrhundert zunächst in die großen Sprachen übersetzt wurde, kann man sie heute auch in Hebräisch, in Katalanisch, Lettisch oder Isländisch lesen. "Das Gesamtwerk Heinrich von Kleists liegt in nur drei Sprachen vor, in Französisch, Ungarisch und Japanisch", listet Barbara Gribnitz die Übersetzungen auf, "Michael Kohlhaas" dagegen in rund 30 Sprachen. Die große internationale Verbreitung der Novelle sei ein Beleg für das Interesse der Menschen an dem Stoff.
In der Novelle geht es um eine wahre Begebenheit, die sich Mitte des 16. Jahrhunderts in Brandenburg und Sachsen abspielte. Nachdem die arrogante adelige Obrigkeit dem Pferdehändler Hans Kohlhaase zwei Tiere entwendet hatte, setzte er sich damals gegen das ihm zugestoßene Unrecht zur Wehr. Kohlhaase versuchte es zunächst auf juristischem Weg. Als er keinen Erfolg hatte, griff er zu den Waffen und verübte blutige Rache an seinen Peinigern.
Auch Hollywood griff zu
Kleist schrieb Jahrhunderte später eine knappe Erzählung, machte aus Hans Kohlhaase Michael Kohlhaas. Nach seinem Erscheinen 1810 wurde die Novelle nicht nur in Deutschland vielfach aufgegriffen. Künstler und Schriftsteller, Filmregisseure und Theaterautoren nahmen sich des Textes an, auch Hollywood. In Deutschland verfilmte unter anderem Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff den Stoff.
Interessant sei, so Barbara Gribnitz, dass Kleists Novelle die wahre Geschichte überlagert habe: "In den Konversationslexika des 19. Jahrhunderts wie Brockhaus und Meyer erscheint unter dem Stichwort nicht die historische Persönlichkeit Hans Kohlhaase, sondern Michael Kohlhaas. Der Inhalt der Erzählung wird als historische Realität wiedergegeben."
Von Ideologen missbraucht
Später wurde der "Kohlhaas" von rechten wie linken Ideologen missbraucht. Während des Nationalsozialismus versuchten die braunen Machthaber Kleists Figur als frühen deutschen Recken mit starkem Gerechtigkeitssinn und nationalem Selbstbewusstsein zu stilisieren. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Kohlhaas von linken Ideologen als früher Sozialrevolutionär dargestellt. Barbara Gribnitz: "Es ist eine Instrumentalisierung der Interpretation- nicht so sehr des Textes. Beim Text ist es so, dass er unterschiedliche Deutungen zulässt, weil es ein offener Text ist, der verschiedene Perspektiven herausfordert, ohne eine Perspektive ganz schlüssig zu erklären."
Jüngste Beispiele für die anhaltende Popularität des Stoffes sind nun zwei Kinofilme. Für Nachwuchsregisseur Aron Lehmann stand Kohlhaas am Anfang gar nicht im Fokus. Als 2010 die Weltwirtschaftskrise die Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg erreicht habe, sei der Druck sehr groß gewesen, die Studienfilme schnell und ohne großes Budget zu realisieren, erzählt Lehmann.
Kein Geld für großen Historienfilm
Er habe für seinen Abschlussfilm nach einem großen, emotionalen Stoff gesucht. Als Sohn eines Buchhändlers habe es ihn zudem gereizt, einen historischen Text der deutschen Literaturgeschichte zu modernisieren. Da er aber nur über ein kleines Budget verfügte und keinen aufwendigen Historienfilm inszenieren konnte, hatte er die Idee, einen Regisseur beim verzweifelten Versuch zu zeigen, "Michael Kohlhaas" für die große Leinwand zu adaptieren. "Schon beim Lesen der ersten Seite hab ich gewusst, der Kohlhaas ist mein Regisseur."
In der Schilderung des Regisseurs werden viele Parallelen zur Titelfigur der Kleist-Novelle sichtbar. Lehmann ist mit seinem Debüt ein ebenso witziger wie vielschichtiger Film gelungen, der neben Anspielungen auf das Filmmilieu vor allem den Geist der Kohlhaasschen Figur atmet: "Mich hat vor allem die Sturheit der Figur fasziniert", sagt Lehmann. "Ich hoffe, dass sich der ein oder andere junge Kerl mit dem Michael Kohlhaas von Kleist beschäftigt."
Eine universelle Geschichte
Auch für den französischen Regisseur Arnaud des Pallières, der mit dem dänischen Superstar Mads Mikkelsen in der Titelrolle (unser Bild oben) eine eher klassische Kleistverfilmung für das Kino vorlegt, ist die literarische Figur Kleists ein Evergreen: "Diese Geschichte ist weder französisch noch deutsch, sondern universell." Arnaud des Pallières war von der Figur des wütenden Pferdehändlers fasziniert: "Diese Härte, die Kohlhaas ausmacht, hat mich erschüttert und erschüttert mich immer noch. Ein Mann siegt durch seinen Mut und Entschlossenheit, er hat die Möglichkeit, die Macht zu übernehmen und schlägt sie aus, weil er eine bestimmte moralische Haltung hat."
So sind beide Kohlhaas-Filme Beweis dafür, dass auch scheinbar verstaubt anmutende, klassische Literatur heutige Filmemacher noch inspirieren kann. Zum einen liegt es an der großen Kraft der Erzählung des deutschen Dichters Heinrich von Kleist. Zum anderen ist es die Erzählung von Mut und Widerstand, die dem Stoff eine zeitlose Gültigkeit verleiht.