Erdogan: Attentäter von Gaziantep war Kind
21. August 2016Ein Kind zwischen 12 und 14 Jahren habe die Tat von Gaziantep verübt, teilte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in einer vom Sender NTV übertragenen Ansprache mit. Es habe sich um einen "Selbstmordattentäter" gehandelt, der sich in die Luft gesprengt habe oder "gesprengt wurde", sagte Erdogan. Dass Minderjährige als Waffe eingesetzt werden, war bisher aus dem Irak und Syrien bekannt, nicht jedoch aus der Türkei. Die Zahl der Todesopfer sei auf 51 gestiegen, so der türkische Staatspräsident. 69 Menschen seien verletzt worden, davon 17 schwer. Der Anschlag ist damit der bislang blutigste in der Türkei in diesem Jahr.
Erste Hinweise deuteten darauf hin, dass die Terrormiliz IS die Drahtzieher des Anschlags seien, sagte Erdogan. Man sei schon in der Vergangenheit gegen IS-Zellen in Gaziantep vorgegangen und werde die Einsätze nun verstärken.
EU und NATO sagen Türkei Unterstützung zu
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und die EU-Kommission sicherten der Regierung in Ankara Solidarität und verstärkte Zusammenarbeit im Kampf gegen Terror zu. "Wir stehen in dieser schwierigen Zeit in Solidarität vereint mit unseren türkischen Verbündeten", erklärte Stoltenberg. "Wir bleiben fest entschlossen, Terrorismus in all seinen Formen zu bekämpfen." In einer gemeinsamen Erklärung von der EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn hieß es: "Wir sind zusammen in einem gemeinsamen Kampf."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrem Kondolenzschreiben an Ministerpräsident Binali Yildirim, dass die Bundesregierung "im Kampf gegen den Terrorismus weiter eng an der Seite der Türkei" stehe. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einem "grauenvollen Angriff". Bundespräsident Joachim Gauck versicherte in seinem Kondolenzschreiben an Staatspräsidenten Erdogan: "In Trauer sind wir mit Ihnen und Ihren Landsleuten vereint."
Der russische Präsident Wladimir Putin verurteilte die "Grausamkeit" und den "Zynismus" des Anschlags, US-Botschafter John Bass versprach Ankara "weitere enge Zusammenarbeit im Kampf gegen die terroristische Bedrohung". Auch der französische Präsident François Hollande verurteilte den "schändlichen Anschlag". Frankreich stehe an der Seite aller, die gegen den Terrorismus kämpfen, hieß es in einer Mitteilung des Élyséepalastes. Papst Franziskus bat auf dem Petersplatz in Rom für die Toten und Verletzten und um "das Geschenk es Friedens für alle" zu beten.
Augenzeuge: "Überall war Blut und überall lagen Körperteile"
Die Staatsanwaltschaft in Gaziantep teilte nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA mit, am Ort des Attentats seien die Überreste einer Sprengstoffweste gefunden worden. Die Detonation ereignete sich Sicherheitskreisen zufolge in einer großen Gruppe von Hochzeitsgästen, die im Beybahce-Viertel von Gaziantep auf der Straße feierten.
Augenzeugen sprachen von durch die Luft geschleuderten Metallteilen. Zahlreichen Opfern seien Körperteile abgerissen worden. "Überall war Blut und überall lagen Körperteile", berichtete ein 25-jähriger Augenzeuge. Das Brautpaar überlebte den Anschlag. "Sie haben unsere Hochzeit in ein Blutbad verwandelt", sagte die leicht verletzte Braut, Besna Akdogan, der Nachrichtenagentur Anadolu. Manche türkische Medien berichten, dass es eine Henna-Nacht war, die Nacht vor der eigentlichen Hochzeit, zu der sich vor allem Frauen versammeln. Tatsächlich waren nach ersten Berichten unter den mehr als 50 Toten viele Frauen und Kinder.
Anschlagsziel war kurdische Hochzeit
Nach Angaben der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP handelte es sich um die Hochzeit eines Parteimitglieds. "Viele Kurden haben ihr Leben verloren", erklärte die HDP. "Wir verurteilen und verdammen diejenigen, die diese Attacke verübt haben, und die Kräfte und Ideologien hinter ihrem Handeln." Der IS hat in der Vergangenheit wiederholt Angriffe auf kurdische Veranstaltungen verübt. Im Oktober vergangenen Jahres starben knapp 100 Menschen bei einem Selbstmordanschlag auf eine pro-kurdische Veranstaltung in Ankara. Die Lage von Gaziantep, nicht fern der syrischen Grenze, legt auch die Vermutung nahe, dass die Konflikte dort immer weiter auf die Türkei übergreifen. Sowohl die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), der syrische Ableger der PKK, als auch der IS kontrollieren dort große Gebiete.
Die Türkei wird schon seit Monaten immer wieder von Anschlägen erschüttert. Einige werden dem IS zugeschrieben, andere radikalen Kurdengruppen. Im Juni töteten mutmaßliche IS-Selbstmordattentäter 44 Menschen am Istanbuler Flughafen. Im Juli sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der Grenzstadt Suruc inmitten von linken Aktivisten in die Luft. Die Jugendlichen wollten beim Aufbau der türkisch-syrischen Stadt Kobane helfen. Zuletzt waten am Donnerstag waren bei einer Anschlagsserie auf türkische Sicherheitskräfte 14 Menschen getötet und rund 300 weitere verletzt worden. Zu einem der Anschläge bekannte sich die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Erdogan: Kampf gegen den Terror an drei Fronten
Präsident Erdogan verurteilte den "Terroranschlag" auf die Hochzeit und versprach Aufklärung. Er machte dabei klar, dass er den Kampf gegen den Terrorismus an drei Fronten sieht: Er machte dabei keinen Unterschied zwischen dem IS, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die für den gescheiterten Putsch am 15. Juli verantwortlich sein soll.
Für Erdogan, dessen Agieren nach dem niedergeschlagenen Putsch in Berlin und Brüssel argwöhnisch verfolgt wird, bietet die Terrorwelle im Land Gelegenheit, die Türken auf den Kurs seiner Regierung einzuschwören. So verwies er darauf, dass der Anschlag von Gaziantep einer Stadt gegolten habe, in der "Turkmenen, Araber, Kurden friedlich mit allen anderen Volksgruppen zusammenleben". Der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP, sagt, seine Partei sei zu jeder Unterstützung bereit. "Bitte bereitet diesem Terror ein Ende", appelliert er an die Adresse der Regierung.
ww/hf (afp, ap, dpa)