Erdogan: "Diebstahl an den Urnen" in Istanbul
8. April 2019Mansur Yavas von der Mitte-Links-Partei CHP trat am Montag sein Amt als Bürgermeister von Ankara an. Nach 25 Jahren unter islamisch-konservativer Führung wird die türkische Hauptstadt erstmals von der Opposition regiert. Einsprüche von Präsident Recep Tayyip Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP gegen das Wahlergebnis hatte die Wahlkommission zuvor abgelehnt. Yavas sagte, Gerechtigkeit werde im Vordergrund seiner Amtszeit stehen.
Hauchdünner Vorsprung
Neben Ankara wurde auch Istanbul 25 Jahre lang von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert. Bei den Kommunalwahlen am 31. März erhielt die Opposition nach derzeitigem Stand auch dort die meisten Stimmen. In der Stadt am Bosporus hat der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu nach vorläufigen Ergebnissen aber nur einen hauchdünnen Vorsprung vor Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim. Daher ficht die AKP das Ergebnis in Istanbul nun offiziell an.
Die AKP hat bei der Hohen Wahlkommission eine Neuauszählung in der Metropole beantragt. Nach Angaben des stellvertretenden Parteivorsitzenden Ali Ihsan Yavuz gilt der Antrag für alle Bezirke, bis auf einen, in dem die AKP sogar eine Annullierung des Wahlergebnisses fordert. Die Entscheidung der Wahlkommission zu den Einsprüchen der AKP steht noch aus.
"Diebstahl an den Urnen"
In Istanbul hatten sowohl der AKP-Kandidat als auch die oppositionelle CHP nach der Abstimmung vor einer Woche den Sieg für sich beansprucht. Bereits nach Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse hatte die AKP bei lokalen Wahlbehörden eine Neuauszählung in einigen Bezirken Istanbuls erwirkt. In diesen noch laufenden Zählungen führt der oppositionelle Imamoglu mit rund 16.000 Stimmen vor AKP-Kandidat Yildirim.
Präsident Erdogan bezeichnete die Abstimmung in Istanbul als regelwidrig. Die AKP habe festgestellt, dass es ein "organisiertes Verbrechen" bei der Wahl gegeben habe, sagte Erdogan. Entsprechende Dokumente habe man der Hohen Wahlkommission vorgelegt. Es gebe auch Kameraaufnahmen, die zeigten, "wo, wie und welche Art von Veruntreuung begangen wurde". Er sprach außerdem von "Diebstahl an den Urnen", ohne genauer darauf einzugehen.
Erdogan sagte weiter, "in Istanbul, wo es mehr als zehn Millionen Wähler gibt, hat wohl keiner das Recht und die Befugnis, sich mit einem Unterschied von 13.000 oder 14.000 Stimmen als Sieger aufzuspielen". Die erwartete Niederlage in beiden größten Städten der Türkei gilt auch als persönlicher Denkzettel für Erdogan, nachdem er die Abstimmung zu einer Art Referendum über seine eigene Politik gemacht hatte.
Unabhängige Behörden?
Die türkischen Wahlbehörden geben sich unabhängig. Zahlreiche Oppositionelle bezweifeln dies jedoch, da Einsprüche der pro-kurdischen Partei HDP gegen den Urnengang vom 31. März nicht zugelassen wurden. Der Istanbuler Oppositionskandidat Imamoglu appellierte an die Behörden, ihrer "historischen Verantwortung" gerecht zu werden.
pgr/ww (dpa, afp)