Erdogan in Deutschland? Eigentlich "egal"
31. Juli 2018Nurten Karacay seufzt. Eigentlich, findet die 49-jährige Kölnerin, sei über Erdogan, die türkische Politik und das Verhältnis zu Deutschland doch schon alles gesagt: "Und jetzt auch noch die Debatte um Özil, das sind doch alles Sommerloch-Themen", sagt sie beim Treffen im Biergarten in einem Park in der Kölner Innenstadt. Hinzu komme, fährt sie ein wenig schuldbewusst fort, während sie ihr Getränk fixiert: Ihre Mutter habe Angst, dass ihr eines Tages noch etwas zustoßen würde, wenn sie sich zu offen zu politischen Themen äußert.
Ganz schweigen möchte sie dann allerdings auch nicht zum geplanten Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland Ende September. Zum einen, weil sie das Wahlergebnis der Präsidentenwahlen in der Türkei im Juni, bei der Erdogan erneut als Sieger hervorgegangen war, total "geschockt" habe. Zum anderen, weil sie sich sehr über das Verhalten ihrer, also der deutschen Regierung, gegenüber dem Regime in Ankara aufregt: "Obwohl die ganze Welt weiß, wie schlecht es um Demokratie, um Pressefreiheit, um die Rechte der Minderheiten in der Türkei bestellt ist, wie sehr der Rechtsstaat dort abgeschafft wird, hat es seitens der deutschen Politik nie ein wirklich klares Zeichen gegeben, dass man mit diesem Mann keine Politik mehr machen möchte." Das einzige, was von Angela Merkel komme, seien "strenge Blicke und mahnende Worte", sagt sie.
Des Erdogan-Themas überdrüssig
Gespräche wie das mit Nurten Karacay sind typisch für einen Reportereinsatz, bei dem die "Stimmung" in der türkischen Community eingefangen werden soll. Ähnlich wie Karacay haben viele Menschen mit türkischen Wurzeln den Eindruck, dass "eh schon alles" gesagt sei, viele sind enttäuscht von der Haltung Berlins gegenüber Ankara. Andere wiederum möchten auch deswegen nicht in den Medien landen, weil sie fürchten, missverständlich wiedergegeben zu werden. Sie fürchten Repressalien gegen sich selbst oder ihre Familien - in Deutschland oder in der Türkei.
Diejenigen, die sich noch mehr oder weniger gerne öffentlich äußern, tun dies meistens im Namen eines Vereins oder einer Organisation. Nur ein paar Kilometer vom Biergarten und Nurten Karacay entfernt wohnt Hanife Tosun auf der anderen Seite des Rheins. Die 40-Jährige mit dem hellblauen Kopftuch ist Angestellte im öffentlichen Dienst und die stellvertretende Vorsitzende des Vereins ikult in Köln. Der Verein steht der Gülen-Bewegung nahe. Diese Bewegung, die weltweit ein Netz an Bildungseinrichtungen betreibt, wird von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putsch im Sommer 2016 verantwortlich gemacht und von offiziellen Stellen als Terrororganisation bezeichnet. Deutsche Sicherheitsbehörden widersprechen dieser Einschätzung.
Auf ihrer Veranda in Köln-Deutz serviert Tosun schwarzen Tee und Erdbeerkuchen. Sie befürchtet vor allem, dass Erdogan den Besuch in Deutschland medial ausschlachten wird: "Das läuft eigentlich immer nach demselben Muster ab. Wenn Erdogan nach dem Staatsbesuch wieder in die Türkei zurückkommt, werden die Zeitschriften davon sprechen, was für ein großer Staatsmann er sei, dass er als einer der wichtigsten Staatsmänner der Welt gilt."
Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation in der Türkei vermutet Tosun vor allem innenpolitische Motive für den Staatsbesuch Erdogans in Deutschland: "In solchen Zeiten brauchen die Menschen eine Bestätigung dafür, dass es die richtige Regierung ist. Da ist es für ihn bestimmt von Vorteil, dass er mit solchen Besuchen prahlen kann."
Türkische Community tief gespalten
Auch Eren Özbek glaubt, dass Erdogans Staatsbesuch vor allem für propagandistische Zwecke in türkischen Medien genutzt werden soll. Özbek arbeitet als Onlinemarketing-Experte für ein Möbelhaus im Süden von Köln. Der 39-jährige Kölner hat selbst 23 Jahre in der Türkei gelebt. Er findet, dass Erdogan sehr wohl ein Recht auf einen Besuch in Deutschland habe: "Alleine aufgrund seiner Funktion als Staatsoberhaupt eines Landes, das seit Jahrhunderten enge Beziehungen zu Deutschland pflegt, hat er jedes Recht auf einen Besuch mit allem, was das Protokoll hergibt."
Neben der politischen Dimension des Besuchs beschäftigt ihn aber vor allem die gesellschaftliche Dimension, genauer: das vergiftete Klima innerhalb der türkischen Community. Für Özbek ist der Riss, der durch die Gruppen geht, inzwischen so tief, da sei ein Staatsbesuch von Erdogan in Deutschland mehr auch schon fast "egal": "Mehr Unruhe kann man in der türkischen Community gar nicht stiften. Wir reden eigentlich inzwischen von zwei getrennten Inseln. Die eine Seite identifiziert sich mit den demokratischen Werten und Idealen dieser Gesellschaft. Und dann gibt es die andere Community, in der man stolz auf den neo-osmanischen Pascha am Bosporus ist."
Die Beziehungen zwischen diesen beiden Gruppen seien auf dem absoluten Nullpunkt angelangt. "Um mal im Diplomatie-Sprech zu bleiben", erläutert Eren Özbek: "Beide Seiten haben ihre Botschafter abgezogen. Die Leute reden nicht mehr miteinander. Entweder man ignoriert oder verflucht die andere Seite. Die eine Seite sagt: Ich habe Recht, weil ich unterdrückt werde. Die andere Seite sagt: Ich habe Recht, weil ich an der Macht bin."
Hoffnung auf Veränderung aufgegeben
Zurück im Biergarten in der Kölner Innenstadt: Auch Nurten Karacay glaubt nicht, dass der Riss, der durch die türkische Community geht, in naher Zukunft wieder geflickt werden kann. Was wünscht sie sich von der Bundesregierung, wenn Erdogan nach Deutschland kommt? Die Antwort fällt ernüchternd aus: "Wünsche kann man viele haben", sagt sie achselzuckend, während sie abwechselnd auf ihr Glas und die Tretboote auf dem See blickt, aber ehrlich gesagt habe sie die Hoffnung schon lange aufgegeben: "In einer idealen Welt würde ich der deutschen Regierung raten, Erdogan Flagge zu zeigen, ihm gar keinen Raum zu geben und ihm vor allem auch keinerlei Unterstützung, welcher Art auch immer, zukommen zu lassen."
Egal, ob es um die Milliarden in der Flüchtlingshilfe oder deutsche Rüstungsexporte in die Türkei gehe, sagt Karacay: "Meiner Ansicht nach wird es wieder irgendwelche Deals geben. Alle Seiten werden weiter miteinander kooperieren." Hat sie gar keine Hoffnung, dass sich auf Dauer etwas ändert? "Dieser Zug ist für mich abgefahren."