Erdogans Desinteresse an der EU
20. Januar 2014Wenn sich Erdogan am Dienstag (21.01.2014) in Brüssel mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz trifft, wird er sich auf kritische Worte gefasst machen müssen. Mehrere EU-Vertreter haben in den vergangenen Wochen scharfe Kritik daran geübt, dass Erdogan auf das Bekanntwerden von Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung mit Massenversetzungenvon Polizisten und Staatsanwälten sowie mit Plänen zur Verstärkung des Einflusses der Regierung auf die Justiz reagierte.
Erdogan begründet die Schritte damit, dass er einen Umsturzversuch regierungsfeindlicher Kräfte in der Justiz abwehren müsse. Doch Kritiker in der Türkei und der EU sehen in Erdogans Maßnahmen eine Gefährdung der Gewaltenteilung. Die Türkei befinde sich in einer "Staatskrise", sagt Andrew Duff, Mitglied im Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Türkei, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Beitrittsprozess der Türkei könne zum Stillstand kommen.
"Die Gefahr ist so groß wie nie"
Duff erwartet von Erdogan überzeugende Erklärungen dafür, warum er in einem ehemaligen Verbündeten, dem islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Drahtzieher jener Verschwörung sieht, die er hinter den Korruptionsvorwürfen vermutet. Auch aus Sicht der CDU-Europaabgeordneten Renate Sommer ist die Gefahr für den EU-Beitrittsprozess der Türkei "so groß wie nie". Sie hoffe auf klare Worte Barrosos bei dem Gespräch mit Erdogan, erklärt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Erdogans Regierung kennt die Stimmung in Brüssel. Man sei bereit, über alles zu reden, auch über die umstrittenen Pläne zum Umbau des sogenannten Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte (HSYK), sagte Außenminister Ahmet Davutoglu vor Journalisten. Das Vorhaben der Regierung, den für die Besetzung von Posten in der Justiz zuständigen HSYK dem Justizministerium unterzuordnen, steht im Zentrum der Sorgen um die Gewaltenteilung in der Türkei.
Ankara macht EU-Länder mitverantwortlich
Doch die Gesprächsbereitschaft Ankaras hat Grenzen. Es gehe darum, die Gestaltungshoheit der gewählten Regierung gegen undemokratische Interventionen zu schützen, sagte Davutoglu. Jede Kritik an der Türkei müsse sich an den EU-Normen orientieren. Mit anderen Worten: Ankara betrachtet die kritisierten Maßnahmen als legitim und die Kritik aus Brüssel als Einmischung.
Davutoglu hatte kürzlich Großbritannien und Frankreich für die Korruptionsvorwürfe mitverantwortlich gemacht: London und Paris wollten der aufstrebenden Regionalmacht Türkei Steine in den Weg legen. Eine Krise erwartet Ankara dennoch nicht. Davutoglu sagte, seine Regierung dringe auf die rasche Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel in den Beitrittsgesprächen mit der EU. In den Reihen der EU gibt es angesichts der Ereignisse in der Türkei nur wenig Begeisterung dafür.
Erdogan sollte "besser zu Hause bleiben"
Angesichts dieser Lage wäre es besser, wenn Erdogan zu Hause bliebe und nicht nach Brüssel fahre, merkt der Kolumnist Semih Idiz an. Idiz sagt im Gespräch mit der DW, der Premier könne in Brüssel kaum mit Verständnis für seine Haltung rechnen. Erdogan ordne die EU-Politik seinen innenpolitischen Interessen unter. So habe die Regierung den wichtigen Hohen Richter- und Staatsanwälterat (HSYK), ein Gremium innerhalb der Justiz, zuständig für die disziplinarische Kontrolle der Gerichte, erst im Jahr 2010 reformiert, um ihn den EU-Normen anzupassen. Nun sei Erdogan dabei, diese Reform wieder zu kassieren, "weil er gesehen hat, dass die EU-Kriterien seinen politischen Absichten im Weg stehen".
Die Kritik aus der EU kratze Erdogan wenig, meint Idiz: Da viele türkische Wähler das Ziel des EU-Beitritts wegen der Hinhaltetaktik Brüssels in den vergangenen Jahren ohnehin abgeschrieben haben, ist Europa derzeit kein großes Thema für sie. Erdogan wolle nur vermeiden, dass der Beitrittsprozess unter seiner Regierung völlig kollabiere, sagt Idiz. Deshalb werde der Premier einen Bruch mit der EU nicht zulassen. "Aber mit seinem Herzen ist er nicht dabei."