Erdogans Idee: Bitte kauft Lira!
1. Juni 2018Fragt man bei Filialen führender türkischer Banken in Deutschland nach größeren und auffälligen Umtauschaktionen und dem Erfolg dieses Aufrufs von Erdogan nach, sind keine näheren Informationen erhältlich. Die zwischenzeitliche leichte Erholung der türkischen Lira jedenfalls lasse nicht den Schluss zu, dass Menschen tatsächlich auf den Vorschlag Erdogans eingegangen wären, ist zu erfahren. Solche Umtauschaktionen seien auch kaum messbar, weil das vorhandene Finanzvolumen von türkischen Sparern viel zu gering sei, um im gesamten Devisenhandel aufzufallen. So erklärt es der Devisenexperte der Commerzbank, Ulrich Leuchtmann, gegenüber der Presse.
Nur im Fall der Asienkrise in den neunziger Jahren habe eine ähnliche Initiative geholfen, als die Südkoreaner ihre Goldbestände der Zentralbank übertragen hätten. Im Fall der türkischen Lira würden Erdogans Äußerungen in Richtung Kapitalverkehrskontrollen jede denkbare Bürgeraktion behindern.
Spurensuche in Köln
In Köln leben und arbeiten sehr viele Türken. Die Weidengasse ist ein kleiner türkischer Mikrokosmos. Was passiert hier? "Ich werde diesem Herrscher sicher nicht mein Geld opfern", wettert dort ein älterer Herr in den 70ern. "Das ist ja lächerlich. Das ändert doch an der allgemeinen Lage im Land nichts", meint ein Mann Mitte fünfzig. "Erdogan hat sich doch vieles an der Finanzlage im Land selbst zuzuschreiben. Er soll sich an die eigene Nase packen und erst einmal sein Geldvermögen aus der Schweiz auflösen", schlägt eine Verkäuferin Mitte Vierzig vor. Sie alle sind türkische Bürger oder haben türkische Wurzeln. Ihre Namen möchten sie aber nicht veröffentlicht sehen. Reden gerne. Alle sind sehr freundlich. Immer wieder wird Tee angeboten. Fotos aber lehnen sie ab.
Mit Politik wollen viele einfach nichts zu tun haben. Es ist wie ein großes Versteckspiel. Erdogan-Gegner fürchten Repressalien für sich oder ihre Familien in der Türkei. Selbst Erdogan-Befürworter möchten nicht gezeigt werden, weil sie Anschläge der PKK auf sich oder auf ihre Geschäfte befürchten. Das ist in Köln in der Vergangenheit schon öfter geschehen. Das Thema "Lira-Tausch" scheint brisanter als gedacht.
Eine Frage des Patriotismus
Ungefähr die Hälfte aller Befragten erweisen sich als echte Fans der Erdogan-Idee. Wenn davon die Rede ist, formen sie mit ihren Händen kleine Kussmünder. Sie loben, was alles in ihrer Heimat durch den Präsidenten Erdogan entstanden ist. Insofern sei es eine Ehre, Geld für die Heimat zu investieren und Lira zu tauschen. "Ich würde alles geben, was ich übrig habe", sagt ein junger Friseur. Aber er habe leider nicht so viel Erspartes. Das gehe vielen Menschen in seiner Nachbarschaft ähnlich. Einige der Erdogan-Befürworter zögern nur bei der Überlegung, ob die Investition nicht zu riskant wäre.
An einem Tisch in einem Café in der Nachbarschaft überlegen zwei Männer die Vor- und Nachteile. Beim Kauf der Währung würde man sicher erst einmal profitieren. Rein rechnerisch. Aber danach? In einem Salon entwickelt sich dazu ein kleiner Streit. Man könne doch nicht immer nur die Vorteile in der Heimat mitnehmen, ohne etwas Entsprechendes zurückzugeben. Nicht allen in der Türkei ginge es so gut, wie den Menschen in Köln. Jetzt könne man sich dankbar zeigen. Das stimme zwar, meint eine Frau nachdenklich. Aber auch sie habe zu wenig Geld. Die Idee des Lira-Tauschs dürfte also nicht einmal am mangelnden Willen der Deutschtürken scheitern, sondern eher an den finanziellen Realitäten im Alltag.