Ernste Mienen bei Erdogans Staatsbesuch
28. September 2018Mit einem Eklat hat der umstrittene Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin begonnen. Kurz nach dem Empfang durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren vor Schloss Bellevue wurde bekannt, dass Erdogan von Deutschland die Auslieferung des bekannten Journalisten Can Dündar sowie von 68 weiteren von Ankara gesuchten Personen fordert. Die regierungsnahe türkische Zeitung "Yeni Akit" berichtet, Erdogan habe drei Tage vor seinem Besuch eine entsprechende Liste an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt, mit der er am Freitagmittag im Kanzleramt zusammenkam.
2015 war Dündar wegen eines Berichts über verdeckte Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Rebellen in Syrien angeklagt worden. Im Mai 2016 wurde er in erster Instanz zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, im Juli 2016 ging er ins Exil nach Deutschland. Die Türkei wirft ihm Spionage, Verrat von Staatsgeheimnissen und Propaganda vor.
Dündar teilte derweil mit, er verzichte - trotz Akkreditierung - auf seine Teilnahme an der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan. Zuvor hatte die Türkei gedroht, die Pressekonferenz abzusagen, falls Dündar teilnehme.
Kanzlerin warnt vor Instabilität
Merkel hatte angekündigt, sie wolle bei ihrem Treffen mit Erdogan auch kritische Themen ansprechen. "Die Lage der Menschenrechte ist nicht so, wie ich mir das vorstelle", sagte Merkel. Wenn es "Kritikwürdiges" gebe, dann werde sie die Kritik auch äußern. Die Kanzlerin warnte allerdings auch vor einer Destabilisierung der Türkei und verwies auf die Lage in den Nachbarstaaten. Sollte sich die Türkei ähnlich entwickeln, "dann haben wir die Instabilität vor der Haustür. Das kann auf gar keinen Fall unser Interesse sein", betonte Merkel. "Mein Interesse ist, dass wir eine stabile Türkei haben." Eine Unterstützung der Türkei bedeute nicht, "dass wir ökonomische Hilfen geben, aber wir müssen wirtschaftlich zusammenarbeiten".
Bundesaußenminister Heiko Maas sagte voraus, dass der Normalisierungsprozess mit der Türkei noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. "Es gibt viele Fragen, die wir zu besprechen haben", erklärte Maas am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Er sei aber schon froh darüber, dass jetzt mit der Türkei und nicht mehr übereinander geredet werde. In Deutschland lebten mehr als drei Millionen türkischstämmige Menschen, so Maas. "Schon deswegen sollten beide Länder ein Interesse daran haben, respektvoll miteinander umzugehen." Der Staatsbesuch Erdogans könne eine Verbesserung der Beziehungen bringen, hofft der Minister.
"Erdogan not welcome"
Die Visite des türkischen Präsidenten findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Bei etlichen Kundgebungen in Berlin wollen zahlreiche Menschen gegen Erdogan demonstrieren. Allein zur Großdemonstration "Erdogan not welcome" am Potsdamer Platz erwarten die Veranstalter rund zehntausend Teilnehmer, die vor allem gegen Menschenrechtsverstöße und die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei protestieren wollen.
Am Samstag reist der türkische Staatschef weiter nach Nordrhein-Westfalen, um in Köln die neue Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union DITIB zu eröffnen. Auch in der Domstadt sind Proteste gegen ihn geplant.
wa/sti (afp, dpa, rtr)