"Ernährungssituation könnte dramatisch werden"
4. Mai 2016Deutsche Welle: Frau Pott, die Welternährungsorganisation FAO hat in der vergangenen Woche gemeldet, dass die Nahrungsmittelproduktion in Nordkorea erstmals seit 2010 zurückgegangen ist, und warnt vor wachsendem Hunger in der Bevölkerung. Wie beurteilen Sie die Lage?
Simone Pott: Die Situation ist in der Tat schwierig und auf dem Weg, dramatisch zu werden. Nordkorea hatte schon im vergangenen Jahr eine schwierige Ernährungssituation durch erste Auswirkungen von Dürre. Und das spitzt sich 2016 noch weiter zu. Das Hauptproblem ist eigentlich das strukturelle Defizit, was in vielen Bereichen der nordkoreanischen Landwirtschaft besteht. Es gibt nicht genügend gutes Saatgut, es gibt nicht genug Düngemittel, es gibt nicht genug landwirtschaftliche Geräte, so dass bestimmte Flächen beispielsweise mit kleinen Treckern bearbeitet werden müssen. Oft fehlen Ersatzteile, oder es fehlt an Sprit. Ein weiteres großes Problem in Nordkorea ist die ganze Frage der Bewässerung. Nicht nur Bewässerung in der Landwirtschaft, sondern auch die Nutzung von Wasser für private Haushalte. Auch das ist ein Bereich, wo es strukturelle Defizite gibt.
Wie viele Menschen leiden denn tatsächlich Hunger in Nordkorea?
Die UN sprechen davon, dass etwa 10,5 Millionen Menschen in Nordkorea unterernährt sind. Noch stirbt dort niemand an Hunger. Aber es gibt Bevölkerungsgruppen, die besonders von Unterernährung bedroht sind: Kinder, Schwangere, alte und kranke Menschen. Und das Problem ist, dass Kinder, wenn sie über einen längeren Zeitraum schlecht ernährt sind, auch anfälliger für Krankheiten sind. Das Gleiche gilt für ältere Menschen oder schwangere Frauen. Wir haben es hier mit einer Ernährungslage zu tun, die vor allem die Menschen trifft, die ohnehin Schwierigkeiten haben, dem etwas entgegen zu setzen. Das macht die Situation auch so schwierig.
Aber von einer richtigen Hungersnot wie damals ist das Land weit entfernt?
Genau. Von so einer Hungersnot kann man auf keinen Fall sprechen. Es gab zum Beispiel 2013 übers Land gesehen noch eine Rekordernte. Es geht jetzt hier wirklich um eine Ernährungslage, die kritisch wird, es geht um eine Fehl- und zum Teil auch Mangelernährung. Aber so etwas können Länder oder Menschen nicht unendlich durchstehen. Das ist deswegen der Ansatz der Welthungerhilfe. Wir verbessern die Ressourcen vor Ort für die Menschen und bringen ihnen bei, damit besser umzugehen.
Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um etwas an der Ernährungssituation insgesamt zu ändern?
Die Welthungerhilfe ist seit knapp 20 Jahren in Nordkorea tätig. Angefangen hatten wir mit klassischer Nothilfe. Es hatte ja Ende der 1990er Jahre eine schwere Hungersnot in Nordkorea gegeben. Hunderttausende Menschen waren gestorben. Damals hatten wir wirklich Nahrungsmittel geliefert oder in besonders kalten Wintern warme Kleidung für Kinder geliefert.
Jetzt aber geht es eigentlich darum, diese strukturellen Probleme zu beheben. Und wir glauben, dass das zum Beispiel mit größeren Projekten, bei denen es um die Verbesserung von Saatgut und um die Einrichtung und Unterstützung von Saatgut-Zentren geht, funktionieren kann.
Die Menschen brauchen bessere Anbaumethoden. Eine Schwierigkeit in Nordkorea ist es, dass es viele Hanglagen gibt. Je nachdem, wie diese bewirtschaftet werden, gibt es große Probleme. Wenn die Hänge abgeholzt sind und es stark regnet, kommt es zu Erdrutschen oder Schlammlawinen. Und auch in diesem Punkt beraten wir die Bevölkerung, wie sie das Land besser bewirtschaften und nutzen kann.
Welche Rolle spielt die Regierung, mit der Sie sich ja immer eng abstimmen müssen? Wie kommen Ihre Ansätze und Methoden da an?
Wir müssen in Nordkorea - wie in jedem anderen Land auch - mit der Regierung zusammenarbeiten. Wir setzen uns mit Vertretern der jeweiligen Ministerien an einen Tisch und besprechen mit ihnen die Projekte. Das ist ganz normal. In unserem Fall ist es meistens das Landwirtschaftsministerium.
Wir haben schon das Gefühl, dass da ein großes Interesse besteht, unseren Rat und unser Wissen nicht nur einzuholen, sondern auch zu nutzen. Wir hatten zum Beispiel 2014 einen besonderen Austausch. In Nordkorea gibt es viele Obstbäume. Und wir haben über viele Jahre ein Projekt mit dem Ziel gehabt, den Obstanbau zu verbessern. Vor zwei Jahren konnten Nordkoreaner geneinsam mit uns in die Schweiz reisen, um dort in Betrieben bessere Anbau- und Pflückmethoden sowie Beschneidungstechniken kennenzulernen. So einen Austausch kann man natürlich nur in enger Abstimmung mit der Regierung durchführen.
Wie wirkt sich der politische Kontext auf die Arbeit von Hilfsorganisationen aus? Inwieweit beeinflusst das beispielsweise auch die Spendenbereitschaft der Menschen?
Generell ist es so, dass Nordkorea bei deutschen Spendern kein besonders beliebtes Land ist. Das kann man auch nachvollziehen. Wir haben mit Ausnahme der Hungerkatastrophe damals noch nie große Spendenaufrufe für Nordkorea gestartet.
Es liegt natürlich daran, dass das Land zu Recht einen schwierigen Ruf hat. Es ist einfach ein Land, in dem die Situation für die Menschen und auch für Hilfsorganisationen nicht immer einfach ist. Wir haben festgestellt, dass über diese knapp 20 Jahre, in denen wir dort arbeiten, unsere Arbeitsbedingungen gut waren. Sonst wären wir nicht geblieben. Wir konnten die Projekte, die wir für sinnvoll hielten, auch umsetzen. Wir haben mit den nordkoreanischen Partnern natürlich auch um Projekte gerungen, aber das machen wir in anderen Ländern auch. Aber wir haben dort Arbeitsbedingungen, die aus unserer Sicht ausreichend sind, um in diesem Land bleiben können. Die politischen Rahmenbedingungen - also beispielsweise aktuell die Sanktionen - haben keine Auswirkungen auf unsere Arbeit.
Gäbe es einen Punkt, an dem Sie als Welthungerhilfe sagen würden: "Jetzt müssen wir raus aus dem Land!"?
Das hat nichts mit Nordkorea speziell zu tun. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir die Arbeit nicht nach unsere Standards, was Transparenz, Zuverlässigkeit, Abrechnung von Geldern angeht, durchführen könnten, dann würden wir gehen. Wir sind aus anderen Ländern gegangen, wie zum Beispiel aus Eritrea, weil uns die dortige Regierung damals Arbeitsbedingungen vorgeschrieben hatte, die aus unserer Sicht keinen Sinn machten.
Simone Pott ist Pressesprecherin der Deutschen Welhungerhilfe.
Das Interview führte Esther Felden.