Erster Ministerrücktritt in London
9. November 2022Der britische Staatsminister Gavin Williamson, der ohne Ressort am Kabinettstisch in London saß, hat am Dienstagabend seinen Rücktritt eingereicht. Der konservative Abgeordnete war in den vergangenen Tagen wegen Mobbingvorwürfen unter Druck geraten. Laut von der Zeitung "Sunday Times" veröffentlichten Messenger-Nachrichten hatte er versucht, mit teils derber Ausdrucksweise und Drohungen die ehemalige parlamentarische Geschäftsführerin der Tory-Fraktion, Wendy Morton, unter Druck zu setzen. Weitere Vorwürfe wurden von einem früheren Mitarbeiter vorgebracht.
Bereits im Frühjahr 2019 war Williamson - zu dem Zeitpunkt Verteidigungsminister - negativ aufgefallen. Die damalige Premierministerin Theresa May entließ ihn daraufhin. Williamson sei mitverantwortlich dafür, dass die Entscheidung der britischen Regierung publik wurde, den chinesischen Technologiekonzern Huawei am 5G-Netzausbau zu beteiligen, hieß es seinerzeit aus London.
Der neue britische Premierminister Rishi Sunak betonte nun, bevor er in dem Fall urteile, werde er die Ergebnisse einer internen Untersuchung abwarten. Der Rücktritt des Staatsministers nährt Zweifel, ob Sunak in der Lage ist, seine zuletzt völlig zerstrittene und im Chaos versinkende konservative Regierungspartei in ruhigere Fahrwasser zu steuern. Er hat den Posten des Premiers erst vor zwei Wochen von Liz Truss übernommen, die nach nur sieben Wochen im Amt von ihrer eigenen Fraktion zum Rücktritt gezwungen worden war. Truss wiederum hatte Anfang September die Nachfolge des wegen zahlreicher Skandale gestürzten Boris Johnson angetreten.
Heikel für Sunak ist besonders die Behauptung, die Mobbingvorwürfe gegen Williamson seien ihm bereits bekannt gewesen, als er ihn ins Kabinett berief. Der Premier wies dies zwar zurück, doch die oppositionelle Labour-Partei sieht ihn schon schwer beschädigt. "Das ist wieder einmal ein Beispiel für Rishi Sunaks schlechtes Urteilsvermögen und schwache Führung", sagte Labour-Vizechefin Angela Rayner. Der Regierungschef sei offenkundig an schmutzige Hinterzimmer-Deals gebunden, die er akzeptiert habe, um eine parteiinterne Stichwahl um die Truss-Nachfolge zu vermeiden.
Auch Innenministerin Braverman ist umstritten
Doch auch von anderer Seite droht Sunak Ungemach. So will die Kritik an Innenministerin Suella Braverman nicht abreißen. Die Politikerin, die zum rechtskonservativen Flügel der Partei gehört, stößt mit ihrem unbarmherzigen Vorgehen gegen Migranten auf immer stärkeren Widerspruch. Es wird nicht ausgeschlossen, dass auch Braverman bald aus dem Kabinett ausscheiden könnte.
Hinzu kommt ein für Sunak unangenehmer Bericht über die Geschäftsinteressen seiner Frau. Wie der "Guardian" am Wochenende berichtete, soll die indische IT-Firma Infosys, an der Sunaks Frau Anteile hält, entgegen anderslautender Ankündigungen weiterhin in Russland Geschäfte tätigen.
se/AR (rtr, dpa, afp)