Es geht um Angela Merkels Erbe(n)
30. Oktober 2018In der CDU gibt es jetzt plötzlich wieder Macht zu verteilen. Angela Merkels überraschende Ankündigung, im Dezember nicht mehr für den Vorsitz der Christdemokratischen Partei zu kandidieren, heizt die Spekulationen um ihre Nachfolge an. Bislang hatte Merkel stets betont, dass für sie das Amt der Kanzlerin und das der Parteivorsitzenden zusammengehören. 18 Jahre war Merkel CDU-Chefin, 13 Jahren davon gleichzeitig Kanzlerin. Die massiven Verluste ihrer Partei bei der Landtagswahl in Hessen scheinen Merkel jetzt zur Einsicht gebracht zu haben, dass ein Machtverzicht in der CDU ihre wacklige Kanzlerschaft stabilisieren oder gar retten könnte.
"Es ist die Zeit für ein neues Kapitel", sagte Merkel am Montag bei einer denkwürdigen Pressekonferenz, bei der sie ihren Verzicht aufs höchste Parteiamt bekanntgab. Zudem kündigte sie an, 2021 nicht noch einmal ins Rennen um das Bundeskanzleramt gehen zu wollen. Kanzlerin wolle sie bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. Die Trennung von CDU-Parteivorsitz und Kanzlerschaft sei "ein Wagnis", sagte Merkel weiter, aber dieses Wagnis sei vertretbar - und zeitlich begrenzt. Damit möchte sie "den Weg in die Zukunft öffnen", so Merkel. Weil im Raum steht, dass bei diesem Schaulaufen auch der nächste Kanzlerkandidat der CDU aufs Schild gehoben wird, ist die Spannung besonders groß.
CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer kündigt Kandidatur an
Als erste bekanntere CDU-Politikerin warf die bisherige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Hut in den Ring. Am Montag machte sie beim Treffen des CDU-Bundesvorstands deutlich, dass sie antreten wird. Entschieden wird über die Personalie auf dem Bundesparteitag der CDU, der Anfang Dezember in Hamburg stattfinden wird. Kramp-Karrenbauer gilt als enge Vertraute der Kanzlerin. Sie war bis Februar Ministerpräsidentin des Saarlandes und wechselte dann nach Berlin ins Amt der CDU-Generalsekretärin. Seitdem machte sie sich als Vermittlerin zwischen den oft rivalisierenden Parteiflügeln und Interessen in der CDU einen Namen. Ihr bisher wichtigstes Projekt ist es, ein neues Grundsatzprogramm auszuarbeiten. Nachdem die CDU unter Kanzlerin Angela Merkel vor allem bei konservativen und wirtschaftsliberalen Wählergruppen Vertrauen eingebüßt hat, soll in diesem Grundsatzprogramm der konservative Markenkern der CDU neu bestimmt werden. Kanzlerin Merkel hätte an einer CDU-Parteivorsitzenden Kramp-Karrenbauer sicherlich ihre Freude, denn beide Frauen sind freundschaftlich verbunden. Ihre Arbeit dürfte geräuschlos ineinandergreifen.
Anders sieht das mit einem anderen Anwärter auf den CDU-Parteivorsitz aus. Auch Jens Spahn, aktuell CDU-Gesundheitsminister, kündigte seine Kandidatur an. Der 38-Jährige gilt als langjähriger Kritiker Merkels - und als Sprachrohr für all jene in der Partei, denen die CDU unter Merkel zu sozialdemokratisch geworden ist. Gerade der wirtschaftsliberale Flügel der Partei, der sich in den Jahren von Euro-Rettungspolitik und Flüchtlingskrise oft überstimmt gefühlt hat, könnte mit einem Kandidaten Spahn eine programmatische Wende bei Deutschlands letzter Volkspartei einläuten. Und obwohl Spahn noch relativ jung ist, trauen ihm viele das verantwortungsvolle Amt zu. Nicht zuletzt, weil er in kontroversen Debatten oft Stehvermögen bewiesen hat. Mit Blick auf die Kandidatur von Kramp-Karrenbauer und Spahn sagte Merkel: "Ich empfinde das als eine gute und wichtige Phase, in der die Partei sich selbst vergewissern kann."
Der Überraschungskandidat: Rettet Friedrich Merz das konservative Profil der CDU?
Wenig bis nichts wusste Kanzlerin Merkel über einen anderen, möglichen Nachfolger im höchsten Parteiamt der CDU. "Dazu kann ich nichts Valides sagen", antwortete Merkel auf die Frage von Journalisten, ob sie bereits vom Kandidaten Friedrich Merz gehört habe. Der 62-jährige Jurist und Finanzexperte ist vor vielen Jahren aus der Bundespolitik ausgeschieden und galt und gilt als scharfzüngiger Kritiker Merkels. Merz stand von 2000 bis 2002 an der Spitze der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU – bis Merkel ihn aus dem Amt drängte. Vielen Beobachtern gilt Merz noch immer als Führungsfigur für die Konservativen in der Partei. Die "Bild"-Zeitung hatte zunächst von dem Bewerber-Coup berichtet. Merz bestätigte seine Bereitschaft später noch einmal persönlich. Voraussetzung sei, dass die Partei das wolle, wurde er zitiert. Seit 2009 ist Merz der Vorsitzende des "Netzwerks Atlantik-Brücke". Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten, Vorsitzender des einflussreichen "Parlamentskreises Mittelstand" der Unionsfraktion, äußert sich positiv zu den Berichten, nach denen Merz kandidieren will. "Als Parteivorsitzender wird Friedrich Merz den CDU-Mitgliedern und Anhängern den verlorenen Stolz zurückgeben", sagte er.
Weitere Namen wabern durchs politische Berlin
Neben Kramp-Karrenbauer, Spahn und Überraschungskandidat Merz werden aber noch andere Namen gehandelt. Auch in Armin Laschet, derzeit CDU-Ministerpräsident im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, sehen viele einen geeigneten Merkel-Nachfolger. Laschet setzt sich seit Jahren für Bündnisse zwischen CDU und den Grünen ein, auch wenn er aktuell in NRW in einer Koalition mit den Liberalen regiert. Weil schwarz-grüne Bündnisse derzeit dem politischen Zeitgeist entsprechen, könnte dies für viele Parteimitglieder ein attraktives Angebot sein. Laschet kündigte am späten Montagmittag an, dass die CDU in Nordrhein-Westfalen etwas Bedenkzeit brauche, um über mögliche eigene Kandidaten nachzudenken. Ob er sich persönlich bewerben wolle, ließ Laschet offen.
Mancher Kommentator hält das politische Urgestein, Wolfgang Schäuble, für den Kandidaten der Stunde. Schäuble ist derzeit Präsident des Deutschen Bundestags, war viele Jahre Finanz- und Innenminister. Eine Wahl von Schäuble ins Amt des CDU-Parteivorsitzes wäre ein Signal der Kontinuität, aber eben kein Aufbruch hin zu einer neuen Politikergeneration. Ob Schäuble bereit wäre, steht ebenfalls zur Stunde noch nicht fest.
Volker Bouffier, der designierte Ministerpräsident in Hessen, rief seine CDU dazu auf, "nicht nur einen neuen Kopf" zu suchen, sondern damit auch eine inhaltliche Debatte zu verknüpfen. "Wir müssen sagen, wo wollen wir hin, und wie?" Die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Julia Klöckner, begrüßte es, dass sich gleich mehrere Christdemokraten um die Nachfolge bewerben wollten. Das zeige, wie lebendig die CDU sei, schrieb sie von einer Stippvisite in Marokko aus. "Wichtig wird sein, dass sich die Kandidaten den Mitgliedern nun vorstellen, damit sie die Möglichkeit haben, die Personen und ihre Ideen und Vorstellungen besser kennenzulernen". Die amtierende Landwirtschaftsministerin Klöckner regte deshalb an, dass die Kandidaten sich in Regionalkonferenzen vorstellen sollten. Wie viele Kandidaten sich dort letztlich beim Schaulaufen einfinden werden, das ist derzeit noch nicht absehbar. Es bleiben sechs Wochen, um über viele weitere Namen zu spekulieren.