Forget Eurovision: Lissabon steht vor allem für Fado
11. Mai 2018Portugal - vor allem mit den Städten Lissabon und Coimbra - ist weltweit bekannt für die Musiktradition des berühmten Fado. Außerhalb der portugiesisch-sprachigen Welt bekommt man Fado nur selten in Konzerthallen und Clubs zu hören und sehen. Auch wenn die Musik, selbst wenn man kein Wort versteht, für ein ausländisches Publikum nachfühlbar ist, stehen der weltweiten Verbreitung des Fado doch kulturelle Hürden und Sprachbarrieren im Weg.
Es gibt jüngere Fado-Sänger, die versuchen, da Brücken zu schlagen. Sie schaffen es, für die oft melancholischen und sehnsüchtigen Töne des Fado auch außerhalb Portugals ein Publikum zu gewinnen. Telmo Pires ist so ein Botschafter des Fado, der diesen traditionellen Gesang Portugals in die weite Welt hinaus transportiert. "Es geht darum, berührt zu werden - egal ob positiv oder negativ, ob es einen wütend oder nachdenklich macht. Man muss sich der Schönheit der Musik hingeben", erklärt er.
Mittlerweile kann man Fado-Sängerinnen und -sänger in ganz Portugal miterleben: auf kleinen Bühnen tragen sie mit viel Leidenschaft ihre wehmütigen Lieder vor und schaffen dabei ein fast intimes Verhältnis zum Publikum. "Da muss man auch aufpassen, weil vieles davon nur für Touristen inszeniert wird und nicht immer authentisch ist", sagt Telmo Pires.
Fado als interkulturelle Musik
Authentizität ist dem 46-jährigen Sänger sehr wichtig, er macht keine halben Sachen. Pires lebt inmitten der sieben Hügel Lissabons und widmet sich mit Leib und Seele seiner Kunst, dem Fado. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet "in einem Kuhdorf", wo er vor über 20 Jahren seine musikalischen Anfänge gefeiert hat. Später ging er nach Berlin, um dort aktiv in der Musikszene mitzuwirken. 2009 kam er nach Lissabon.
"Ich bin ja nicht in Portugal aufgewachsen und kenne Fado ursprünglich nur vom Radio in Deutschland und über die Platten meiner Eltern. Und ich habe mich in diese Musik verliebt, wegen der großen Stimmen, die sie singen - in erster Linie Amália Rodrigues", schwärmt Telmo Pires im DW-Gespräch.
Amália Rodrigues war in der Tat die Grande Dame des Fado und wird bis heute in ganz Portugal als die "Königin" gefeiert. Zu Lebzeiten hat sie diese Musik, die die Seele der Portugiesen wie keine andere wiederspiegelt, perfektioniert, und mit ihrem sehr persönlichen Stil zu singen in die weite Welt hinausgetragen. Sie schaffte es als gefeierte Sängerin bis in die USA.
Auch Telmo Pires versucht auf seine eigene Art in Lissabon, Berlin und anderen europäischen Metropolen als ein Vertreter des internationalen Fado wahrgenommen zu werden. Er setzt dabei auf die inter- und multikulturellen Aspekte sowohl seiner Musik, als auch seiner eigenen Geschichte als europäischer Musiker.
Moderner Fado im 21. Jahrhundert
"Für mich hat Fado den gleichen Stellenwert wie in Frankreich das Chanson oder in Spanien der Flamenco. Das ist eine universelle Musik, die einfach berührt. Der Fado ist schließlich sehr multikulturell. Deshalb wird er auch als Stadtmusik bezeichnet, wegen der multikulturellen Art von Lissabon. Das ist auch das Tolle daran. Durch die Einflüsse aus Asien, die ganzen ehemaligen Kolonien Portugals, Brasilien, Afrika, auch arabische Einflüsse ist der Fado, wie wir ihn kennen, überhaupt erst entstanden."
Mit seinen internationalen Elementen und den vielen multikulturellen Einflüssen hat der Fado trotzdem mit dem Eurovision Song Contest (ESC) wenig gemeinsam. "Der ESC, das ist was völlig anderes", sagt Telmo Pires. "Das ist eine Show, wo sich einzelne Länder vorstellen. Die Leute sehen beim ESC Dutzende von Interpreten. Man kann sich nicht einmal auf die Interpreten einlassen, dafür hat man einfach nicht die Zeit. Das ist eine ganz andere Ebene, als wenn man Fado singt", setzt er im DW-Interview hinzu.
"Der Fado hat eine Dramaturgie, einen Aufbau, Höhepunkte, Tiefpunkte, ein Finale, und der Zuschauer hat dabei Zeit, sich auf die Künstler auf der Bühne einzulassen, und sie auch zu verstehen."
Lissabon: Zentrum portugiesischer Lebensart
Was ihm genauso wichtig ist, wie ein authentischer Umgang mit der Musik, ist auch, den Fado zeitgemäß zu singen. Pires hat seinen eigenen, modernen Stil und will keine historischen Idole nachahmen. Er sieht aus wie ein portugiesischer George Michael, allerdings mit einem um einiges gesünderen Lebensstil. Als Sänger legt er viel Wert darauf, dass er für seine eigene Art, den Fado zu interpretieren, wahrgenommen wird: "Ich bin keine Kunstfigur. Wer mich auf der Bühne sieht, lernt mich überhaupt erstmal richtig kennen."
"Ich versuche, den modernen, männlichen Fado zu repräsentieren. Und wenn man mit seiner Arbeit authentisch ist, kommt man auch bei jüngeren Leuten an", sagt er. "Mir würde nie einfallen, in irgendwelchen alten Gewändern auf die Bühne zu gehen. Ich mache das so, als wenn ich Popmusik machen würde - ganz normal in T-Shirt und Hose. Und was es bei mir auch nicht gibt, ist diese Fado-Nostalgie 'Früher war alles besser.' Früher, als Lissabon noch klein und dreckig war? Danach habe - ich ehrlich gesagt - keine Sehnsucht."
Aus Liebe zur Musik
Das alles erklärt er mir ausgerechnet im 'Casa do Alentejo' - einem orientalisch-maurisch geschmückten Vereinshaus, das vor einem knappen Jahrhundert für Arbeiter aus den Provinzen erbaut wurde. Hier sieht man genau das multikulturelle, alte Lissabon, wie es früher war. Pires kennt sich in dem von außen unscheinbaren Bau besser aus als ein Touristenführer, und erläutert die Hintergründe seiner Entstehungsgeschichte im opulenten Innenhof. Hier sieht es eher nach Marrakesch als Lissabon aus.
"Hier trifft man mittlerweile Menschen aus aller Welt. Seit einigen Jahren stürmen hier tagtäglich hunderte von Touristen hinein. Vor ein paar Jahren war dieser Ort noch fast wie ein Geheimtipp", erzählt Pires. "Was diese Touristen allerdings nicht wissen, ist, dass man hier abends bei besonderen Veranstaltungen auch richtig guten Fado hören kann."
Nicht allzu weit weg von der Casa do Alentejo kann man Fado noch konkreter im "Museo do Fado" erleben. Seit 20 Jahren werden dort sämtliche Facetten des Fado und seiner Geschichte den Besuchern im spielerischen Umgang vermittelt. Telmo Pires hat auch schon dort gespielt. "Auf alle Fälle ein absoluter Höhepunkt meines Lebens", erzählt er. "Dass man dort überhaupt als Künstler bemerkt zu werden, ist schon ein Riesenkompliment."
"Aber egal wo ich spiele, ob in Portugal, Deutschland, Polen, Litauen oder Schweiz, es geht es immer um eine Sache: die Liebe. Ohne Liebe wären wir nicht hier, ohne Liebe würde kein Mensch Musik machen. Das ist das, was uns alle antreibt. Und darum geht es mir auch beim Fado." Und die Liebe, die man seinem Publikum gebe, sei die Liebe, die man auch als Künstler zurück bekomme, sagt er voller Stolz. "Das ist die Belohnung des Künstlers."