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"Der wirkliche Gewinner ist Hindemith"

Gero Schließ28. Januar 2014

Der deutsche Dirigent Christoph Eschenbach und das NDR-Sinfonieorchester haben in diesem Jahr den Grammy in der Kategorie "Best Classical Compendium" bekommen. Eine große Auszeichnung, sagt Eschenbach im DW-Interview.

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Christoph Eschenbach (Foto: Margot Ingoldsby Schulman, National Symphony Orchestra Washington)
Bild: Margot Ingoldsby Schulman

DW: Herr Eschenbach, Sie haben einen Grammy gewonnen. Wie war Ihre Reaktion?

Eschenbach: Natürlich habe ich mich gefreut und ich fühle mich geehrt. Ich bin froh, dass es zusammen mit (der japanischen Geigenvirtuosin) Midori und dem NDR-Sinfonieorchester ist. Mit beiden habe ich seit Jahrzehnten eine sehr blühende Zusammenarbeit voller Inspiration und es bleibt auch so. Wir haben weitere Pläne mit dem Orchester und mit Midori. Deshalb ist es unter diesem Aspekt gesehen eine sehr, sehr schöne Sache.

Sie sind ja schon lange in den USA als Dirigent bekannt, hatten hier verschiedenste Positionen unter anderem in Houston, Philadelphia und jetzt in Washington. Sehen Sie den Preis auch als eine persönliche Würdigung der amerikanischen Musik-Community für Ihre Arbeit hier in den USA?

Ja natürlich, das sehe ich schon so. Aber ich finde, der wirkliche Gewinner ist Paul Hindemith. Der seit Jahrzehnten unterschätzte Komponist gerät dadurch wieder ins Rampenlicht. Das ist eine wunderbare Sache, zumal ich mich in den letzten Jahren sehr für seine Kompositionen eingesetzt habe – in Plattenaufnahmen und in Konzerten. Und es ist ein Zufall, dass wir gerade in dieser Woche hier in Washington sein Requiem aufführen, ein ganz amerikanisches Stück. Es ist von ihm selber auch 'American Requiem' genannt worden, weil es auf den Tod von eigentlich zwei Präsidenten geschrieben ist: von Lincoln mit den Worten von Whitman, und von Roosevelt mit der Musik von Hindemith. Insofern kommt alles sehr glücklich zusammen in dieser Woche.

Christoph Eschenbach (Foto: Margot Ingoldsby Schulman, National Symphony Orchestra Washington)
Bild: Margot Ingoldsby Schulman

Ist es nicht auch überraschend, dass eine amerikanische Jury gerade eine Aufnahme von Hindemith so stark bewertet hat? Kann man sagen, dass der Komponist, der ja lange Zeit als Emigrant in den USA gelebt hat, hier eine größere Fangemeinde hat als in Deutschland?

Ja, da haben Sie völlig recht. Sein Lebenswerk hat eigentlich in den Vereinigten Staaten stattgefunden. Seine großen Sinfonien sind alle hier geschrieben. Angefangen von Mathis der Mahler und der ES-Dur Sinfonie für Boston bis hin zur Sinfonia Serena für Dallas. Er war hier in den USA ein ganz großer Mann. Er hatte eine Professur an der Yale University und hat hier im Sommer in Tanglewood unterrichtet. Einer seiner bedeutendsten Schüler war Leonard Bernstein, der auch in den höchsten Tönen von ihm sprach.

Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie ganz persönlich, nachdem Sie ihre Karriere ja immer schon auf beiden Seiten des Atlantiks verfolgt haben?

Es ist vor allem ein Zeichen, dass die Wertschätzung hier groß ist und - wieder zurück zu Hindemith - dass zwei deutsche Musiker geehrt werden: Ich, der zwar keine amerikanische Staatsbürgerschaft aber eine Greencard hat, und Hindemith, der die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und bis zum Lebensende behielt.

Sie haben sich ja gegen andere deutsche Mitbewerber wie den Startenor Jonas Kaufmann oder die Berliner Philharmoniker und Simon Rattle durchgesetzt. Macht Sie das besonders stolz?

Das Wort 'stolz' mag ich nicht so gern. Wissen Sie, ich arbeite. Oder wie Goethe mal gesagt hat: Genie ist Fleiß. Es ist ein Produkt einer jahrelangen Arbeit und eines jahrelangen Sich-Auseinandersetzens mit diesem Komponisten. Es tut mir leid für Jonas und für Simon. Aber daran denke ich im Augenblick weniger. Man kann aber auch nicht alles 'vergrammieren', was auf dem Markt ist. Die beiden großen Künstler und das große Orchester haben bestimmt auch schon Grammys bekommen.

Was sagt diese Auszeichnung für einen deutschen Musiker und einen deutschen Dirigenten über den Stellenwert deutscher Musiker in den USA aus?

Es ist sehr schön, dass ein deutsches Radioorchester gewürdigt wurde. Und deutsche Musik hat einen großen Stellenwert hier. Beethoven und Bach und Schubert sind nicht von ungefähr hier sehr hoch angesehen. Und viele Musiker und Dirigenten aus Deutschland arbeiten in den USA.

Der 1940 in Breslau geborene Pianist und Dirigent Christoph Eschenbach hat die künstlerische Leitung über das National Symphony Orchestra in Washington, D.C. und dessen Spielstätte John F. Kennedy Center for the Performing Arts inne. Das Gespräch führte DW-Korrespondent Gero Schließ.