Ethnischer Konflikt mit tiefen Wurzeln
15. Juni 2010Die vermeintliche "Ruhe nach dem Sturm" war trügerisch. Zwei Monate nach dem Sturz von Ex-Präsident Bakijew wird die zentralasiatische ehemalige Sowjet-Republik erneut von einer Welle der Gewalt erschüttert. Seit Donnerstag (10.06.2010) kommt es in und um die zweitgrößte Stadt des Landes Osch an der Grenze zu China immer wieder zu Kämpfen. Auf offener Straße machen kirgisische Gruppen Jagd auf Angehörige der usbekischen Minderheit. Letztendlich gehe es dabei um einen altbekannten ethnischen Konflikt, um Ressentiments zwischen den beiden Volksgruppen, erklärt Andrea Schmitz, Zentralasien-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Die Kirgisen sind vielfach der Meinung, dass die Usbeken sie in der Gegend von Osch übervorteilen."
Pulverfass im Süden
Insgesamt stellen die Usbeken rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung in dem 5,3-Millionen-Einwohner-Land. In der Konfliktregion im Süden allerdings ist das Verhältnis ein anderes: Dort stehen sich Kirgisen und Usbeken in ungefähr gleicher Zahl gegenüber. "Die starke Zuwanderung von Kirgisen dort hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Ressourcen einfach immer knapper geworden sind." Deshalb habe der kirgisische Bevölkerungsteil den Eindruck, benachteiligt zu sein. Die Region um die Stadt Osch und das bergige Fergana-Tal im Süden Kirgisistans gilt schon seit langem als Pulverfass der rivalisierenden Bevölkerungsgruppen. Das dicht besiedelte Tal gehört sowohl zu Kirgisistan als auch zu Usbekistan und Tadschikistan. Viele Bewohner der landwirtschaftlich geprägten Region leben in Armut, islamistische Tendenzen sind tief verwurzelt.
Historischer Konflikt
Die Ursprünge des ethnischen Konflikts reichen weit in die Vergangenheit zurück: bis in die 1920er und 1930er Jahre, als die Sowjetführung unter Stalin künstliche Grenzen zog. "Der Maxime des 'Teile-und-Herrsche' folgend haben die Sowjets das Fergana-Tal praktisch mit dem Schlachtmesser aufgeteilt und dabei alte Siedlungsstrukturen zerstört", sagt Andrea Schmitz von der SWP. Dabei sei eine Reihe von Enklaven entstanden, usbekische in Kirgisistan und auch umgekehrt. Genau diese Enklaven-Konstellation trug schon 1990 wesentlich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Usbeken und Kirgisen bei. Damals starben beim sogenannten Osch-Massaker offiziell rund 300 Menschen, bevor sowjetische Truppen die Konfliktparteien trennten.
Die ambivalente Rolle Russlands
Auch in der jetzigen Krise hat Interimspräsidentin Rosa Otunbajewa Moskau mehrfach um Hilfe gebeten, um der Lage wieder Herr zu werden. Andrea Schmitz allerdings beurteilt eine mögliche Vermittler-Position Moskaus kritisch. Russland spiele eine ambivalente Rolle in dem Konflikt. "Man hat gelegentlich den Eindruck, dass Russland nichts um der Sache selbst willen unternimmt." Vielmehr stehe immer dieselbe Frage im Hintergrund: "Nutzt der Schritt Moskau, um Boden und Einfluss zu gewinnen in der Region?" Nach Ansicht der Zentralasien-Expertin könnte eine andere ehemalige Sowjet-Republik als potentieller Schlichter auftreten: der derzeitige OSZE-Vorsitzende Kasachstan. "Kasachstan hat ja schon nach dem Putsch Anfang April einen Kompromiss zwischen der Interimsregierung und Ex-Präsident Bakijew ausgehandelt", so Schmitz. Und vor diesem Hintergrund sei es gut möglich, dass die Führung in Astana auch jetzt von den Konfliktparteien als moderierende Kraft anerkannt werde.
Autorin: Esther Broders
Redaktion: Thomas Latschan