Zwei-Klassen-Netz?
24. Februar 2014Bis Mai möchte das Europaparlament entscheiden, wie es zukünftig um die Netzneutralität stehen soll. Es gibt bereits einen Entwurf der EU-Kommission, über den zurzeit heftig diskutiert wird. Denn dieser Entwurf ermöglicht es Internet-Providern, ihre eigenen Inhalte schneller an den Mann zu bringen als andere. Im Klartext: Die Deutsche Telekom könnte mit ihrem Musikdienst "Musicload" ihre Konkurrenten iTunes und Amazon auf die Plätze verweisen, indem sie schnellere Downloads für ihre Musik zur Verfügung stellt. Außerdem könnten die Provider mit anderen Webdiensten Deals aushandeln – etwa bezahlte Premium-Accounts für die Nutzer bestimmter Seiten anbieten. Was bedeuten könnte, dass zum Beispiel Youtube in Zukunft gegen Bezahlung besser erreichbar ist als die Videoplattform Vimeo.
Verschiedene EU-Ausschüsse haben sich bereits mit dem Thema beschäftigt. Ihr Votum: Die Netzneutralität muss gewahrt bleiben. An diesem Montag wollte der in dieser Sache federführende Industrie-Ausschuss ITRE über den Entwurf abstimmen. Dazu ist es nicht gekommen. Denn zu viele Punkte sind noch strittig. Je nachdem wie die Ausschussmitglieder abstimmen, könnte sich das Internet für die europäischen Bürger erheblich verändern. Denn der freie Zugang zu allen Informationen im Netz würde durch die Aufhebung der Netzneutralität Geschichte.
Hinter dem sperrigen Begriff Netzneutralität steckt das Prinzip der Gleichbehandlung aller Daten im Netz. Egal, wer Empfänger oder Sender ist, oder welcher Art die Daten sind. Und so ist es Netzaktivisten immens wichtig, dass große Internetprovider möglichst nicht darüber bestimmen können, welche Inhalte zu welchem Zeitpunkt und in welcher Qualität verschickt werden.
Jose Luis Orihuela ist Professor für multimediale Kommunikation an der Universität von Navarra und ehemaliges Jury-Mitglied bei den Bobs, dem DW-Award für Onlineaktivismus. Er hält es für absolut verkehrt, wenn Regierungen oder Telekommunikationsunternehmen zu viel Macht über Web-Inhalte besäßen: "Dann ist die Grundlage des freien Internets in Frage gestellt. Und daher muss jeder Nutzer alles versuchen, um diese Neutralität zu wahren."
Schicksal des Internets
Befürworter der Netzneutralität haben eine Online-Kampagne gestartet – "Save the Internet" richtet sich an EU-Bürger. Die sollen ihre persönlichen Europaabgeordneten anschreiben und darum bitten, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern.
"Wenn wir über Netzneutralität diskutieren, sprechen wir in Wirklichkeit über das Schicksal des Internets", meint Felix Treguer von "La Quadrature du Net", einer französischen Aktivistengruppe, die sich für Bürgerrechte im Internet einsetzt.
Allein die Definition von Netzneutralität teilt Aktivisten und Betreiber von Telekommunikationsnetzen in zwei Lager. Treguer forderte die EU auf, Netzneutralität als Gleichbehandlung aller Arten von Internetverkehr, unabhängig von dessen Inhalt, Herkunft und Adressat, zu definieren. Die derzeitige Definition sei viel zu schwammig, dort hieße es lediglich: "Gleichwertiger Verkehr soll gleich behandelt werden". Dies stelle das Konzept der Netzneutralität auf den Kopf, meinte Treguer im DW-Gespräch. Es erlaube, den Internetverkehr abhängig von seinem Inhalt zu priorisieren oder hinten an zu stellen.
Nicht alle Onlinedienste sind gleich
Telekom-Sprecher Philipp Blank hält eine strikte Gleichbehandlung von Datenpaketen allerdings nicht für sinnvoll. "Sie entspricht nicht den Ansprüchen an viele neue Dienste, die entstehen. Selbst in den Niederlanden, wo Netzneutralität Gesetz ist, können Dienste unterschiedlich behandelt werden, weil sie ja auch unterschiedlich sind." Dies bedeute allerdings nicht, dass die Deutsche Telekom ermächtigt werden solle, bestimmte Internetdienste an- oder abzuschalten, betont Blank. Und fügt hinzu: "Ganz sicher ist, dass das Internet offen und sicher bleiben muss. Und dass die Menschen alle Dienste, die sie nutzen wollen, auch weiter nutzen können. So verstehen wir Netzneutralität und das muss auf jeden Fall gewährleistet bleiben."
Freies und offenes Internet – aber mit speziellen Diensten
Viele neue Dienste entwickeln sich gerade und deren erweiterte Struktur bereitet Online-Rechtsgruppen Bauchschmerzen. Denn solche Dienste könnten durchaus eine bevorzugte Behandlung voraussetzen, wie Philipp Blank deutlich macht: "Es gibt Dienste, die höhere Qualitätsanforderungen haben, zum Beispiel die Telemedizin oder auch eine Videokonferenz. Diese Dienste werden nur dann akzeptiert, wenn sie einwandfrei funktionieren. Das rechtfertigt es, dass sie in einer höheren, garantierten Qualität transportiert werden können."
Gerade das jedoch bemängeln Kritiker wie Felix Treguer von "Quadrature du Net". Große Anbieter wie Google, Facebook oder Amazon könnten ihre Inhalte einfacher platzieren und damit die gesamte Netzlandschaft verändern. Kleine Start-ups oder Blogger hätten kaum noch Chancen im Netz gesehen zu werden, wenn sie nicht mehr so gut erreichbar sind. "Wir müssen sicherstellen", so Treguer, "dass die offene Plattform für Innovation, Wettbewerb und Kommunikationsfreiheit erhalten bleibt."
Es wird sich zeigen, wie sich das Internet in Europa weiter entwickeln kann. Der Industrieausschuss des EU-Parlaments wird mit seiner Entscheidung die Richtung vorgeben, in die das Internet in Europa gehen wird. Das EU-Parlament wird dann im Mai an den ersten Gesetzentwürfen arbeiten – kurz vor den Europawahlen.