1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Stresstest für Europa

Barbara Wesel4. September 2015

Keine Annäherung beim Treffen der EU-Außenminister: Deutschland und Frankreich fordern feste Verteilungsquoten für Flüchtlinge, osteuropäische Staaten lehnen das ab. Die Kluft wird tiefer. Aus Luxemburg Barbara Wesel.

https://p.dw.com/p/1GRPn
Flüchtlinge in Budapest zu Fuß auf dem Weg nach Deutschand (Foto: picture-alliance/dpa/Z. Balogh)
Bild: picture-alliance/dpa/Z. Balogh

Wenn irgendjemand Illusionen hatte - der ungarische Außenminister hat sie schon bei seinem Eintreffen in Luxemburg zerstört: Die EU müsse aufhören, "unrealistische Erwartungen zu schüren", erklärte Peter Szijjarto, und damit immer noch mehr Flüchtlinge nach Europa locken. Das ist die Linie seiner Regierung seit dem viel kritisierten Auftritt von Viktor Orban in Brüssel: Er zeigt mit dem Finger nach Deutschland und behauptet, Berlin habe selbst Schuld am Zustrom von Syrern, weil man zu großzügige Versprechungen gemacht habe.

Und am späten Nachmittag bekräftigen Orban und seine Kollegen aus Tschechien, der Slowakei und Polen dann noch einmal die gemeinsame Linie: Eine feste Quote zur Umverteilung von Flüchtlingen komme für sie nicht in Frage. Stattdessen gibt es die Idee, eine Art Korridor zwischen den osteuropäischen Ankunftsländern und Deutschland einzurichten, durch den die Flüchtlinge dann unregistriert passieren könnten.

Keine Zustimmung aus Deutschland

Von deutscher Seite gibt es dafür in Luxemburg keinen Beifall - seit Tagen fordert die Regierung in Berlin Ungarn und die Nachbarländer auf, nicht einfach die europäischen Pflichten zur humanen Aufnahme und Registrierung eintreffender Flüchtlinge außer Kraft zu setzen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, Deutschland sei bereit zu helfen, und die Bundesregierung habe inzwischen die finanzielle Unterstützung etwa für Griechenland verdoppelt.

Auch die EU-Kommission verspricht mehr Geld für die Betroffenen, aber wer Hilfe annehme, müsse auch Verantwortung übernehmen, heißt die Devise. Es sei nicht akzeptabel, dass die Flüchtlinge weiter einfach nach Norden durchgeschoben werden.

Der Zeitdruck wächst

Sebastian Kurz (foto: AFP/Getty Images/O. Andersen)
Genervt: Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (Archivbild)Bild: AFP/Getty Images/O. Andersen

Angesichts der Vorgänge in Griechenland, in Mazedonien, Serbien und vor allem in Ungarn, wo tausende verzweifelte Menschen in Bewegung sind, müsste die EU eigentlich schnell handeln. "Warum sind wir so langsam?" fragt Österreichs Außenminister Sebastian Kurz genervt. "Österreich hat inzwischen zehnmal so viele Asylanträge entgegengenommen, wie Griechenland und Italien zusammen", klagt er. Er fordert eine gerechte Quote zur Verteilung der Menschen in der EU, aber er wird sie vorläufig nicht bekommen.

Denn bereits der Zeitplan ist wenig ehrgeizig: Beim Treffen der Innenminister Mitte September werde es allenfalls erste Schritte in Richtung Einigung geben, hatte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn schon gewarnt, vielleicht könne man dann im Oktober zu ersten Lösungen kommen. Er ist derzeit Vorsitzender des Europäischen Rates, wo die Regierungen der Mitgliedsstaaten die Entscheidungen treffen. Seine Aufgabe ist es, die Gespräche voran zu bringen. Asselborn hofft, dass bei den Mitgliedsländern inzwischen "der Groschen gefallen ist", und sie sich an einer gemeinsamen Lösung für die Flüchtlingskrise beteiligen würden, sagt der Luxemburger. Aber er ist derzeit von Amts wegen zu Optimismus verpflichtet.

Frank-Walter Steinmeier und Jean Asselborn (Foto: picture-alliance/dpa/J. Warnand)
Sehr einig in der Flüchtlingsfrage: Außenminister Steinmeier und sein Amtskollege aus Luxemburg, Jean AsselbornBild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Außenminister Steinmeier wünschte sich dagegen schnelleres Handeln, aber macht hier niemandem Hoffnung auf eine neue EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik aus einem Guss. Die Zeichen deuten darauf, dass die Europäer nur in kleinen Schritten Teillösungen schaffen werden, vielleicht Fortschritte bei der einmaligen Umverteilung von 100.000 bis 150.000 Flüchtlingen erzielen können.

Die Frustration ist groß

Für einen dauerhaften Mechanismus zur Bewältigung der Krise aber ist vorerst kein Konsens zu erkennen. Die EU-Kommission hat schon allerhand Ideen präsentiert, um die verhärteten Fronten zu knacken: Länder könnten sich zum Beispiel von der Aufnahmepflicht vorübergehend freikaufen oder Sanktionen sie zum Einlenken bewegen. Aber der Widerstand einer Kerngruppe in Osteuropa scheint beinhart.

Auch bei Politprofi Jean Asselborn – er ist seit über zehn Jahren luxemburgischer Außenminister – wird der Frust über den gegenwärtigen Zustand und die Zerstrittenheit in der EU deutlich: "Diese Krise wird Europa noch ein Jahrzehnt lang beschäftigen und ist viel schwerwiegender als Griechenlands Schuldenprobleme". Und auf das erschütternde Foto des kleinen Aylan, des auf der Flucht ertrunkenen Dreijährigen aus dem syrischen Kobane, sagt Asselborn: "Ich finde auch Emotionen müssen Politiker in Bewegung setzen".

Vom Totalverweigerer zum Teilblockierer

Das tat denn auch der britische Premier David Cameron – bisher unter den Totalblockierern einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik. Er sah sich zumindest zu einer humanitären Geste veranlasst und versprach inzwischen Aufnahme von mehreren tausend Flüchtlingen aus Syrien. Allerdings nimmt der britische Außenminister an den weiteren Gesprächen in Luxemburg nicht einmal teil. Es ist ein klares Signal, dass Großbritannien weiter nicht an einer wirklichen Lösung mitarbeiten will.

Inzwischen wächst allerdings bei einigen Ländern die Ungeduld: Wir brauchen einen EU Sondergipfel so bald wie möglich, fordern inzwischen Österreich und etwa die Slowakei. Selbst wenn Solidarität in der EU angesichts der Flüchtlingskrise klein geschrieben wird und Europa zerstritten dasteht – wie auf ein Wundermittel hoffen manche inzwischen auf eine der berüchtigten Nachtsitzungen von Brüssel, wo die Regierungschefs den Knoten durchschlagen sollen.