EU beklagt deutschen Daten-Basar
10. Juli 2012"Wie will der Staat glaubhaft von Facebook und Google Datenschutz verlangen, wenn er selbst Daten an die Privatwirtschaft verkauft?" EU-Justizkommissarin Viviane Reding ließ ihrer Empörung freien Lauf. Sie sei "überrascht, dass einige deutsche Politiker die Profitinteressen von hiesigen Werbeunternehmen vor das Grundrecht der Bürger auf Datenschutz stellen", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.
Staatliche Stellen hätten eine Verantwortung gegenüber dem Bürger und dies gelte insbesondere bei einem "Zwangsregister", bei dem sich der Einzelne nicht gegen die staatliche Speicherung seiner Daten wehren könne, so Reding in Brüssel.
Nach dem umstrittenen neuen Gesetz, das der Bundestag Ende Juni beschlossen hatte, sollen Meldeämter zum Beispiel Namen und Adressen ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen etwa an Firmen zu Werbezwecken weitergeben dürfen.
Widerspruch de facto kaum möglich
Ein Bürger könnte weiterhin vorbeugend Widerspruch einlegen - aber nicht, wenn Adresshändler vom Amt nur vorhandene Daten bestätigen oder aktualisieren lassen wollen. Die Bundesregierung distanzierte sich von dem Gesetz, im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag soll es geändert werden.
Das Meldegesetz widerspreche dem Geist der europäischen Datenschutz-Regeln, sagte die EU-Kommissarin. "Sie besagen, dass die Daten des Einzelnen nicht ohne seine Zustimmung verarbeitet oder an Dritte weitergegeben werden können." Auch nach der derzeit diskutierten Reform der EU-Datenschutzvorgaben müsse dies weiterhin für den öffentlichen Sektor gelten. "Der ein oder andere deutsche Minister" wolle Behörden indes davon ausnehmen, monierte die Luxemburgerin.
Auch Diplomaten in Brüssel bestätigen dies: Das deutsche Innenministerium dränge auf weichere Datenschutzregeln für Behörden. Ein EU-Diplomat wirft Deutschland doppeltes Spiel vor: Einerseits wehre sich die Regierung bei der EU-Datenschutzreform gegen Regeln aus Brüssel, andererseits wolle sie daheim den Handel mit Bürgerdaten zulassen.
CDU/CSU bleibt zerstritten
Während die Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel schon von der Neuregelung abgerückt war, versuchten Innenexperten der Union jetzt neue Verteidigungslinien aufzubauen.
Hans-Peter Uhl von der CSU sagte der Agentur dapd, das neue Gesetz schaffe "in allen 16 Bundesländern mehr Datenschutz". Änderungen seien aber denkbar, so Uhl, der zu den Initiatoren des Gesetzes zählt. Wolfgang Bosbach von der CDU, Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, wehrte sich gegen den Vorwurf, man sei der Wirtschaft bewusst entgegen gekommen. Dann sei "auch die bisherige Rechtslage in den Bundesländern schon ein Geschenk an die Werbewirtschaft" gewesen, argumentierte er in der "Saarbrücker Zeitung".
Aus immer mehr Bundesländern wird deutlich, dass die umstrittene Regelung in der Länderkammer, dem Bundesrat, rückgängig gemacht werden soll. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (ebenfalls CSU) beklagte das "Schnellverfahren" im Bundestag und gab bereits die Parole aus: "So wird das Gesetz nicht kommen."
Auch ihr Parteivorsitzender, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, räumte ein, bei den parlamentarischen Beratungen in Berlin sei "ein dicker Fehler passiert."
SC/kis (dapd, dpa, afp)