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EU will Russland härter strafen

Bernd Riegert29. Juli 2014

Erstmals verhängt die EU harte Wirtschaftssanktionen in der Ukraine-Krise gegen Russland. Die Hoffnung ist, dass der Kreml einlenkt. In drei Monaten sollen die Sanktionen überprüft werden.

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Symbolbild: EU-Flagge und weitere Fahnen vor Gebäude (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

EU-Gipfel am 16. Juli, Außenministertreffen am 22. Juli und seither tagelange Sondersitzungen der EU-Botschafter in Brüssel. Lange haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union um eine Ausweitung von Sanktionen gegen Russland gerungen. Präsident Wladimir Putin hätte also Zeit gehabt, noch vor Erlass der schärferen Sanktionen auf die Rebellen in der Ukraine einzuwirken, so wie das die EU und die USA immer wieder gefordert hatten. Stattdessen konnten die internationalen Ermittler tagelang nicht zur Absturzstelle der am 17. Juli mutmaßlich abgeschossenen Verkehrsmaschine MH17 vordringen, weil dort heftig gekämpft wird.

Der würdelose Umgang mit den sterblichen Überresten der Passagiere und Besatzung seitens der pro-russischen Rebellen brachte das Fass in Europa wohl zum Überlaufen. In einer telefonischen Schaltkonferenz beschlossen die Präsidenten der USA und Frankreichs, sowie der britische Premier, die deutsche Bundeskanzlerin und der italienische Premierminister am Montagabend: "Es reicht!" Sie sprachen sich für schärfere Sanktionen aus, die die ständigen Vertreter der 28 EU-Staaten in Brüssel im Auftrag ihrer Regierungen am Dienstag (29.07.2014) billigten. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erklärte anschließend schriftlich, Russland habe gemachte Zusagen nicht eingehalten. Die EU sei "verärgert und frustriert" über den respektlosen Umgang mit den Toten des Flugzeugabsturzes.

Herman Van Rompuy (Foto: DW/B. Riegert)
Van Rompuy: "Verärgert und frustriert"Bild: DW/B. Riegert

Die EU-Kommission hatte bereits im April Studien zu den Auswirkungen möglicher Sanktionen auf die Mitgliedsstaaten vorgelegt und im Laufe der vergangenen Woche mehrere Szenarien für Strafmaßnahmen ausgearbeitet.

Zähes Ringen um ausgewogenes Paket

Ist das nun der endgültige Beschluss? Im Prinzip ja, allerdings könnten die Regierungen bis Mittwoch noch Änderungen verlangen. Ein weiteres Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ist im Moment nicht vorgesehen. Ursprünglich hatten die EU-Chefs im März beschlossen, sich erneut zu treffen, wenn umfassende Sanktionen der "Stufe 3" erlassen werden müssten. Das hat man nun offenbar in der Mitte der Sommerferien doch den Botschaftern übertragen. Rechtskraft erhalten die Sanktionen erst, wenn sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Dann müssen sich Staaten, Banken und Firmen in der Europäischen Union an die in langen Verordnungstexten enthaltenen Beschränkungen halten. Die Veröffentlichung ist laut EU-Diplomaten spätestens am Donnerstag geplant. Erst dann werden die Einzelheiten der Sanktionen und konkrete Namen von Firmen und Produkten bekannt.

Die Beratungen waren langwierig, weil alle EU-Staaten die Belastungen für ihre eigene Wirtschaft möglichst klein halten wollten. Jeder hatte berechtigte Sorgen. Die deutschen Unternehmen exportieren am meisten nach Russland. Großbritannien ist Finanzdrehscheibe für russische Unternehmen. Italien, Österreich sind stark im Energiesektor engagiert. Frankreich verteidigt Rüstungsgeschäfte mit der russischen Armee. Offensichtlich hat man jetzt ein Paket geschnürt, das die vermuteten Lasten gleichmäßig verteilt.

Putin und Merkel beim Fußball-WM 2014 Finale (Foto: AFP/Getty Images)
Persönliche Gespräche brachten nichts: Putin (li.) und Merkel beim WM-FinaleBild: AFP/Getty Images

"Wir wissen natürlich nicht, wie die Russen reagieren werden", meinte ein EU-Diplomat nach den Beratungen. Konkret angedroht ist bislang nur ein Importstopp für Obst aus der EU. Zur Sanktionsverordnung gegen Russland gehören auch mehrere technische Anhänge, in denen zum Beispiel einzelne Maschinentypen aus der Erdöl-Industrie aufgelistet sind, die nicht mehr geliefert werden dürfen. Dass die Wirtschaftssanktionen den russischen Präsidenten Wladimir Putin jetzt zu einem schnellen Einlenken bewegen wird, glauben die EU-Diplomaten in Brüssel nicht. Putin hatte bereits am Montag (28.07.2014) in Moskau gesagt, die Sanktionen würden ihn nicht besorgt machen. Fehlende Produkte aus dem Westen würden eben durch eigene Maschinen ersetzt. In drei Monaten will die EU die Wirksamkeit ihrer Sanktionen überprüfen. EU-Diplomaten machten klar, dass die Sanktionen auch nochmals verschärft werden könnten.

Russlands Zugang zu europäischem Kapital soll getroffen werden

Kern der Sanktionen ist die Beschränkung des Zugangs russischer Banken zum europäischen Kapitalmarkt. Banken, die zu mehr als 50 Prozent in staatlichem Besitz sind, werden Geschäfte an den Finanzplätzen London, Frankfurt oder Mailand untersagt. EU-Bürger dürfen keine Anleihen aus Russland mehr kaufen. Die EU erwartet, dass diese Maßnahmen die Investoren stark verunsichern werden, was wiederum zu weiteren Kapitalabflüssen aus Russland führen dürfte. Russland sei von Kapitalzufluss aus dem Ausland abhängig, um seine Wirtschaft zu finanzieren, heißt es von Wirtschaftsexperten. Es dürfte schwierig sein, kurzfristig genügend neue Kapitalquellen zu erschließen. "Damit trifft man Russland, wenn man das denn will, sicherlich am Härtesten", hatte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier, der DW gesagt.

Moskau Börse Aktienmarkt MICEX (Foto: picture-alliance/dpa)
Russische Banken sollen es schwerer habenBild: picture-alliance/dpa

Einige Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die russische Wirtschaft durch die Sanktionen und den Abzug von Kapital in die Rezession geraten könnte. Bislang importierte Russland jährlich Waren und Dienstleistungen von jährlich 120 Milliarden Euro aus der EU, so die EU-Statistikbehörde Eurostat. Gregor Eder, Ökonom beim Versicherungskonzern Allianz, warnte, der Verlust an Vertrauen könnte auch die anfällige wirtschaftliche Erholung in der EU gefährden. "Die direkte Wirkung auf den Handel ist relativ klein", sagte Gregor Eder dem Online-Portal "Euractiv" in Brüssel. "Eine Spirale aus Sanktionen und eine generell abnehmende Zuversicht könnten schon reichen, um das schwächelnde Wirtschaftswachstum in Europa ganz zum Stehen zu bringen."

Waffenembargo nur für geplante neue Verträge

Teil der Sanktionen ist auch ein Waffenembargo. Kriegsgerät, Geschütze und Munition dürfen nicht mehr nach Russland geliefert oder in Russland gekauft werden. Das gilt aber nur für zukünftige Geschäfte. Bestehende Verträge können erfüllt werden. Das hatte Frankreich durchgesetzt, das unbedingt zwei Kriegsschiffe - Hubschrauberträger im Wert von 1,6 Milliarden Euro - an die russische Marine ausliefern will. Weiter wird verboten, Waren zu liefern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden könnten. Diese sogenannten "Dual-use"-Güter umfassen zunächst vor allem Verschlüsselungssysteme, spezielle Computersysteme und Präzisions-Werkzeugmaschinen für Endkunden in den russischen Streitkräften.

Kriesschiff am Kai eines Hafens (Foto: dpa)
Mistral: Französisches Kriegsschiff für Russland (Archiv)Bild: picture alliance/dpa

Der russische Energie-Sektor soll ebenfalls Ziel der Sanktionen sein. Spezielle Hochtechnologie, die zur Ausbeutung russischer Ölfelder gebraucht wird, soll nicht mehr geliefert werden dürfen. Ausgenommen ist noch die Gas-Produktion. Viele EU-Staaten sind von Gas-Importen aus Russland abhängig.

Putins Tochter ausweisen?

Herman Van Rompuy, der EU-Ratspräsident, erklärte, mit dem Sanktionspaket sollten die Kosten für Russlands politischen Kurs hochgetrieben werden. "Russland wird sich zunehmend selbst isolieren durch seine eigenen Taten. Die EU bleibt bereit, ihre Entscheidungen zu revidieren, wenn sich Russland aktiv an der Lösung der Ukraine-Krise beteiligt", so Van Rompuy. Die Sanktionen sollten flexibel gehandhabt werden. Ziel sei es, die weitere Ausrüstung und Unterstützung der pro-russischen Rebellen in der östlichen Ukraine zu unterbinden.

Wenige Stunden nach dem Sanktionsbeschluss der EU-Botschafter zog US-Präsident Barack Obama nach und setzte drei weitere Banken, das größte russische Schiffsbau-Unternehmen (United Shipbuilding Corporation), Technologiefirmen im Militärbereich sowie Unternehmen aus der Ölbranche auf die US-Sanktionsliste. Dies werde die russische Wirtschaft weiter schwächen, sagte Obama. Die EU hatte schon am Montag (28.07.2014) die Liste von Personen und Firmen, die mit Reise- und Geschäftsverboten in der EU belegt sind, noch einmal verlängert. Den Personen wird vorgeworfen, für die Annexion der Krim-Halbinsel sowie die Unruhen in der östlichen Ukraine verantwortlich zu sein. In den Niederlanden wird unterdessen diskutiert, ob die Tochter des russischen Präsidenten nicht ausgewiesen werden sollte. Maria Putina (29) soll seit zwei Jahren in Den Haag mit einem Niederländer zusammenleben. Die meisten der 298 Opfer des Abschusses von MH17 waren Niederländer.