EU und Corona: Italien braucht neues Geld
27. März 2020Fast hätte der italienische Premier Giuseppe Conte den dritten telefonischen Sondergipfel der Europäischen Union am Donnerstagabend zum Platzen gebracht. Conte, der das Land mit den meisten Corona-Opfern in Europa vertritt, verlangte neue Vorschläge, wie die Kosten der Viruskrise aufgefangen werden sollen. Die Mehrheit der EU-Staaten hielt das Angebot an klamme Staaten, vorsorglich Kreditlinien aus dem Europäischen Rettungsschirm (ESM) zu erhalten, für ausreichend. Der Ministerpräsident in Rom lehnte das ab. Der ESM mit einem Volumen von 410 Milliarden Euro sei ein altes Instrument, das für eine ganz andere Krise entstanden sei. Der Rettungsschirm war von der Euro-Währungsgemeinschaft geschaffen worden, um Staaten zu finanzieren, die während der Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren keinen Zugang mehr zu Krediten von den privaten Finanzmärkten hatten. Griechenland, Irland, Zypern, Portugal und Spanien hatten den Rettungsschirm in Anspruch genommen.
Italien verlangt neue Vorschläge
"Wenn ihr mir das anbietet, dann machen wir es lieber alleine", soll Conte in der Videokonferenz gedroht haben, wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtet. In stundenlangen Verhandlungen erreichte EU-Ratspräsident Charles Michel schließlich, dass Italien einem Kompromiss zustimmte. Innerhalb von zwei Wochen sollen die EU-Finanzminister neue Vorschläge vorlegen, mit welchen gemeinsamen Finanzinstrumenten besonders gebeutelte Staaten wie Italien oder Spanien gestützt werden können. Conte hatte zunächst auf einer Frist von 10 Tagen bestanden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel berichtete nach der Sitzung, man spreche auf Contes Wunsch hin von einer "außergewöhnlichen Krise", die wohl auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordere. In vierzehn Tagen werde dann wohl der nächste Videokonferenz-Gipfel der EU stattfinden, meinte die Kanzlerin.
Wie der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte berichtete, hat sich die EU weder auf den Umfang noch die Tragweite ihrer ökonomischen Antwort auf die Coronakrise einigen können. Deshalb habe man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt, um Zeit zu kaufen.
Corona-Bonds sind noch kein Thema
"Wir wollen keine gemeinsame Staatsverschuldung", sagte Giuseppe Conte schließlich noch. Allerdings hatte er vor dem turbulenten Gipfel zusammen mit acht anderen EU-Staats- und Regierungschefs einen Brief unterschrieben, in dem die gemeinschaftliche Ausgabe von Schuldentiteln, sogenannten Euro- oder Coronabonds, gefordert wird. Über diese gemeinsamen Schulden, die von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vehement abgelehnt werden, hat der EU-Gipfel offenbar nicht weiter diskutiert. Aus deutschen Regierungskreisen hatte es zuvor geheißen, dafür sei es in der jetzigen Phase der Krisenbewältigung zu früh. Man müsse noch etwas in der Hinterhand haben, wenn am Ende tatsächlich insolvente Staaten oder deren Banken gerettet werden müssten.
Die Staats- und Regierungschefs begrüßten ausdrücklich, dass die Europäische Zentralbank den klammen Staaten in diesem Jahr für 750 Milliarden Euro zusätzliche Staatsanleihen abkaufen will. Außerdem hat die EU-Kommission 37 Milliarden Euro aus dem gemeinsamen Budget mobilisiert, um in die Beschaffung von medizinischer Ausrüstung und die Forschung nach einem Corona-Impfstoff zu investieren. Außerdem hatten die EU-Finanzminister die strengen Regeln für die Neuverschuldung in der Euro-Zone aufgehoben. Die Staaten können jetzt mehr als drei Prozent neue Schulden an den Finanzmärkten aufnehmen. Italien liegt im Moment unter dieser Marke, hat allerdings Gesamtschulden von über 130 Prozent der Wirtschaftsleistung, was Zweifel an seiner langfristigen Kreditwürdigkeit nährt.
EU-Kommission soll den Ausstieg planen
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, bekam von den Regierungschefs den Auftrag eine "Exit-Strategie" zu erarbeiten. "Wir müssen jetzt unsere Entscheidungen koordinieren, wann wir die Maßnahmen wieder zurückfahren", sagte sie in einer viralen Pressekonferenz nach dem Gipfel. Zusammen mit Experten will von der Leyen die Frage beantworten, wann die Ausgangs- und Reisebeschränkungen in Europa wieder aufgehoben werden können. Der Plan zum Ausstieg aus der Corona-Krise soll bis Mitte April vorliegen. "Wir brauchen dann auch eine Strategie für die Erholung der Wirtschaft, die bis dahin in einem Winterschlaf verharrt", sagte die EU-Kommissionspräsidentin. "Wir brauchen Einigkeit und Solidarität, um diese Schlacht, der sich die ganze Welt stellt, zu gewinnen." Wegen mangelnder Solidarität hatte von der Leyen die EU-Mitgliedsstaaten in einer Rede vor dem Europäischen Parlament noch hart kritisiert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, es sei sicher einfacher Kompromisse zu finden, wenn man sich persönlich treffe. "Jetzt kann man ja nicht einfach einmal um den Tisch herumgehen mit einem Vorschlag", beschrieb Merkel ihre Eindrücke von der Videokonferenz. Man könne sich aber untereinander auch Textnachrichten schicken, um sich abzustimmen. "Ich finde das recht interessant." Sie freue sich, wenn sie wieder aus der häuslichen Quarantäne entlassen werde, in die sie sich nach dem Kontakt mit einem Corona-infizierten Arzt begeben hatte. "Ich bin zwar gut beschäftigt, aber in Kabinettsitzungen fehlt der persönliche Kontakt. Es ist anders."