EU und Libyen
18. Februar 2011Für mehr als drei Jahrzehnte war der selbsternannte Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi so etwas wie ein Aussätziger in der internationalen Politik. Er provozierte die USA und Europa, wo er nur konnte. Muammar al Gaddafi finanzierte und steuerte Terror, der sich auch gegen Europa richtete. Als er Anfang des Jahrtausends Terrorismus und Massenvernichtungswaffen abschwor, wurde er nach und nach wieder salonfähig. Libyen mit seinen großen Öl- und Gasvorkommen war für Europa plötzlich wieder sehr interessant. Der mittlerweise 68-jährige Staatschef ist zwar sprunghaft und schwer berechenbar geblieben, aber besonders die ehemalige Kolonialmacht Italien macht mit ihm gute Geschäfte.
Entschädigung für Terroropfer
Die lästige Vergangenheit regelte Muammar al Gaddafi mit Geld. Er zahlte Anfang des Jahrzehnts 2,8 Milliarden US-Dollar an Entschädigung für die Opfer der zwei bekanntesten Terroranschläge auf eine Diskothek in Berlin und einen Jumobjet über dem schottischen Ort Lockerbie. Dafür vergaßen die Vereinten Nationen die terroristischen Machenschaften des libyschen Staatsoberhauptes. Die USA waren beruhigt, als Gaddafi auch noch auf Massenvernichtungswaffen verzichtete, eine Jahrzehnte lange Fehde mit dem Alleinherrscher über sechs Millionen Libyer ging zu Ende. 2003 wurden die UN-Sanktionen gegen Libyen aufgehoben. Die EU folgte wenig später.
2004 besuchte auch der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den schrillen Herrscher in der Wüste. Schröder war nicht nur von den bunten Gewändern beeindruckt. "Dieses Land hat sich politisch verändert, und das kann man ja nur begrüßen", sagte Schröder. "Natürlich ist das nicht vergleichbar mit dem, was wir von zu Hause kennen, aber die Richtung stimmt." Die Internationale Staatengemeinschaft habe ein Interesse daran, Libyen einzubinden, sagte Schröder damals. Auch der britische Premier und der französische Staatspräsident besuchten den "König der Könige Afrikas", wie Gaddafi sich später selbst zu nennen pflegte.
Mit Leibgarde nach Brüssel
2004 reiste der libysche Staatschef nach Brüssel zur Europäischen Union. Er übernachte im Zelt, eskortiert von seiner ausschließlich weiblichen Leibgarde, und nervte die Gesprächspartner mit stundenlangen Monologen. Seine Unterstützung für den Terrorismus verbrämte Gaddafi bei einer Pressekonferenz als Freiheitskampf: "Wir taten nur unsere Pflicht. Wir trainierten die Freiheitskämpfer, damit sie ihre Freiheit erreichen konnten. Wir glaubten, das war unsere historische Pflicht." Aber, jetzt sei der Kampf zu Ende, so Gaddafi damals weiter, jetzt wolle er Europa und der Welt Frieden bringen.
Mit der EU vereinbarte Libyen, dass es in die Partnerschaft mit den Mittelmeer-Anrainern eingegliedert werden soll. Besonders Italien, das bis 1943 Libyen als Kolonialmacht beherrschte, hat ein großes Interesse an dem Land. Viele italienische Firmen sind in Libyen aktiv. Umgekehrt hält Libyen Anteile an vielen italiensichen Konzernen. Die staatliche libysche Ölfirma Tamoil unterhielt ein Tankstellennetz in Südeuropa. Viele multinationale Ölkonzerne sind inzwischen wieder in Libyen im Geschäft.
Mittelmeer-Flüchtlinge
2006 schlossen die EU und Libyen zudem ein Abkommen, um Bootsflüchtlinge vor den Toren Europas zu stoppen. Mittlerweile wurde dieses Abkommen ausgeweitet und Libyen hält angeblich zehntausende Flüchtlinge in Lagern zurück. Italien schiebt Flüchtlinge ohne Verfahren nach Libyen ab. Ganz umsonst ist der libysche Flüchtlingsservice nicht: Ab und zu fordert Muammar al Gaddafi fünf Milliarden von der EU. Sonst würde er alle Menschen übers Meer schicken, droht er. Tatsächlich hat Libyen für die Flüchtlingsabkommen rund 50 Millionen Euro kassiert.
Das Verhältnis der EU zu Libyen wurde noch besser, als Gaddafi 2007 bulgarische Krankenschwestern und einen Arzt aus der Haft entließ, in der sie schuldlos gesessen hatten. Die EU und Bulgarien zahlten Entschädigungen für die vermeintlichen Opfer der Krankenschwestern. Die damalige Frau des französischen Staatspräsidenten, Cecilia Sarkozy, holte die bulgarischen Geiseln ab. Nur wenige Woche später vereinbarte ihr Mann, Nicolas Sarkozy, umfangreiche Geschäfte in Höhe von zehn Milliarden Euro. Unter anderem soll Frankreich einen Atomreaktor liefern.
Freundschaft mit Italien
Im vergangenen Jahr besuchte der libysche Machthaber zum wiederholten Male Italien. An einem Freundschaftsvertrag mit Italien gab es allerdings auch Kritik. Senator Marco Perduca kritisierte, dass sich die italienische Regierung nicht um die Verletzung von Menschenrechte in Libyen schere und jemandem einen Freibrief ausstelle, der seit vierzig Jahren Bürgerrechte mit Füssen trete.
Italien bezieht einen großen Teil seiner Öl- und Gasimporte per Pipeline aus Libyen - die EU ingesamt etwa zehn Prozent ihrer Einfuhren. Insofern verwundert es nicht, dass der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, seinen Staatsgast Gaddafi lobt, wo er kann. Bei einem Besuch im Jahr 2009 sagte er, Gaddafi sei eine Führungsfigur mit großer Weisheit, der die großen internationalen Konflikte sehr realistisch einschätze.
Muammar al-Gaddafi nutzte seinen jüngsten Besuch in Rom um bestellten weiblichen unkritischen Anhängerinnen aus dem Koran vorzulesen und Europa einen Übertritt zum Islam zu empfehlen.
Zögerliche Kritik
EU-Außenministerin Catherine Ashton fiel bislang zu den Demonstrationen in Libyen der butterweiche Satz ein: "Die EU beobachtet die Situation sehr scharf und fordert die Behörden auf, Meinungsfreiheit zu gewährleisten." Seit 2008 verhandelt die EU über ein Rahmenabkommen mit Libyen zur Zusammenarbeit im Energiesektor, bei Migration, Verkehr und Bildung. Libyen habe sich gut entwickelt, sagte der zuständige EU-Kommissar Stefan Füle bei seinem jüngsten Besuch in Tripolis im Oktober 2010.
In einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagzin "Der Spiegel" lobte Muammar al Gaddafi die Bundeskanzlerin Angela Merkel als willensstark und fügte hinzu, sie sei aber eher ein Mann als eine Frau. Nur auf die Schweiz ist Gaddafi in Europa nicht gut zu sprechen. Weil Schweizer Behörden gegen einen seiner Söhne ermittelten, wollte Gaddafi den Staat in den Alpen kurzerhand auflösen lassen. Die diplomatische Krise konnte nur mühsam gelöst werden.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Nicole Scherschun