EU-Innenminister wollen Schengen retten
25. Januar 2016Die Niederlande, die im Moment den Vorsitz in der EU führen, sind eine alte Seefahrernation. Die europäischen Minister tagen im Schifffahrtsmuseum im Hafen von Amsterdam. Per Barkasse werden sie im Morgengrauen von ihren Hotels zum Tagungsort geschippert. Die Szenerie passt zum Thema, denn die Innenminister diskutieren eine gemeinsame EU-Küstenwache, die irgendwann die Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland sichern soll. Bis zum Juni will die niederländische Präsidentschaft einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen.
Auch die Menschenrechtsorganisation "Amnesty international" hat sich den maritimen Gegebenheiten angepasst und protestiert am Montagmorgen per Schiff. Ein Boot, symbolisch mit Puppen, die Flüchtlinge darstellen, überladen, kreuzt langsam vor dem frisch weiß getünchten Tagesgebäude, das einem Wasserschloss ähnelt. Das "Amnesty"-Boot wird in gebührenden Abstand von einem doppelt so großen Polizeischiff begleitet. Zumindest im Hafen von Amsterdam klappt das mit der Sicherung.
"Griechenland ist gefordert"
Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner findet, dass Griechenland mehr tun könnte, um seine Seegrenze, die gleichzeitig EU-Außengrenze ist, abzuschotten. "Es ist ein Mythos, dass die griechisch-türkische Grenze nicht zu sichern ist", sagte Mikl-Leitner am Landungssteg. Die Griechen hätten eine riesige Marine, die sie einsetzen und einem zivilen EU-Kommando unterstellen müssten. Überhaupt Griechenland! erregt sich die Ressortchefin aus Österreich. "Es ist Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Griechenland ist hier gefordert, alles zu tun, was es kann."
Sollten die Griechen nicht liefern, dann sei es angezeigt, sie vorübergehend aus der "Schengenzone" ohne Grenzkontrollen hinauszuwerfen. Das hatte Johanna Mikl-Leitner bereits am Wochenende in einem Interview gefordert. Davon will sie auch in Amsterdam beim informellen Treffen der EU-Innenminister nicht abrücken. "Wenn die Außengrenzen nicht geschützt werden, dann werden sich die Grenzen weiter nach innen in den Schengenraum bewegen." Dazu passt ein Vorschlag, den die Niederlande schon vor längerer Zeit unterbreitet hatten: Die Gründung einer Mini-Schengenzone nur mit den mitteleuropäischen Gründungsstaaten des Raumes ohne interne Grenzkontrollen.
"Frontex muss mehr tun"
Davon wollen weder die EU-Kommission noch Griechenland oder der deutsche Innenminister bislang etwas wissen. Der griechische Außenminister Nikos Kotzias schob den Schwarzen Peter vor dem Treffen in Amsterdam an die übrigen EU-Mitgliedsstaaten und die gemeinsame Grenzschutzagentur "Frontex". Die habe, so Kotzias, nur 15 Schiffe vor griechischen Inseln im Einsatz, nötig seien aber 100 Schiffe, um die Küste zu sichern. Außerdem könne Griechenland keinen "Krieg" gegen Flüchtlinge führen, sondern müsse sie von seeuntüchtigen Booten retten. Mehr als 35000 Flüchtlinge und Migranten sind in den ersten Wochen des Jahres über das Mittelmeer nach Griechenland gekommen.
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nimmt nicht so sehr Griechenland ins Visier, sondern eher die EU als Ganzes. Und bleibt diplomatisch. "Wir brauchen einen dauerhaften, spürbaren, nachhaltigen Rückgang der Flüchtlingszahlen. Und zwar sichtbar in den nächsten Wochen. Die europäischen Maßnahmen, die wir betreiben, sind richtig, aber sie kommen spät", mahnt Thomas de Maizière. Griechenland müsse man bewerten. Vielleicht müsse man im Mai feststellen, dass das Land seine Aufgaben bei der Sicherung der Außengrenzen nicht erfüllt. Dann könnten die übrigen Staaten in der Schengen-Zone ihre internen Grenzkontrollen verstärken und um mindestens zwei Jahre verlängern.
Grenzkontrollen so lange es nötig ist
Er könne nicht sagen wie lange die bereits eingeführten stichprobenartigen Kontrollen an den Grenzen zu Österreich fortgeführt werden müssen. Das hatte der deutsche Innenminister zuvor gesagt. "Und dabei bleibt es auch", so de Maizière in Amsterdam. "Die Grenzkontrollen haben eine Funktion. Die Frist ist sozusagen nachrangig. Wir wollen, dass die Dinge funktionieren und dann müssen wir auch einen rechtlichen Weg finden, dass das geht." Zurzeit führen fünf Schengen-Staaten wieder interne Grenzkontrollen durch um Flüchtlinge und Asylbewerber zu erfassen und vereinzelt auch zurückweisen zu können. Deutschland lässt nur noch Menschen einreisen, die in Deutschland auch Asyl beantragen wollen. Wer das Ziel Schweden oder Dänemark angibt, wird zurückgeschickt. Österreich und Slowenien verfahren ähnlich.
Entlang der Balkanroute herrscht große Verunsicherung, nicht nur bei den Flüchtlingen und Asylsuchenden, die unterwegs sind. Auch die Politiker sind verunsichert, wie sich die Flüchtlingslage in den nächsten Wochen entwickeln wird. Slowenien zum Beispiel schlägt vor, die EU-Grenzschutzagentur Frontex auch in Mazedonien einzusetzen und so die Grenze zum eigenen Mitgliedsland Griechenland zu sichern. In Amsterdam soll nun darüber gesprochen werden, ob und wie das rechtlich möglich wäre.
"Die Zeit läuft uns davon"
Zur Verunsicherung trägt auch die Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme aus Österreich bei. Alle Augen sind jetzt auf den deutschen Innenminister Thomas de Maizière gerichtet, denn Deutschland ist das einzige Land in der EU, das Flüchtlinge und Asylbewerber nach wie vor in großer Zahl aufnimmt. Bei der Fragen von Journalisten nach einer möglichen deutschen Obergrenze stöhnt der Minister auf: "Das haben wir doch schon hundertmal diskutiert. Wir arbeiten an europäischen Lösungen. Wenn das funktioniert ist es gut, wenn nicht, muss man weitersehen."
"Schengen steht noch nicht auf dem Spiel", meint EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos, der weiter darauf drängt, dass die EU-Mitgliedsstaaten sich endlich daran machen, Flüchtlinge nach einem längst beschlossenen Schlüssel zu verteilen. Doch dazu machen fast alle EU-Staaten, nicht nur die osteuropäischen, wenig Anstalten. 331 von 160 000 vorgesehenen Menschen sind bislang aus Griechenland und Italien verteilt worden. Der deutsche Innenminister, der innenpolitisch mächtig unter Druck steht, weil Teile der eigenen Partei zuhause das Vertrauen in eine europäische Lösung verloren haben, beharrt auf seinem Standpunkt: "Es bleibt dabei, wir wollen Schengen erhalten. Wir wollen gemeinsame europäische Lösungen, aber die Zeit läuft uns davon." Die Flüchtlingszahlen sind im Moment niedriger als noch vor einem Monat. Das liege aber am Wetter, nicht an einer erfolgreichen EU-Politik räumt de Maiziere ein.