Vortanzen für die Europawahl
18. Oktober 2018Manfred Weber: Der Angepasste
Der CSU-Mann gehört zum gemäßigten, jedenfalls zum europafreundlichen Flügel seiner Partei. Seit 2004 sitzt er im Europaparlament und ist seit vier Jahren Vorsitzender der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei. Dort wirkte er vor allem als Strippenzieher hinter den Kulissen, der es versteht, Mehrheiten zu organisieren. Eine Reihe von Mitgliedsparteien haben ihm bereits ihre Unterstützung versprochen.
Was Weber schadet, ist, dass er jahrelang der Fidesz-Partei des praktizierenden Anti-Demokraten Viktor Orban in seiner Fraktion Schutz bot. Erst seit seiner Kandidatur hat er sich von dem Ungarn distanziert. Auch die Wahl des Berlusconi-Freundes Antonio Tajani zum Präsidenten des Europäischen Parlamentes im vorigen Jahr war Webers Werk und gilt nicht gerade als Glanzstück.
Darüber hinaus fehlt dem Bayern das Charisma. Er spricht gerade einmal passables Englisch, und Weltläufigkeit ist nicht seine Stärke. Vor allem aber fehlt Weber jegliche Regierungserfahrung. Und mit dem Wahlslogan "Europa zurück zu den Menschen bringen" dürfte er kaum die Massen auf den Marktplätzen der Nachbarländer bewegen.
Alexander Stubb: Der Erneuerer
Der jugendlich wirkende Finne ist sozusagen der Anti-Weber. Er startete als Europaabgeordneter, bekleidete dann verschiedene Ministerposten in Helsinki und war kurzeitig Premier seines Landes. Er studierte an der renommierten Londoner LSE und ist eher vom Typ "globale Elite". Stubb ist Marathonläufer und Triathlet.
Der Finne gehört dem liberalen Flügel seiner konservativen Heimatpartei an, hat sich immer für die europäische Integration eingesetzt, sieht sich heute aber als Pragmatiker der EU-Politik. Stubb spricht neben perfektem Englisch gutes Französisch und absolviert derzeit eine Pressetournee durch die EU. Ihn kann man sich in jeder Fußgängerzone der EU vorstellen, um Aufmerksamkeit für seinen Slogan "Next Generation Europe" zu werben.
Er stellt die digitale Revolution, den Klimawandel und sozialen Ausgleich in den Mittelpunkt seiner Kampagne und verkörpert den Generationswechsel, mit dem er die EU neu beleben will.
Frans Timmermans: Der Kämpfer
Bei den Sozialdemokraten bewirbt sich EU-Vizepräsident Frans Timmermans. Der niederländische Diplomatensohn spricht fünf Sprachen fließend und ist enorm parkettsicher. Er war unter anderem Außenminister der Niederlande. Er kann seine Positionen auf jedem Diskussionspodium und in jedem Fernsehstudio Europas vertreten.
Timmermans hat in jüngster Zeit vor allem die Auseinandersetzung mit den Rechtsstaatsproblemen der polnischen Regierung geführt und dabei große Standfestigkeit gezeigt. Er ist überzeugter Vorkämpfer für die Werte der EU und leidenschaftlicher Europäer. Neuerdings hat er sich einen weißen Bart stehen lassen, der ein gewisses Käpt'n-Seebär-Image verbreitet, aber Timmermans ist kämpferisch und unbeugsam, wenn es um die gemeinsame Zukunft Europas geht.
Maros Sefcovic: Der Ordentliche
Der zweite Kandidat seiner Parteienfamilie ist Maros Sefcovic. Der slowakische Diplomat gilt als Außenseiter, ist aber seit 2009 in verschiedenen Aufgabengebieten Mitglied der EU-Kommission. Er verfügt über ein großes Maß an institutioneller Erfahrung und gilt als solider Amtsinhaber. Was ihm fehlt, ist mediale Ausstrahlung und die Fähigkeit, Menschen für sich zu begeistern.
Sefkovic verbindet man eher mit einem Aktenstapel als mit einem Wahlkampfabend. Allerdings ist er der einzige Bewerber aus Osteuropa, was ihm Aufmerksamkeit und ein paar Bonuspunkte verschaffen dürfte.
Margrethe Vestager: Die Anständige
Die dänische Wettbewerbskommissarin gilt bisher nur informell als Spitzenkandidatin der europäischen Liberalen. Sie ist jung und energisch und hat keine Angst, es mit den Großkonzernen dieser Welt von Google bis Facebook aufzunehmen. Vestager gehört zu den Stars der gegenwärtigen EU-Kommission.
Eigentlich müsste die Dänin als Frau und Liberale aus einem kleinen Mitgliedsland mit ihrer politischen Erfahrung als Traumbesetzung für die Spitze der EU-Kommission gelten. In ihrer Heimat war sie Parteivorsitzende und bekleidete mehrere Ministerposten. Sie wäre zweifellos ein Zugpferd im Europawahlkampf, weil kaum jemand so bodenständig und glaubwürdig über kommt wie die Dänin.
Matteo Salvini: Der Zerstörer
Der italienische Rechtsextreme wurde gerade von der deutschen AfD als geeigneter Spitzenkandidat für Europas Rechtspopulisten bezeichnet. Salvini will noch überlegen, ob er wirklich als Kandidat für die EU-Kommission antreten will. Gerade in der vorigen Woche traf sich der Chef der Lega mit Marine Le Pen aus Frankreich, und beide erklärten dabei die EU-Regierungschefs zu "Feinden Europas".
Salvini beleidigt die EU und ihre Einrichtungen von morgens bis abends und führt sein Land als Innenminister und derzeit populärster Politiker auf totalen Konfrontationskurs. Sollte er sich zu einer Kandidatur entschließen, ginge es ihm vor allem um ein Podium für seine anti-europäische Propaganda.
Wer hat welche Chancen?
Die Rechtspopulisten dürften zwar mit einer gestärkten Fraktion ins EP einziehen, haben aber keine Chance auf Unterstützung von anderen Parteien.
Die Sozialdemokraten werden dagegen deutlich geschwächt antreten, auch durch den Abgang der britischen Labour-Party und durch allgemein schlechte Aussichten in vielen EU-Ländern.
Bei den Liberalen hängt alles davon ab, ob sich Emmanuel Macron mit seiner Partei En Marche zu ihrem Lager schlägt. Sowieso bräuchten sie noch Hilfe von Sozialdemokraten und Grünen, wenn sie eine mögliche Kandidatin durchsetzen wollten.
Und die EVP wird zwar vermutlich wieder stärkste Fraktion, aber dürfte ebenfalls Sitze verlieren. Sie erhebt zwar den Anspruch darauf, den Kandidaten für den Kommissionspräsidenten zu stellen, aber die große Koalition mit den Sozialdemokraten ist vorbei. Andere Mehr-Parteien-Bündnisse, auch ohne die EVP, sind also denkbar.
Und am Ende entscheiden die Chefs: Ob die Regierungschefs sich tatsächlich an das Prinzip halten werden, den Spitzenkandidaten aus der Europawahl zum Präsidenten der EU-Kommission zu küren, steht in den Sternen - zumal auch die Neubesetzung der EZB-Leitung und anderen Spitzenposten eine Rolle spielen.