1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kaum Fortschritte

Bernd Riegert, Brüssel8. November 2006

Blaues Auge, gelbe Karte, Gnadenfrist: mit diesen Etiketten wird der Bericht der EU-Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg in die Europäische Union belegt. Besonders brisant: der Zypernkonflikt.

https://p.dw.com/p/9MH7
Großes Interesse am Fortschrittsbericht der EU-Kommission in BrüsselBild: AP

Die EU-Kommission präsentierte am Mittwoch (8.11.2006) eine lange Liste mit Defiziten im Bereich der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der politischen Kontrolle des Militärs und des Justizwesens. Entscheidend ist aber die Feststellung, dass es bei der Normalisierung der Beziehungen der Türkei zum EU-Mitgliedsland Zypern keine Fortschritte gegeben hat.

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn kritisiert besonders, dass die Türkei ihre rechtlich verbindlichen Verpflichtungen nicht einhält, zyprische Schiffe und Flugzeuge auf eigenem Gebiet zuzulassen. Das von der türkischen Regierung vorgebrachte Argument, die Isolation der türkischen Zyprer im Norden der geteilten Insel müsse zuerst beendet werden, könne die EU nicht gelten lassen, heißt es in dem Bericht. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.

Beitrittsverhandlungen aussetzen?

Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan - wenig begeistertBild: AP

Die bisherige Weigerung der Türkei, Zypern wenigstens indirekt anzuerkennen, führt zu der Empfehlung, die Beitrittsgespräche, die seit 13 Monaten laufen, notfalls auszusetzen. Wenn die Türkei jetzt nicht einlenkt und die EU-Staats- und Regierungschefs dieser Empfehlung auf ihrem Gipfeltreffen Mitte Dezember folgen, wäre das ein schwerer Rückschlag für die Türkei, aber auch für die gemeinsame europäische Außenpolitik.

Die EU-Kommission kritisiert, dass die Meinungsfreiheit in der Türkei noch nicht europäische Standards erreicht hat. Der Artikel 301 des Strafgesetzbuches, der Angriffe auf das Türkentum unter Strafe stellt, müsse geändert werden, verlangt Brüssel. In diesem Punkt hatte der türkische Ministerpräsident Erdogan in den letzten Tagen zumindest mündlich Bereitschaft zum Einlenken signalisiert.

Weitere Probleme: Menschenrechte, Justiz und Militär

Eine Frau läuft an einem Plakat vorbei, dass eine mit einer EU-Fahne verhüllte Frau zeigt
Schreckgespenst EU? - Arbeit bei der Istanbuler Biennale im Oktober 2005Bild: AP

Noch immer werde in der Türkei gefoltert, berichtet die Kommission. Die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte besonders in den Kurdengebieten im Südosten werde nach wie vor nicht europäischen Maßstäben gerecht. Die Unabhängigkeit der Justiz sei inzwischen auf dem Papier gewährleistet, in der Praxis gebe es jedoch Einschränkungen.

Das Militär übe großen politischen Einfluss aus. Die Kontrolle des Militärs und des Wehretats durch das Parlament, wie sie in einer Demokratie notwendig sei, sei noch nicht gewährleistet, bemängelt die EU-Kommission.

Die Religionsfreiheit sei noch nicht umfassend umgesetzt, kritisiert die Kommission. Zwar könnten Christen ihre Gottesdienste abhalten, nicht-moslemische Glaubensgemeinschaften könnten aber nicht als rechtliche Körperschaft auftreten und zum Beispiel Grundstücke kaufen und Kirchen bauen. Der griechisch-orthodoxen Kirche müsse erlaubt werden, ihre Priester in der Türkei auszubilden. Alevitische Kinder würden in der Schule diskriminiert.

Pluspunkt: Wirtschaft

Erfreulich sei hingegen die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei und die Sanierung des Staatshaushaltes. Die Türkei profitiere vom besseren Zugang zu europäischen Märkten und von Investitionen ausländischer Unternehmer. Ein Problem sei nach wie vor die Korruption auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Insgesamt, urteilt die Kommission, habe es nur begrenzte Fortschritte gegenüber dem letzten Jahr gegeben. Der Reformeifer habe deutlich nachgelassen. Die Zustimmung der Türken zur Europäischen Union nimmt laut Meinungsumfragen ab. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn forderte die Türkei eindringlich auf, ihre Anstrengungen in dem langwierigen und schwierigen Beitrittsprozess zu erhöhen.