Hartz IV auch für EU-Zuwanderer?
10. Januar 2014Neuer Zündstoff in der aktuellen Zuwanderungsdebatte: Die EU-Kommission fordert für Einwanderer in Deutschland einen leichteren Zugang zu Sozialleistungen. Von einem pauschalen Recht auf Hartz-IV ist aber keine Rede.
Deutschland steht mit seinen Sozialleistungen für Zuwanderer ohne Arbeit in der Kritik der EU-Kommission. Aus deren Sicht sind arme Zuwanderer in Deutschland in Einzelfällen ungerechtfertigt von Sozialhilfe ausgeschlossen. Die Kommission verlangt zwar keine gesetzliche Neuregelung, pocht aber in Fällen von Leistungsverweigerung auf konkrete Einzelfallprüfungen.
Arbeitslosen Zuwanderern aus der Europäischen Union dürften Sozialleistungen nicht grundsätzlich verweigert werden, fordert die EU-Kommission in einer Stellungnahme zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das sei mit europäischem Recht nicht vereinbar.
EuGH muss einen Fall aus Leipzig klären
Sollten die europäischen Richter der Kommission folgen, so hätten Zuwanderer künftig deutlich bessere Chancen auf Sozialleistungen, selbst dann, wenn sie keine Arbeitsstelle suchen. In dem Verfahren geht es um eine 24-jährige Rumänin und ihren kleinen Sohn, die seit 2010 dauerhaft in Deutschland leben.
Die Frau wohnte jahrelang bei ihrer Schwester in Leipzig und erhielt Kindergeld sowie einen Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt. Die Mutter, die lediglich drei Jahre die Schule besucht hatte, nahm keine Arbeit auf und beantragte Hartz-IV-Leistungen, was das Jobcenter ablehnte. Dagegen klagte die Rumänin. Das Sozialgericht Leipzig hatte den Fall im Juni vergangenen Jahres dem EuGH zur Klärung vorgelegt.
Die Kommission bemängelt insbesondere den generellen Ausschluss vieler EU-Ausländer von Hilfen im deutschen Sozialrecht. Nach den geltenden Regeln erhalten nur Arbeitnehmer und Selbstständige Hartz-IV-Leistungen, nicht aber Migranten, die aus anderen Gründen ins Land kommen.
Jeden Fall einzeln prüfen
"Auch bei Zuwanderern, die nicht aktiv nach einer Arbeit suchen, muss demnach der Anspruch auf Hartz IV geprüft werden", sagte die Professorin für Sozialrecht an der Hochschule Niederrhein, Dorothee Frings, der Zeitung. Die EU verlange in der Stellungnahme, jeden Fall einzeln zu beurteilen. Auch wenn es in dem Verfahren um eine Arbeitslose gehe, würde ein entsprechendes Urteil auch für Arbeitssuchende den Zugang zu Sozialleistungen erleichtern, sagte Frings.
Die Bundesregierung will dagegen grundsätzlich am Ausschluss von arbeitsuchenden und arbeitslosen Zuwanderern von Sozialleistungen festhalten. Dies hatte erst kürzlich das Bundesarbeitsministerium bekräftigt. Es will aufwendige Einzelfallprüfungen vermeiden.
Hintergrund ist, dass für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien seit dem 1. Januar die volle Freizügigkeit innerhalb der EU gilt.
Berlin hält sich zurück
Die Stellungnahme der EU dürfte die politische Debatte um Armutszuwanderer aus Rumänien und Bulgarien zusätzlich befeuern: Die CSU hatte zuletzt auf ihrer Klausur in Kreuth ihre Forderungen bekräftigt, Armutszuwanderern Sozialleistungen weitgehend vorzuenthalten. Dies hatte Kritik von den Koalitionspartnern CDU und SPD hervorgerufen.
Die Bundesregierung hält sich in der Kommentierung betont zurück. Es sei nur eine von vielen Stellungnahmen in dem Verfahren vor dem EuGH und beziehe sich auf einen konkreten Einzelfall. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, dass die Ausgestaltung der Sozialgesetzgebung weiter eine nationale Angelegenheit sei und an der bisherigen Praxis, bei Zuwanderern eher restriktiv Leistungen zu gewähren, vorerst festgehalten werden solle. Auf die wiederholt gestellte Frage, welche Reaktionen die Stellungnahme innerhalb der Bundesregierung, oder gar bei der Kanzlerin ausgelöst haben, reagierte der Sprecher eher säuerlich. " Es ist ein laufendes Verfahren vor dem EuGH, es wird noch eine mündliche Verhandlung geben und darüber hinaus möchte ich hier nicht gehen." Etwaige Handlungsoptionen würden erst nach einem Urteil erörtert werden.
"Den europäischen Gedanken nicht überstrapazieren"
Unterdessen warnte die CSU die EU-Kommission vor einer Einmischung in nationale Belange beim Thema Sozialleistungen für Zuwanderer: "Die Kommission darf vor lauter Solidarität den europäischen Gedanken nicht überstrapazieren", sagte der Vorsitzende der CSU-Gruppe im EU-Parlament, Markus Ferber. "Die nationalen Sozialsysteme sind und bleiben in der Zuständigkeit der Nationalstaaten."
Die CSU werde an ihren Forderungen festhalten, auch wenn die Kommission das deutsche Sozialsystem für verfassungswidrig halte. "Der Zugang zum Sozialsystem muss eher erschwert werden anstatt die Schleusen noch weiter und leichter zu öffnen", sagte Ferber.
re/rb (afp, rtr, dpa, epd, "Süddeutsche Zeitung")