EU-Ratsvorsitz: Ungarn will Europa "wieder großartig" machen
22. Juni 2024Wirklich überrascht war niemand, als Ungarn diese Woche den offiziellen Slogan für den sechsmonatigen EU-Ratsvorsitz enthüllte, den das Land ab Juli übernimmt. Für einige erhobene Augenbrauen sorgte das an Donald Trump angelehnte Motto "Make Europe Great Again" in Brüssel jedoch durchaus.
Ungarns ultranationalistischer, populistischer Ministerpräsident Viktor Orban ist ein enger Verbündeter des ehemaligen US-Präsidenten und der größte Euroskeptiker unter den Staats- und Regierungschefs der EU. In den vergangenen zehn Jahren ist seine Regierung immer wieder mit EU-Beamten und anderen Mitgliedstaaten aneinandergeraten. Wegen demokratischer Rückschritte im eigenen Land, der Migration in die EU und zuletzt insbesondere wegen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch die EU.
Bei zahlreichen wichtigen Abstimmungen hat Budapest von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und die Umsetzung politischer Maßnahmen verzögert, auf die sich alle anderen EU-Mitglieder bereits geeinigt hatten. Wegen rechtsstaatlicher und demokratischer Bedenken hatte die EU zunächst Mittel in Milliardenhöhe zurückgehalten, einen Teil davon nach Reformen jedoch wieder freigegeben. Und erst in der vergangenen Woche wurde Ungarn zu einer Geldstrafe von 200 Millionen Euro verurteilt, weil es das EU-Asylrecht missachtet hatte.
Ungarn als ehrlicher Makler ...
Der Vorsitz des Rats der Europäischen Union rotiert alle sechs Monate zwischen den 27 Mitgliedsstaaten. Aufgabe des Vorsitzes ist es, als "ehrlicher Makler" zwischen Mitgliedern zu vermitteln und nationale Interessen hintanzustellen. Außerdem ist das Land, das den Vorsitz innehat, dafür verantwortlich, die Gesetzgebung der Union voranzutreiben. Das Europäische Parlament hat daher die Eignung Budapests für diese Aufgabe in Frage gestellt.
Eine Mehrheit im Parlament verabschiedete im Juni vergangenen Jahres eine Resolution, in der die Frage gestellt wurde, wie Ungarn diese Aufgabe im Jahr 2024 angesichts der Nichteinhaltung des EU-Rechts glaubwürdig erfüllen könne. Doch der Einspruch war nicht verbindlich und führte zu keinen weiteren Konsequenzen.
Am 1. Juli übernimmt Ungarn also bei Ministertreffen und -gipfeln den Vorsitz von Belgien, das gegenwärtig den Ratsvorsitz innehat. Bis zum Jahresende wird Ungarn damit bei Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, der Exekutive der EU, auch die anderen Mitgliedsstaaten vertreten.
Auf einer Pressekonferenz in Budapest versicherte der ungarische Minister für EU-Angelegenheiten Janos Boka, sein Land würde die Aufgaben des Ratsvorsitzes effizient erfüllen. "Wir werden als ehrlicher Makler agieren, der loyal mit allen Mitgliedsstaaten und Institutionen zusammenarbeitet", betonte er. Ungarn wolle während seines Vorsitzes die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU steigern, die Verteidigungspolitik stärken, eine "konsequente und leistungsorientierte Erweiterungspolitik" anstreben und die illegale Migration durch besser gesicherte Grenzen und wirksamere Abschiebungen in Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Ländern eindämmen.
... mit einem Schuss Trump
Als weitere Vorhaben nannte Boka die Umgestaltung des Kohäsionsfonds, der dabei helfen soll, die Kluft zwischen reicheren und ärmeren Regionen zu schließen, sowie eine stärker an den Bauern ausgerichtete EU-Agrarpolitik unter Berücksichtigung der Proteste gegen die EU-Klimamaßnahmen. Die demografischen Herausforderungen will Ungarn ebenfalls angehen.
Dann folgte die Enthüllung des offiziellen Mottos: "Make Europe Great Again", das ganz unverhohlen an Trumps berühmten Slogan "Make America Great Again" erinnert, das in den USA auf zahllosen roten Baseballkappen zu sehen ist. Während seiner Präsidentschaft in den Jahren von 2017 bis 2021 hatten sich die Beziehungen zwischen der EU und den USA dramatisch verschlechtert. Obwohl Donald Trump mittlerweile strafrechtlich verurteilt wurde, kandidiert er im November erneut für das US-Präsidentenamt.
Der Slogan unterstreiche "die Erwartung, dass wir gemeinsam stärker sein sollten als allein, aber dass es uns erlaubt sein sollte, zu bleiben, wer wir sind, wenn wir zusammenkommen", erklärte Boka.
Ein "rebellisches" Mitglied mit der Hand am Steuer
Alberto Alemanno ist Professor für EU-Recht an der Pariser Universität HEC Paris. Er argumentierte ebenfalls dafür, Ungarn den EU-Ratsvorsitz zu verweigern. "Ich befürchte, ein ungarischer Ratsvorsitz könnte der Vorstellung Vorschub leistet, dass ein rebellisches Mitgliedsland die Regeln missachten und dennoch weiter von der Gemeinschaft profitieren kann", schreibt er der DW.
Budapest übernimmt die Ratspräsidentschaft in einem Moment, in dem sich in Brüssel viel verändert. Im Juni fanden die Wahlen zum EU-Parlament statt und die endgültige Zusammensetzung der Europäischen Kommission wird noch bis zum Ende des Jahres in Anspruch nehmen. Es wird daher wahrscheinlich wenig neue Gesetzesinitiativen geben.
Ausgebremste Beitrittsverhandlungen für Kiew?
Ein Thema, auf den sich die ungarische Präsidentschaft auswirken könnte, ist die Beitrittskandidatur der Ukraine. Diese befindet sich noch in einer frühen Phase und Kiew hofft, durch die Aufnahme konkreter Gespräche über notwendige Reformen - im EU-Jargon als "Verhandlungskapitel" bezeichnet - schnell voranzukommen.
Wie Boka jedoch andeutete, dürfte es vor 2025 keine größere Bewegung geben: "Ich gehe davon aus, dass die Frage der Öffnung von Kapiteln während des ungarischen Ratsvorsitzes überhaupt nicht aufgeworfen wird."
"Green Deal" unter Druck von rechts
Auch für die richtungsweisenden klimapolitischen Maßnahmen der EU wird der ungarische Ratsvorsitz nach Ansicht von Alemanno klare Folgen haben. Insbesondere bei der Festlegung der Ziele für 2030, mit denen sich die EU auf den Weg zu ihrem Gesamtziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 machen will.
"Ungarns Fidesz-Regierung hat den 'Green Deal' und die Klima-Agenda der EU schon häufig scharf kritisiert", meint Alemanno. Angesichts einer politischen Landschaft, die sich nach den jüngsten EU-Wahlen voraussichtlich nach rechts verschieben werde, könne ein klimaskeptisches Land an der Spitze des Rates in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 Auswirkungen auf die Positionierung der EU haben.
Nur Provokation?
Der Einfluss der Länder, die den Ratsvorsitz innehaben, sollte jedoch auch nicht überbewertet werden. Der weitaus größte Teil der Gesetzesvorhaben kommt von der Europäischen Kommission und wird von den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament verabschiedet.
Ein westeuropäischer Diplomat, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagte der DW, man gehe davon aus, das kommende halbe Jahr werde in recht normalen Bahnen verlaufen. "Orban und seine Leute sind sich im Klaren darüber, dass andere EU-Staaten eingreifen und übernehmen würden, wenn er die Agenda der EU durcheinanderwirbelt", ist er überzeugt. "Sie werden die Plattform höchstens dazu nutzen, um ein wenig zu provozieren. Wie mit ihrem Slogan. Es liegt an uns, diszipliniert genug zu sein und darauf nicht anzuspringen."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.