EU: Regionalförderung als Druckmittel?
27. Juni 2017"Gift für den Kontinent" hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Deutschlands Forderung, die Auszahlung von Regionalförderung als Sanktionsmöglichkeit zu nutzen, in einer ersten Reaktion genannt. Dem Vorschlag zufolge sollen einem Mitgliedsland, welches von rechtsstaatlichen Werten abweicht, wie es aktuell Polen vorgeworfen wird, Fördermittel gekürzt oder gestrichen werden können.
"Ich sage es sehr neutral, das ist ein vermintes Gebiet", sagt EU-Budgetkommissar Günter Oettinger bei einem Forum zur Zukunft der europäischen Regionalsubventionen in Brüssel. Den Vorschlag aber einfach zu verwerfen, weil einige Mitgliedsstaaten das fordern, wäre nicht Aufgabe der Kommission.
Sanktionen "würden großen Schaden anrichten"
"Eine Kürzung der Subventionen würde großen Schaden anrichten", sagt Pavel Adamowicz, Bürgermeister der polnischen Stadt Gdansk. Polen hätte seit dem EU-Beitritt 2004 wirtschaftlich aufgeholt, wäre aber noch lange nicht auf dem Niveau westeuropäischer Mitgliedsstaaten. Für Gdansk und ganz Polen steht viel auf dem Spiel. Insgesamt 77,6 Milliarden Euro fließen im Zeitraum von 2014 bis 2020 aus dem EU-Budget nach Polen.
Seit den Wahlen im Oktober 2015 ist in Polen die national-konservative "Partei für Recht und Gerechtigkeit" an der Macht. Seither wurden etliche Maßnahmen durchgesetzt, die Brüssel und anderen EU-Staaten mehr als nur ein Dorn im Auge sind. Beispielsweise wurden bereits ernannte Verfassungsrichter wieder abbestellt und Urteilssprüche des Verfassungsgerichtshofes ignoriert. Zusätzlich hat Polen deutlich weniger Flüchtlinge aufgenommen, als es einem EU-Verteilungsschlüssel zufolge müsste.
Bislang kann die Europäische Union Mitgliedsstaaten bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit nur mittels Stimmrechtsentzug sanktionieren. Eine drastische Maßnahme, die bislang noch nie eingesetzt wurde.
"Brexit" als Möglichkeit für Reformen
"Ich halte es für berechtigt, dass Deutschland einen Zusammenhang herstellt zwischen finanziellen Hilfen und der Tatsache, dass manche Mitgliedsländer europäisches Recht brechen", sagt Claire Dhéret. Sie arbeitet als Politologin für den Brüsseler Think-Tank "European Policy Center". Dadurch würde die EU einen zusätzlichen Mechanismus schaffen, Mitgliedsstaaten zur Verantwortung ziehen zu können.
Fördermittel für wirtschaftlich schwache Regionen machen etwa ein Drittel des EU-Budgets aus. Ausgehandelt wird es in Sieben-Jahres-Paketen, dem mehrjährigen Finanzrahmen. Das laufende Budget für den Zeitraum 2014 bis 2020 umfasst etwa 960 Milliarden Euro.
"Im kommenden Budget werden wir gewisse Kürzungen und Umschichtungen vorschlagen", sagt EU-Budgetkommissar Günther Oettinger. Nur so könne die EU-Kommission glaubwürdig und schuldenfrei bleiben. Der Grund dafür: Mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU fällt einer der größten Beitragszahler weg.
Günther Oettinger will den Austritt der Briten nutzen, um das verzweigte System an Förderfonds zu modernisieren. Deutschlands Forderung soll zusammen mit anderen Ideen den EU-Ländern zur Diskussion vorlegt werden. Bis der nächste mehrjährige Finanzrahmen beschlossen wird, ist es noch ein langer Weg. In den kommenden Monaten wird die EU-Kommission einen Budget-Entwurf ausarbeiten. Dieser wird dann von den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament bearbeitet, bis ein Kompromiss feststeht.
Hoffen auf Parlamentswahl
Polen hat eine der EU-freundlichsten Bevölkerungen in ganz Europa. 74 Prozent befürworten laut einer aktuellen Studie den Staatenbund. Sorgen, dass die Stimmung unter Sanktionen kippen könnte, macht sich Politologin Claire Dhéret nicht.
"In vielen Mitgliedsstaaten wird von den Regierungen regelrechtes 'EU-Bashing' betrieben und die Regierungen erkennen öffentlich nicht an, wie viel Unterstützung sie von der EU wirklich erhalten", sagt Dhéret. Würde man die Regionalförderung mit Sanktionen verbinden, würde vielen schnell bewusst werden, dass ein Brechen der Spielregeln negative Konsequenzen haben kann.
Pavel Adamowicz, Bürgermeister aus Gdansk, hofft, dass das "verminte Gebiet" nie betreten werden muss und eine Entscheidung über Sanktionen nicht notwendig sein wird. Adamowicz verweist auf die polnischen Parlamentswahlen 2019, die noch vor dem Abschluss des nächsten EU-Budgets stattfinden. Er ist überzeugt, dass die polnischen Wähler pro-europäisch stimmen werden und zweifelt an der Wiederwahl der Regierung. "Deshalb werden die Diskussionen über möglich Kürzungen bald obsolet sein", sagt der Bürgermeister.