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EU sucht Geldquellen für Investitionen

23. Februar 2024

Verteidigung und Klimaschutz sind teuer. Die Konjunktur lahmt. Woher das Geld nehmen, fragen sich die EU Finanzminister in Gent. Schulden oder Sparen? Bernd Riegert berichtet.

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Europäische Währung | 100 Euro-Scheine werden gedruckt
Mehr Geld drucken geht nicht: Das würde die Inflation anheizen und den Euro entwertenBild: DesignIt/Zoonar/picture alliance

Viel sagte Christine Lagarde, Präsidentin der Europäisches Zentralbank (EZB), bei der Tagung der europäischen Finanzministerinnen und Finanzminister im belgischen Gent nicht. Sie habe lediglich ein paar Zahlen genannt, meinte Christine Lagarde mit leicht säuerlicher Miene.

Die Zahlen der EZB-Chefin haben es allerdings in sich. Denn die EU muss von 2031 an jährlich 800 Milliarden Euro investieren, um ihre Klimaziele und die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu erreichen. Hinzu kommen mindestens 75 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Verteidigungsaufgaben, damit das Ziel erreicht werden kann, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär aufzuwenden.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank
EZB-Präsidentin Lagarde als "Spaßbremse": Sie lässt die Zinsen hoch und warnt vor hohen Lasten in der ZukunftBild: Bernd Riegert/DW

Gemeinsam Verteidigung finanzieren?

Woher sollen die Milliarden kommen? Darüber herrscht bei den Finanzministern der EU-Länder noch keine Einigkeit. Bruno Le Maire, der französische Finanzminister, führt eine Gruppe von Staaten an, die sich gemeinsame europäische Schulden für die Verteidigungsausgaben vorstellen.

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, sagte in Gent, die nötigen Investitionen seien enorm. Die öffentliche Hand müsse dazu beitragen. Deshalb müsse man sich fragen: "Was kommt als nächstes nach Next Generation?"

Next Generation ist das Corona-Aufbauprogramm im Wert von 750 Milliarden Euro, das die EU erstmals mit einem gemeinschaftlichen Schuldenfonds finanziert hat.

Belgien Porträt Christian Lindner, Bundesfinanzminister beim EU-Finanzministertreffen, Gent
Weniger Schulden machen und den Haushalt konsolidieren: Beim EU Finanzminister-Treffen im belgischen Gent bleibt der deutsche Finanzminister Lindner eisernBild: Rat der EU

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnte neue gemeinschaftliche EU-Schulden erneut ab. "Ich denke nicht, dass wir das benötigen", sagte Lindner, der stattdessen auf Konsolidierung und Priorisierung der Haushalte setzt. Verteidigung werde national organisiert.

Deutschland brauche eine dreijährige "Pause" bei der Erhöhung der Sozialausgaben. "Wir müssen einmal mit dem auskommen, was wir haben." Der Staat solle in Verteidigung und Digitalisierung investieren und gleichzeitig die Verschuldungsregeln einhalten.

Brüssel Porträt Jeromin Zettelmayer
Jeromin Zettelmayer, Wirtschaftsexperte in Brüssel: Mehr Aufgaben, aber weniger Ausgaben? Das wird extrem schwierigBild: Bernd Riegert/DW

Investitionen mit Schulden finanzieren?

Der Direktor der wirtschaftspolitischen Denkfabrik "Bruegel", Jeromin Zettelmayer, geht in Brüssel davon aus, dass Deutschland und auch die EU netto mehr Schulden machen müssen, um alle Aufgaben zu meistern. Das gelte besonders für die Verteidigungslasten.

"Das ist ein extrem schwieriges Problem, auch weil die Ausgaben so unterschiedlich verteilt sind", sagte Zettelmayer der DW mit Blick auf die unterschiedlichen Bedrohungslagen in Polen in russischer Nachbarschaft oder in Portugal weit weg von der Ostflanke.

"Es muss eine gesamteuropäische Lösung geben. Wenn es zu einer Neuauflage der europäischen Fonds kommt, wird es wahrscheinlich mit dieser Aufgabe zu tun haben. Wir brauchen auf europäischer Ebene so etwas ähnliches wie das Sondervermögen für die Bundeswehr."

 Porträt Paolo Gentiloni, EU-Kommissar für Wirtschaft,
Nachdenklicher EU-Kommissar Gentiloni: Deutschlands Konjunktur schwächelt. Das belastet die gesamte Eurozone. Bild: Bernd Riegert/DW

Einheitlicher Markt für Kapital könnte helfen

Ein Weg, um mehr Kapital in Europa verfügbar zu machen und das Wirtschaftswachstum langfristig zu sichern, soll die sogenannte Kapitalmarktunion der EU werden. Sie wird seit Jahren diskutiert und soll die Finanzierung von Unternehmen über EU-Binnengrenzen hinweg erleichtern.

Druck machte hier ein sichtlich verärgerter Bruno Le Maire, Frankreichs Finanzminister. Man habe lang genug geredet, jetzt müsse entschieden und gehandelt werden. Wenn nicht alle 27 EU-Staaten mitziehen wollten, würde Frankreich mit einer kleinen Gruppe der Willigen voranschreiten, kündigte Le Marie bei der EU-Tagung in Gent an.

Bundesfinanzminister Christian Lindner bremste dagegen den französischen Vorstoß. Zwar müsse es schneller gehen, aber alle 27 Staaten müssten gemeinsam vorangehen, verlangte Lindner.

Im März will die Eurogruppe, als die 20 Staaten, die den Euro als Währung haben, zumindest einen Fahrplan verabschieden, wie die Kapitalmarktunion erreicht werden kann.

EZB-Chefin Christine Lagarde steuerte wieder eine Zahl zur Diskussion bei: 250 Milliarden Euro an Investitionskapital fließen jährlich aus der EU ab, vor allem in die USA. Der Kapitalmarkt dort ist viermal so groß wie der in Europa. Das könnte eine Kapitalmarktunion mit einheitlichen Regeln verändern.

Was ist los mit Deutschlands Wirtschaft?

Lahme Konjunktur wegen hoher Zinsen

Über die stagnierende Konjunktur in der EU haben die Finanzministerinnen und Finanzminister ebenfalls diskutiert. Konkrete Maßnahmen wurden allerdings  nicht beschlossen. Zwar sinkt die Inflation, aber die Leitzinsen der EZB bleiben hoch. Das bremst das Wirtschaftswachstum.

Nun schaut Europa mit "gewisser Sorge" auf seine größte Volkswirtschaft, auf Deutschland, so Jeromin Zettelmayer von der Denkfabrik "Bruegel". Deutschland ist Schlusslicht beim Wachstum in der Eurozone.

Es sei aber zu früh zu attestieren, dass die Bundesrepublik der "kranke Mann  Europas" sei. Die flaue Konjunktur hänge immer noch mit den hohen Energiepreisen nach Russlands Überfall auf die Ukraine zusammen.

Außerdem werde mittelfristig die demografische Entwicklung für Probleme sorgen. Die Überalterung bringt weniger Arbeitskräfte und mehr Rentner mit sich. "Von dieser 'Krankheit' haben wir aber schon vor zehn Jahren gewusst", sagte Jeromin Zettelmayer der DW. Ein Rezept dagegen wird noch gesucht.

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, versuchte, etwas Hoffnung zu machen. Der Aufschwung werde kommen, nur etwas verzögert. Vielleicht Ende des Jahres, wenn die Europäische Zentralbank die Leitzinsen wieder senkt. Dazu war der unabhängigen EZB in Gestalt von Präsidentin Christine Lagarde in Gent aber keine Aussage zu entlocken.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union