Streit vor EU-Türkei-Gipfel
25. März 2018Es soll besser werden. Das gilt zumindest für die Wetteraussichten in dem bulgarischen Badeort Warna am Schwarzen Meer. Was die Klimaverbesserung angeht, die das Treffen von Spitzenvertretern der Europäischen Union (EU) und der Türkei bewirken soll, fallen die Prognosen deutlich trüber aus.
Wo stehen die Partner? Am Anfang des Jahres nannte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Beziehungen "heuchlerisch", vergangene Woche kritisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel die türkische Militäroffensive in den syrischen Kurdengebieten ungewöhnlich klar im Bundestag. Die Türkei reagierte scharf. Es sei merkwürdig, dass "einige unserer Verbündeten die Lage mit den Augen von Terroristen betrachten", hieß aus dem Außenministerium in Ankara.
Inzwischen haben die EU-Staaten ihren aktuellen Ärger auch in einer unmissverständlichen Erklärung zusammengefasst, die im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel veröffentlicht wurde. "Der Europäische Rat verurteilt das anhaltende rechtswidrige Vorgehen der Türkei im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis scharf", heißt es darin. Auch, dass immer noch EU-Bürger in türkischen Gefängnissen sitzen, wird dort verurteilt.
Mehr als Missverständnisse
Es gibt viel Gesprächsbedarf. So kommen jetzt unter anderem EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Bulgarien, um mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu sprechen. Von der türkischen Seite aus stehen die eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen, Einreise-Erleichterungen für türkische Bürger in die Union - und natürlich die drei Milliarden Euro aus dem Flüchtlingsabkommen auf dem Spiel.
Wobei - auf dem Spiel stehen ist wahrscheinlich etwas zu dramatisch formuliert - vor allem in Bezug auf den "Flüchtlings-Deal". Die Bundeskanzlerin hat in ihrer jüngsten Regierungserklärung unmissverständlich klar gestellt, dass sie hinter dem Abkommen steht und "es immer verteidigen werde". Das EU-Türkei-Abkommen wurde vor zwei Jahren geschlossen, um Flüchtlinge aus Syrien und weiteren Staaten auf ihrem Weg nach Europa aufzuhalten. Es ist einer der Gründe, mit denen erklärt wird, warum die EU, und auch in besonderem Maße Deutschland, zu zurückhaltend auf die türkischen Übergriffe - die Menschenrechtsverletzungen und offenbar völkerrechtswidrigen Militäraktionen - reagiert. Eine verprellte Türkei könnte die Grenzen wieder aufmachen - mit unabsehbaren Folgen für die Union.
"Das ist eine Legende, die rechtfertigen soll, dass kein Druck auf die Türkei ausgeübt wird", beobachtet die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, Sevim Dagdelen. Man dürfe sich aber nicht erpressbar zeigen, fordert die Linken-Politikerin. "Die EU macht sich unglaubwürdig, wenn sie die Einhaltung von Werten einfordert und außer Erklärungen nichts unternimmt." Eigentlich sei es derzeit ein Unding, dass sich EU-Vertreter mit Erdogan zusammensetzen. "Den Gipfel dürfte es nicht geben", sagt Dagdelen. Wahrscheinlich, so mutmaßt sie, sei der eigentliche Grund für die europäische Duldsamkeit, dass man die Türkei auf keinen Fall als Nato-Partner verlieren wolle.
Wer sitzt am längeren Hebel?
Möglicherweise macht sich die EU im Umgang mit der Türkei kleiner als den realen Machtverhältnissen entspricht. "Das stimmt wirklich nicht, dass den Europäern bei der Türkei die Hände gebunden sind", betont Asli Aydıntaşbaş, Türkei-Expertin des European Council on Foreign Relations.
Es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die EU tatsächlich einen beträchtlichen Einfluss auf die Türkei nehmen könnte - wenn sie nur wollte. Denn: die Türkei ist in hohem Maße abhängig von guten Wirtschaftsbeziehungen mit Europa. Und hier vor allem mit Deutschland: "Wenn die türkische Regierung harte Töne in Richtung Berlin anschlägt, dann sinken die Aktiennotierungen und der Währungskurs in der Türkei", betont Aydıntaşbaş.
In die Bundesrepublik gehen mehr als ein Sechstel der türkischen Exporte. Es ist seit Jahren das wichtigste Abnehmerland der Türkei. Daneben gibt es auch die umfangreichen finanziellen Zuwendungen aus der türkischen Diaspora. Nach Angaben der Bundesbank fließen aus Deutschland jährlich über 800 Millionen Euro in die Türkei.
Deutschland, so vermutet die Forscherin Aydıntaşbaş, habe aber keine richtige Idee, was es mit seiner Stärke und Handlungsfähigkeit eigentlich anstellen soll. "Bei bilateralen Angelegenheiten wird das durchaus eingesetzt, so wie bei dem inhaftierten Journalisten Deniz Yücel - aber darüber hinaus gestalten will man offenbar nicht."