1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Reformvertrag

Bernd Riegert, Brüssel24. April 2008

Mit der Abstimmung in Berlin hat der Grundlagenvertrag über die zukünftige Arbeit der EU eine weitere Hürde genommen. Wenn alle EU-Staaten ihn ratifizieren, soll er bis Juni 2009 in Kraft treten.

https://p.dw.com/p/DnBw
Vor versammeltem Plenum unterzeichnen mehrere Personen am Podium ein Dokument (Quelle: dpa)
Freude im Bundestag nach der AbstimmungBild: AP

Der Bundestag hat am Donnerstag (24.04.2008) dem neuen EU-Vertrag von Lissabon mit breiter Mehrheit zugestimmt: Dafür stimmten 515 Abgeordnete, dagegen 58, ein Abgeordneter enthielt sich. Der Vertrag, der von 2009 an die neue Grundlage für die Arbeit der Europäischen Union darstellen soll, ist an die Stelle der angestrebten Verfassung getreten, die durch Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden 2005 abgelehnt wurde. Doch was genau steht in dem Vertrag und worin unterscheidet er sich vom ursprünglichen Verfassungsentwurf?

"Wir haben die Weichen für eine erneuerte gemeinsame Grundlage der Europäischen Union gestellt. Wir haben den Stillstand überwunden. Am Ende haben wir Vertrauen nicht enttäuscht. Wir haben eine Spaltung vermieden." Das sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als damalige EU-Ratspräsidentin wenige Tage nach dem entscheidenden Gipfeldrama im Juni 2007.

Nur mit großer Mühe war es den 27 Staats- und Regierungschefs damals gelungen, sich auf die Ausarbeitung von zwei neuen Verträgen für die EU zu einigen. Einer soll die Grundlagen bestimmen. Der andere legt die Arbeitsweise der Union fest.

Mehr Rechte fürs Parlament

Vor versammeltem Plenum unterzeichnen mehrere Personen am Podium ein Dokument (Quelle: dpa)
Am 13. Dezember 2007 einigten sich die EU-Staaten in Lissabon auf eine neue Grundlage für die UnionBild: picture-alliance/ dpa

Wichtig ist die Einigung vor allem für die Staaten, die noch gar nicht Mitglied im Klub sind. Denn es gilt: Ohne neuen Vertrag haben weder die Balkanstaaten noch die Türkei Chancen auf einen Beitritt. "Mit dem Europaparlament wird es keine Erweiterung geben, wenn wir den Verfassungsvertrag nicht bekommen“, erläuterte Jo Leinen, der Vorsitzende des Verfassungsausschusses, schon 2006. "Rumänien und Bulgarien, dieser Beitritt ist beschlossen, werden für uns die letzten sein, die mit dem Nizza-Vertrag reinkommen. Bei Kroatien, bei Mazedonien und bei anderen wird das sehr, sehr schwierig."

Das Verfassungsprojekt wurde zwar beerdigt, weil es in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde, aber der Vertrag steht nun. Die Unterschiede in der Substanz sind nicht sehr groß, nur der Name hat sich geändert. Alles, was an Staatlichkeit erinnerte, ist aus dem Text entfernt worden: Fahne, Hymne, der Titel Außenminister und einiges mehr. Aber Abstimmungsverfahren und Institutionen sind aus dem gescheiterten Verfassungsentwurf teilweise mit neuen Etiketten übernommen worden, sagt Elmar Brok, der das Europäische Parlament bei den Vertragsberatungen vertritt: "Durch bessere Entscheidungskriterien im Rat, mehr Mehrheitsentscheidungen und eine Ausdehnung der Rechte des Europäischen Parlaments, das künftig in 59 Prozent der Fälle mitentscheiden kann, ist die Frage der Effizienz und die Demokratisierung der Union in vollem Umfang gewährleistet."

EU mit Präsident und Außenminister

Gehisste Flaggen der EU-Staaten (Quelle: AP)
Erst wenn der Vertrag auch in allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde, tritt er in KraftBild: AP

Die Europäische Union erhält einen Präsidenten mit zweieinhalb Jahren Amtszeit. Es wird einen Außenminister geben, der wegen britischer und niederländischer Bedenken nicht so heißen wird, aber dessen Aufgaben erfüllt. Die EU-Kommission wird von 2014 an verkleinert. Die Sitze des EU-Parlaments werden auf 751 festgelegt.

Mehrheitsentscheidungen sollen das Prinzip der Einstimmigkeit in mehr Politikbereichen ablösen. Die doppelte Mehrheit aus Staaten und Bevölkerung löst das komplizierte Abstimmungssystem des Vertrages von Nizza ab. Bis 2016 soll es aber möglich sein, die Entscheidungen noch einmal zu überprüfen, wenn eine kleine Minderheit von Staaten dies wünscht. Diese so genannte Ioaninna-Klausel hatte Polen durchgesetzt.

Die beiden neuen Verträge lösen acht ineinander verschachtelte Verträge der letzten 56 Jahre von Rom bis Nizza ab. Einfacher zu lesen sein werden sie aber nicht, da sie eine unübersichtliche Menge an Fußnoten, Ausnahmeregelungen für bestimmte Staaten, Protokollnotizen und Erklärungen enthalten werden. "Was wir wirklich tun müssen, ist dass wir, wenn der Vertrag verabschiedet ist, eine konsolidierte, lesbare Fassung für die Öffentlichkeit schaffen", sagt Brok. Nur so verstünden die Bürger, welche Kompetenzen es gibt und welche Institution was zu sagen hat.

Britisch-polnische Sonderwege

Mannin dunklem Anzug unterzeichnet Dokument, neben ihm ein Zeremonienstuhl (Quelle: AP)
Der britische Premier Brown sicherte sich Ausnahmeregelungen für sein LandBild: AP

Großbritannien und Polen setzten durch, dass der Grundrechtekatalog nicht Teil des neuen Vertrages ist. Die Briten haben außerdem Ausnahmeregelungen in den Bereichen Justiz und Inneres erhalten.

Trotzdem ist nicht sicher, ob der Vertrag bis Ende des Jahres ratifiziert werden kann. Premierminister Brown wehrt sich gegen eine Volksabstimmung, die von der Opposition gefordert wird.

Eine Volksabstimmung gibt es Anfang Juni auf jeden Fall in Irland. Dort ist sie gesetzlich vorgeschrieben. Der Ausgang ist keineswegs gewiss. Auch in Tschechien, Polen und Österreich sind noch Hürden bei der Ratifizierung zu überwinden. Etwa ein Drittel der 27 Mitgliedsstaaten hat den Vertrag bislang gebilligt.

Der Vertrag von Lissabon soll am 1. Januar 2009 in Kraft treten, so dass die EU-Bürger bei den Europawahlen im Juni 2009 bereits ein Parlament wählen können, das über die neu eingeräumten Kompetenzen verfügt.