EU: Weiter kein einheitlicher Vergewaltigungsbegriff
7. Februar 2024"Es ist eine klare Botschaft an die gesamte Union, dass wir Gewalt gegen Frauen ernst nehmen," erklärt Frances Fitzgerald, Berichterstatterin für eine EU-Richtline zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Doch als sie das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den beiden EU-Gesetzgebern – dem EU-Parlament und dem EU-Rat – am Dienstagabend der Presse vorstellt, ist klar, dass es trotz großer Bemühungen an einigen Stellen noch immer hakt.
Was unter dem Tatbestand der Vergewaltigung verstanden wird, regeln die EU-Staaten in ihren Strafgesetzbüchern unterschiedlich. Und das wird auch in absehbarer Zukunft erstmal so bleiben. Denn der EU-Rat, der die Mitgliedstaaten vertritt, hat sich im Verhandlungsprozess gegen eine Vereinheitlichung ausgesprochen.
Sie habe "recht verstörende Einsichten in die Haltung einiger Mitgliedstaaten gegenüber Vergewaltigungen gewonnen," sagte eine verärgerte wirkende Frances Fitzgerald, die Teil der konservativen Europäischen Volkspartei ist. Viele EU-Politiker hatten vergeblich darauf gehofft, dass der so genannte konsensbasierte Begriff von Vergewaltigung europaweit flächendeckend eingeführt wird.
Verschiedene Definitionen innerhalb der EU
Nach einer Analyse des Dachverbandes "European Women's Lobby" vom Oktober letzten Jahres gilt in 14 EU-Staaten das sogenannte "Nur-Ja-heißt-Ja"- Prinzip. Darunter sind etwa Schweden und Spanien, aber auch Kroatien und Griechenland. Dahinter steht die Idee, dass einem sexuellen Kontakt eindeutig zugestimmt werden muss, damit er nicht als Vergewaltigung gilt.
In Deutschland und Österreich sei der Grundsatz "Nein-heißt-Nein" anwendbar, welches weiterhin vom Opfer verlange, die verbale Ablehnung des Geschlechtsverkehrs zu beweisen.
In den restlichen 11 EU-Mitgliedstaaten sei der Widerstand gegen Gewalt oder eine Bedrohungslage weiterhin ein Wesenselement einer Vergewaltigung, führt die europäischen Frauenlobby aus. Zu diesen Ländern gehören etwa die meisten osteuropäischen Staaten sowie Frankreich und Italien.
Bezug zur Istanbul-Konvention
Als die Europäische Kommission am 8. März 2022 den Vorschlag für ein einheitliches EU-Gesetz vorlegte, ging es ihr auch darum, die Ziele der 2018 in Kraft getretenen Istanbuler Konvention zu erreichen. Die Istanbuler Konvention ist ein Abkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, welches die meisten EU-Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Am 1. Juni 2023 ist auch die EU als Ganzes dem Abkommen beigetreten.
Die Istanbul-Konvention sieht unter anderem vor, dass das nicht einverständliche, sexuell bestimmte vaginale, anale oder orale Eindringen in den Körper unter Strafe gestellt werden muss. In ihrem Gesetzesvorschlag aus dem Jahr 2022 schlug die Kommission in Artikel 5 einen Vergewaltigungsbegriff vor, der auf die „nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlung an einer Frau" abstellt. Das hätte wohl die Einführung des "Nur-Ja-heißt-Ja"-Prinzips in der ganzen EU bedeuten können.
Große Staaten gegen europaweite Regelung zu Vergewaltigung
Doch schon in einer Stellungnahme des Rates der EU aus dem Mai 2023 tauchte dieser Artikel 5 nicht mehr auf. Auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens hatte sich der Rat entschlossen, diesen zu streichen.
"Der juristische Dienst des Rates und viele andere Mitgliedstaaten sind zu dem Ergebnis gekommen, dass für diese strafrechtliche Vorschrift im europäischen Primärrecht keine ausreichende Rechtsgrundlage vorliegt," sagte der deutsche Justizminister Marco Buschmann vor rund zwei Wochen bei einem informellen Treffen in Brüssel. Nach dieser Lesart besäße die EU gar nicht die Kompetenz dazu, eine juristische Vereinheitlichung einzuleiten. Auch andere Staaten, wie etwa Frankreich und Ungarn vertreten laut AFP diese Position.
Allerdings sind sich die Mitgliedstaaten untereinander auch darüber nicht einig. Laut Berichterstatterin Fitzgerald seien insgesamt 13 der 27 Staaten dafür gewesen, den konsensbasierten Ansatz europaweit einzuführen.
Kritik an Deutschland und Frankreich
Die ablehnende Haltung der anderen Staaten führte zu vehementer Kritik von Frauen und Frauenrechtlerinnen in ganz Europa. In Deutschland hatten über 100 prominente Frauen den deutschen Justizminister dazu aufgerufen, seine Position zu ändern. Die "European Women's Lobby" bedauere zutiefst die "empörende Entscheidung Frankreichs und Deutschlands, Artikel 5 [...] zu streichen," teilt der Dachverband auf seiner Webseite mit.
Weitere Bestimmungen der neuen Richtlinie zum Schutz von Frauen vor Gewalt sehen Regeln gegen Genitalverstümmelung und Zwangsehen vor. Außerdem soll Cyber-Gewalt, wie etwa das ungewollte Teilen intimer Fotos, das unaufgeforderte Zusenden anstößiger Bilder (Cyberflashing), sowie das Cyberstalking unter Strafe gestellt werden. Die Einigung muss formell noch von Rat und Parlament beschlossen werden. Im Anschluss haben die EU-Staaten drei Jahre Zeit, die Regeln in nationales Recht umzusetzen.