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EU nimmt Verschlüsselung ins Visier

Bernd Riegert29. Januar 2015

EU-Innenminister wollen nach den Terroranschlägen in Paris die Zusammenarbeit der Geheimdienste in Europa stärken. Ist dazu das Sammeln neuer Daten und die Überwachung des Internets nötig? Bernd Riegert aus Riga.

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Polizisten vor der Nationalbibliothek in Riga (Foto: DW)
Erhöhte Sicherheit: Polizei vor dem Tagungsgebäude in der EU-Innenminister in RigaBild: DW/B. Riegert

Drei Wochen nach den Anschlägen auf die Mitarbeiter des Satire-Magazins "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt in Paris beraten die Innenminister der Europäischen Union erneut über eine Verbesserung der Terrorabwehr in Europa. Viele Maßnahmen, wie eine umfangreiche Sammlung von Passagierdaten, oder eine Verstärkung der Grenzkontrollen waren auch schon vor den jüngsten Anschlägen in der Diskussion. Wirklich neu ist nur die Debatte um eine schärfere Überwachung des Internets und die Ver- und Entschlüsselung von Kommunikationsdaten im Netz.

Die Innenministerin von Österreich machte beim informellen Teffen mit ihren 27 Ressort-Kollegen in Riga keinen Hehl daraus, dass sie die Ausweitung der Datensammlung für eine gute Sache hält. "Fakt ist, dass sowohl die Fluggast-Daten-Speicherung als auch die Vorratsdatenspeicherung natürlich helfen können, künftige Anschläge zu verhindern. Durch solche Daten kann man auch Spuren sichern, Hintermänner ermitteln und Netzwerke zerschlagen", sagte Johanna Mikl-Leitner. Die große Mehrheit der Innenminister spricht sich unter dem Eindruck der wachsenden islamistischen Terror-Gefahr für eine vorsorgliche Speicherung und Auswertung von Fluggast-Daten-Speicherung aus.

Datensammlung umstritten

Der Europäische Gerichtshof hatte aber ein weiter reichendes Gesetz zur Speicherung von Daten ohne konkreten Verdacht oder Anlass aufgehoben, auch in Deutschland ist die sogenannte "Vorratsdatenspeicherung" in der Regierungskoalition umstritten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will aber zumindest die Speicherung von Fluggast-Daten auf europäischer Ebene durchsetzen.

Thomas de Maizière in Riga, Lettland (Foto: DW)
De Maizière: Fluggast-Daten speichernBild: DW/B. Riegert

"Das Problem ist, dass wir nicht von vorneherein wissen, wer mutmaßlicher Terrorist ist. Es kommt ja darauf an, Netzwerke aufzuklären, Finanzierungswege und Strukturen aufzuklären", sagte de Maizière in Riga. "Wir haben ein solches Fluggast-Daten-Abkommen mit den USA. Ich muss einmal sagen, wenn wir es erlauben, Daten von Europäern den Amerikanern zu geben und uns dazu vertraglich verpflichtet haben, dann finde ich es eigentlich ganz normal, dass wir solche Daten auch zwischen Europäern austauschen." Das Europäische Parlament hat ein entsprechendes Abkommen für Europa aus datenschutzrechtlichen Bedenken bislang verhindert.

Nach den Anschlägen von Paris, bei denen 17 Menschen ermordet wurden, kommt allerdings Bewegung in die Debatte. Die konservativen Fraktionen wollen einer Regelung unter Bedingungen zustimmen. Der Innenexperte der Grünen, Jan Philipp Albrecht, lehnt das Sammeln zusätzlicher Daten aber ab. Es sei ermittlungstechnich einfach überflüssig, so Albrecht im Europäischen Parlament in Brüssel. "Schon vor den Anschlägen von Paris war es möglich zu wissen, wer in welchem Flugzeug sitzt. Wir haben die Vorab-Informationen über Buchungen. Es ist alles da, wir können es wissen. Bekannten Verdächtigen können wir bereits folgen. Warum konzentrieren wir uns nicht darauf? Warum konzentrieren wir uns nicht auf die wahren Risiken?", fragte Jan Philipp Albrecht.

Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten vor der Nationalbibliothek in Riga (Foto: DW)
Weitgehende Einigkeit in Riga: Besser austauschenBild: DW/B. Riegert

Verschlüsselung im Internet als neue Bedrohung?

Der britische Premierminister David Cameron hatte wenige Tage nach den jüngsten Terroranschlägen gefordert, die Verschlüsselung von Kommunikation im Internet notfalls zu verbieten. Es könne nicht sein, dass in demokratischen Rechtsstaaten trotz richterlichen Beschlusses Geheimdienste die Kommunikation von Verdächtigen nicht mitlesen könnten, so Cameron. Der Beauftragte der Europäischen Union für die Terrorabwehr, Gilles de Kerchove, findet den Vorschlag Camerons im Prinzip richtig. Auch de Kerchove will die Entschlüssung von E-Mails und Chats ermöglichen. "Wenn wir in unseren Länder oft mit einen Durchsuchungsbeschluss eines Richters, das Recht haben, Kommunikation abzufangen und auszuwerten, macht es die Technik immer schwieriger, das auch zu machen. Wir können also trotz legaler Mittel, die Kommunikation zwischen Kriminellen nicht aufklären. Das ist doch der Punkt: Wollen wir das wirklich?"

Technisch ist die Entschlüsselung allerdings nicht so einfach. Anbieter wie "What's app" oder "Apple" bieten ihren Kunden speziell verschlüsselte Dienste an, die seit den Enthüllungen über die Überwachungsmethoden der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) verstärkt nachgefragt werden. Umstritten ist unter Fachleuten, ob Verschlüsselung im Netz in Europa tatsächlich verboten werden könnte, zumal die Anbieter oft nicht in Europa, sondern in den USA ihren Sitz haben. Der Anti-Terror-Beauftragte der EU, Gilles de Kerchove, wehrte sich in Riga gegen den Vorwurf, er wolle eine flächendeckende Überwachung vorantreiben. "Ich bin zuversichtlich, dass wir keinen 'Big Brother Staat' schaffen. Wir haben viele juristische Vorsichtsmaßnahmen eingebaut. Wir sammeln Daten in angemessenem Umfang mit zahlreichen Sicherungsmaßnahmen. Die Debatte ist eigentlich falsch."

De Maizière: Propaganda gegen Radikalisierung

Bundesinnenminister Thomas de Maizière setzt sich dafür ein, mit den großen Internet-Konzernen freiwillige Vereinbarungen zur Zusammenarbeit anzustreben. Gesetzgebung wäre langwierig und schwierig, weil es viele juristische Hürden geben würde, befürchtet de Maizère. Er hofft, dass es möglich ist, die Konzerne wie Google dazu zu bewegen, islamistische Propaganda und "brutale, widerwärtige und Hass schürende" Videos aus Diensten wie "Youtube" zu entfernen.

Zerstörung von Kulturgütern (Screenshot: IS- Propagandavideo)
Propaganda-Video von "IS" vom Oktober 2014Bild: Screenshot IS-Propagandavideo

Eine "rechtliche Handhabe" sei schwierig, gesteht der Minister. Auch islamistische Propaganda, die zur Radiakalisierung von Jugendlichen in Europa führen kann, ist durch das Recht auf freie Meinungsäußerung unter Umständen geschützt. Man müsse einen Gegenstrategie entwickeln und mehr Aufklärung ins Netz stellen, fordert Thomas de Maizière: "Dazu gehört, dass wir Aussteiger ermutigen über Erfahrungen zu berichten und was dort wirklich geschieht. Dazu gehört, dass wir attraktive Programme machen und die Propaganda nicht den Dschihadisten überlassen."

EUROPOL mehr Kompetenzen geben?

Die Polizeibehörden der 28 EU-Staaten haben auch untereinander noch einiges zu regeln, glaubt die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Die Zusammenarbeit mit der europäischen Polizeibehörde EUROPOL in Den Haag sei zu verbessern. "Wenn es um den Informationsaustausch geht, haben wir schon noch einiges an Handlungsbedarf. Es ist wichtig, dass wir EUROPOL stärken und dass EUROPOL zu einer richtigen Plattform für den Kampf gegen den Terrorismus wird. Es geht darum, dass alle Mitgliedsstaaten ihre Informationen weitermelden, damit es möglich ist, die Reiserouten der 'Foreign Fighter' zu erkennen", sagte Mikl-Leitner in Riga. Mehrere Tausend Europäer sollen als ausländische Söldner für die Terrororganisation "Islamischer Staat" in Irak und Syrien kämpfen. Zwei der Attentäter von Paris waren vermutlich im Jemen geschult worden.

Gilles de Kerchove in Riga Lettland (Foto: DW)
De Kerchove: EUROPOL ausbauenBild: DW/B. Riegert

EUROPOL führt die Daten der 28 Mitgliedsstaaten zusammen und koordiniert das Vorgehen, eigene Ermittlungsbefugnisse hat EUROPOL allerdings nicht. EUROPOL sollte auch das Internet und die Verbreitung von islamistischer Propaganda besser überwachen, regte der Anti-Terrorbeauftragte der EU, Gilles de Kerchove an. "Das wäre ein wirklicher Fortschritt", so de Kerchove.

Seit einigen Jahren gibt es bereits eine Art Kontaktstelle für die europäischen Geheimdienste in Brüssel, wo Ermittlungsergebnisse und Risikoanalysen ausgetauscht werden können. Die Daten, die dort erhoben werden, sollten mit weiteren Erkenntnissen der Zollbehörden oder der Grenzschutzbeamten bei EUROPOL in Den Haag zusammengeführt werden.

Die Innenminister der EU sind dazu im Prinzip bereit, allerdings sehen die EU-Verträge bislang vor, dass für die Geheimdienste allein die Nationalstaaten zuständig sind. Eine Pflicht zur Zusammenarbeit besteht nicht. Deshalb fordert der liberale Europa-Abgeordnete Guy Verhofstadt eine engere Verzahnung und mehr Kompetenzen für die EU. "Wir müssen eine Art europäischen Geheimdienst schaffen. Wir müssen Daten austauschen und gemeinsam die Risiken analysieren", sagte Guy Verhofstadt im Europäischen Parlament.