EU will irreguläre Migration weiter eindämmen
18. Oktober 2024Eine "strategische Debatte" über die Migrationspolitik haben die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen geführt. So steht es in der am Abend veröffentlichten Abschlusserklärung des Gipfeltreffens in Brüssel. Die Auseinandersetzung um eine Verschärfung der Asyl- und Abschiebungspolitik dauerte viele Stunden, beschlossen wurde nichts Konkretes. "Der Europäische Rat wird sich wieder mit dem Thema beschäftigten", lautet der letzte Satz in der Erklärung zur Migration. Dabei sei das Thema eigentlich dringend zu behandeln, meinte der Bundeskanzler von Österreich, Karl Nehammer.
17 der 27 Regierungen in der EU hatten schon im Mai eine Verschärfung der Migrationspolitik verlangt. Nach den Europawahlen und Wahlen in einigen Staaten, in denen rechtspopulistische bis rechtsradikale Parteien erfolgreich waren, stehe der Ruf der Demokratie auf dem Spiel, warnte Nehammer. Die EU müsse in der Migrationspolitik "zeigen, dass die Ordnungsmacht der Demokratie funktioniert." Viele Menschen in der EU seien der Ansicht, dass es zu viele Migranten gebe, die sich ohne Anspruch auf Asyl oder Flüchtlingsstatus, in der EU aufhielten. In Österreich war die in Teilen rechtsextreme "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) zur stärksten Kraft im Parlament gewählt worden. Kanzler Nehammer ist Christdemokrat und versucht eine Regierungskoalition gegen die FPÖ zu bilden.
Weniger Ankünfte sind das Ziel
Einig sind sich die meisten Regierungen der EU, dass die Zahl der Ankünfte weiter sinken müsse, mehr ausreisepflichtige Menschen in Transit- und Herkunftsländer zurückgeführt werden müssten. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stimmt diesen Zielen zu und lobt die verstärkten Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen, die allesamt Binnengrenzen innerhalb der EU sind, als erfolgreiches Rezept. Luxemburgs Premierminister Luc Frieden kritisiert diese Grenzkontrollen, weil sie eigentlich absolute Ausnahmen sein sollten. Frieden hat aber Verständnis für die deutschen Schritt, solange die Außengrenzen der EU nicht richtig geschützt seien und zu viele unerlaubte Einreisen möglich seien.
Gegenüber dem Vorjahr sind die unerlaubten Einreisen in die EU in diesem Jahr nach Angaben der Grenzschutzagentur Frontex um rund 42 Prozent auf 144 000 gesunken. Das sei ein Erfolg der Migrationspolitik. Das reiche aber nicht auch, meint Bundeskanzler Olaf Scholz. "Wir müssen Schutz gewähren, denen, die Schutz brauchen. Aber es kann nicht jeder kommen. Wir müssen uns nach unseren Regeln aussuchen, wer kommen kann", fasst Scholz seinen Ansatz zusammen.
Schnellere Reformen
Die Bundesregierung und 16 weitere Mitgliedsstaaten fordern eine schnellere Umsetzung der vereinbarten Reformen der Asylverfahren in der EU. Die sollen, so hatten es die Mitgliedsstaaten im Frühjahr vereinbart, bis Mitte 2026 in Kraft treten. Nun soll es schneller gehen. Ob Asylverfahren für Bewerber mit wenig Aussichten direkt an den Außengrenzen schneller kommen können, als geplant ist aber unklar. Italien und Griechenland müssten dazu Lager mit bis zu 30.000 Plätzen an ihren EU-Außengrenzen einrichten. Ungarn lehnt den gesamten Migrationspakt der EU ab und will auf keinen Fall Asylbewerber aus den Staaten der ersten Einreise, also hauptsächlich Griechenland, Italien und Spanien, aufnehmen.
Verfahren außerhalb der EU?
Die neue rechtspopulistische Regierung der Niederlande möchte die Asylverfahren am liebsten ganz außerhalb der EU stattfinden lassen. Ministerpräsident Dick Schoof brachte das afrikanische Land Uganda als potenzielles Aufnahmeland für Asylbewerber aus den Niederlanden ins Spiel. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte "innovative Überlegungen" und Abschiebezentren in einem Brief an die Gipfelteilnehmerinnen und -teilnehmer als Möglichkeit aufgezeigt. Der Vorschlag ist allerdings nicht neu.
Schon 2018 hatte die EU-Kommission auf Anregung Österreichs sogenannte "Ausschiffungsplattformen" für schiffbrüchige Flüchtlinge am Mittelmeer vorgeschlagen. Über ein Konzept-Papier sind die Überlegungen nicht hinausgekommen, weil sich kein Land fand, das diese geschlossenen Lager einrichten wollte. Das ehemalige EU-Mitglied Großbritannien hatte vergeblich versucht, ein Asylzentrum in Ruanda einzurichten und auch Menschen, die Anspruch auf Asyl hätten dort dauerhaft unterzubringen. Dieses Ruanda-Modell ist an rechtlichen Hürden gescheitert und wurde von der Labour-Regierung in London auf Eis gelegt. "Diese Idee mit dem Ruanda-Modell war ziemlich dämlich", mokierte sich der irische Premierminister Simon Harris in Brüssel. Es sei auf keinen Fall Vorbild für eine EU-Asylpolitik.
Nachahmer könnte ein ausgelagertes Asylverfahren finden, dass die rechtsextreme italienische Ministerpräsidenten Giorgia Meloni jetzt im EU-Bewerberland Albanien einrichten ließ. Meloni lässt in einem geschlossenen Lager über Asylanträge von Bootsflüchtlingen nach italienischem Recht entscheiden. Anders als beim Ruanda-Modell erhalten erfolgreiche Asylbewerber eine Einreisegenehmigung für Italien. Abgelehnte Asylbewerber sollen direkt aus Albanien abgeschoben werden. Gelingt dies nicht, werden auch diese Menschen von Albanien nach Italien gebracht. Am Rande des EU-Gipfels lud Giorgia Meloni Kolleginnen und Kollegen zu einer Präsentation ihres Projekts ein. Dänemark, die Niederlande und Tschechien interessieren sich für das Albanien-Modell. Die 16 Menschen sind in der italienischen Außenstelle in Albanien angekommen. Maximal könnten dort 3000 untergebracht werden.
Scholz: Tropfen sind keine Lösung
Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte beim EU-Gipfel die Auslagerung von Asylverfahren und hochfliegende Pläne für Albanien, Ruanda oder Uganda ab. "Klar ist, dass Konzepte, die kleine Tropfen darstellen, für ein großes Land wie Deutschland keine Lösung sind", sagte Scholz und wies darauf hin, dass Deutschland im letzten Jahr 300.000 Asylanträge verzeichnet hat. Der Kanzler setzt eher auf mehr direkte Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Er begrüßt, wie viele andere Staats- und Regierungschefs auch, die Absicht der EU-Kommission verschärfte Regeln für die Rückführung und Abschiebung von Menschen, die keine Aufenthaltsberechtigung haben oder bekommen werden, zu erarbeiten.
"Wenn jetzt das gemeinsame Asylsystem schneller umgesetzt wird, dann hilft das schon", sagte Olaf Scholz. Alle Staaten müssten die Regeln beachten, die es bereits gebe. Gemeint ist damit auch, dass Ersteinreise-Länder wie Griechenland und Spanien die Asylsuchenden wirklich registrieren und sich um deren Asylverfahren kümmern. Heute reisen viele Asylsuchende einfach richtig nördliche EU weiter. "Wenn alle die regeln beachten, dann wären wir schon weiter", so der Kanzler. Man brauche bessere Grenzkontrollen an den Außengrenzen der EU, die auch wirklich funktionieren müssten. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis wies die Kritik zurück. Griechenland tue alles, was möglich sei und setze die europäischen Regeln strikter durch als in den vergangenen Jahren.
Opt-outs werden nicht hingenommen
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte vor dem Gipfel für Aufregung gesorgt, weil er ankündigte, das Asylrecht zeitweise ganz aussetzen zu wollen. Das wäre höchstwahrscheinlich eine Verletzung europäischen und internationalen Rechts. Tusk relativierte seine Ankündigung in Brüssel ein wenig, in dem er klarstellte, dass es nur Zurückweisungen von gewaltbereiten Asylsuchenden geben solle, falls Russland und Belarus diese massenhaft an die Grenze schaffen sollten. In diesem Jahr waren an der polnischen Ostgrenze rund 28000 illegale Einreiseversuche registriert worden. Ein Abweichen von der gemeinsamen EU-Asylpolitik, sogenannte Opt-outs wie sie die Niederlande und Ungarn verlangt haben, sei nicht vorgesehen, sagte Bundeskanzler Scholz nach den Beratungen.
Der EU-Gipfel wurde um einen Tag verkürzt, weil am Freitag US-Präsident Joe Biden zu einem Besuch nach Deutschland kommt. An die Kürze könnte man sich gewöhnen, scherzte Bundeskanzler Scholz in seiner Pressekonferenz. Es sei ein kurzer, aber erfreulicher Gipfel gewesen. EU-Treffen sind eigentlich wegen ihrer quälenden Nachtsitzungen berüchtigt.