Europarat: Deutschland muss mehr tun für Menschenrechte
19. März 2024Fünf Tage war sie Ende vergangenen Jahres in Deutschland, um sich ein Bild von der Lage der Menschenrechte zu machen. Am Dienstag hat die Menschenrechtskommissarin des Europarates, der Straßburger Institution zum Schutz der Menschenrechte, Dunja Mijatovic nun ihren Bericht dazu vorgelegt. Und sie sieht in einigen Bereichen Handlungsbedarf.
Soziale Rechte, Armut und Wohnungsnot
Zwar habe die deutsche Regierung begrüßenswerte Schritte unternommen, das Sozialsystem zugänglicher zu machen, doch seien weitere Anstrengungen nötig, findet Mijatovic. Insbesondere kritisiert sie, dass die hohe Armut im Vergleich zum Wohlstand des Landes unverhältnismäßig sei. Von Armut betroffen seien insbesondere Kinder, ältere Menschen sowie Menschen mit Behinderung. Mijatovic ruft die staatlichen Akteure zu mehr Zusammenarbeit auf, und mahnt, dass Anspruchsberechtigte früher über ihre Rechte informiert werden müssten. Auch die wachsende Anzahl Obdachloser mache ihr Sorgen.
Rechte von Kindern und Menschen mit Behinderung
Deutschland wolle zwar Kinderrechte stärken, doch gebe es in der Praxis wenig Fortschritte. So wüssten Behörden nicht, dass sie das Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Entscheidung stellen müssten, beklagt der Bericht. Außerdem rügt die Menschenrechtskommissarin das Fehlen einer zentralen Behörde, die Kinderrechte auf allen Ebenen koordinieren und fördern könne und fordert mehr unabhängige Beschwerdeeinrichtungen.
Auch für die Rechte von Menschen mit Behinderung gebe es wenig Fortschritt, befindet Mijatovic in ihrem Bericht. Die Versorgungsstrukturen seien zwar finanziell gut ausgestattet, doch seien sie nicht inklusiv. Es werde weitherhin der Ansatz der "geschützten Räume" verfolgt, wie etwa Sonderschulen, Behindertenwerkstätten und spezielle Wohneinrichtungen. Die Verwirklichung eines unabhängigen Lebens inmitten der Gemeinschaft sei dadurch erschwert. Mijatovic beklagt mangelndes Engagement sowie fehlenden Willen, an bestehenden Strukturen etwas zu ändern und ruft Deutschland zu Investitionen in integrative Strukturen und Inklusion auf.
Schutz vor Diskriminierung
Trotz einschlägiger Zahlen und trotz Expertenberichten – so hat Deutschland etwa bei einer Untersuchung der EU-Grundrechteagentur als schlechtestes von 13 EU-Ländern bei der Diskriminierung von Menschen afrikanischer Herkunft abgeschlossen – meint Mijatovic, dass grundlegende Gleichstellungs- und Nichtdiskriminierungsstandards in Deutschland nach wie vor sehr wenig bekannt seien. "Besondere Aufmerksamkeit sollte der wachsenden Fremdenfeindlichkeit und dem Rassismus gewidmet werden, die das Potenzial haben, den sozialen Zusammenhalt zu untergraben und demokratische Institutionen zu destabilisieren", sagte Mijatovic.
Sie stellt insbesondere fest, dass ihre Gesprächspartner in Deutschland Sorge vor dem Erstarken rechtsextremer Strömungen in Deutschland hätten. Obwohl das allgemeine Gleichstellungsgesetz gemeinhin als unzureichend betrachtet werde, bestehe für dessen Nachbesserung noch kein Zeitplan, moniert der Bericht.
Was sagt Deutschland dazu?
Dieser Bericht ist rechtlich nicht bindend, löst jedoch einen Dialog zwischen der Bundesregierung Deutschland und der Menschenrechtskommissarin des Europarates aus. Die Bundesregierung hat den Bericht grundsätzlich begrüßt und erkennt in ihm einen wichtigen Beitrag, um über den Stand der Menschenrechte in Deutschland zu reflektieren.
In einigen Bereichen jedoch möchte Deutschland die Kritik anscheinend nicht auf sich sitzen lassen. Beispielweise führt die Bundesregierung aus, entspreche der Bericht über die sozialen Rechte "in vielen Teilen nicht der politischen Realität". Dies gelte auch für die Ausführungen über Menschen mit Behinderung. Die Aussagen zur Armut hält die Bundesregierung für nur eingeschränkt nachvollziehbar.
Eine zentralen Anlaufstelle für Kinderrechte hält die Bundesregierung indes für nicht notwendig und weist darauf hin, dass es einen erneuten Anlauf geben werde, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Zudem teile die Bundesregierung nicht die Auffassung, dass es keinerlei Fortschritt in der Umsetzung internationaler Standards zur Rassismusbekämpfung gebe, räumt aber ein, dass der "Kampf gegen Rassismus" eine "stetige und langfristige Aufgabe" sei.