Russlands umstrittene Rückkehr
26. Juni 2019Russland hat sein Stimmrecht in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) zurückerhalten. Für die entsprechende Resolution stimmte am Mittwochabend eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten dieses Organs.
Im April 2014 - nach der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim - hatte die russische Delegation ihr Stimmrecht verloren, auch einige Ämter des Europarats durften nicht mehr von Russen bekleidet werden. Als Reaktion auf den Druck aus Straßburg drehte Moskau dem Europarat den Geldhahn zu: Seit Juni 2017 setzte Russland seine Beitragszahlungen aus. Ein empfindlicher Schlag, denn bis dahin hatte das Land rund neun Prozent zum Europarat-Etat beigesteuert.
Nun gibt es einen Kompromiss: Russland zahlt die Beiträge nach und erhält sein Stimmrecht und andere Befugnisse in vollem Umfang zurück. Im Text der entsprechenden Resolution ist die Krim-Problematik mit keinem Wort erwähnt.
Menschenrechtsgerichtshof als letzte Hoffnung einfacher Russen
Die Entscheidung des Europarats ist sehr umstritten und sorgte für einen handfesten Eklat. Die ukrainische Delegation verließ aus Protest den Saal und droht nun, ihre Mitarbeit an der Parlamentarischen Versammlung auszusetzen. Kritik gab es auch von anderen Seiten, etwa von den baltischen Staaten. Von einem "schweren Schlag für die Glaubwürdigkeit des Europarats" sprach Litauens Außenminister Linas Linkevicius. Und Estlands Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid twitterte: "Keiner der Gründe, weshalb Russland das Stimmrecht entzogen wurde, ist verschwunden."
Paradoxerweise können viele russische Menschenrechtler und Putin-Kritiker mit dem Kompromiss leben. Sie sagen, die Alternativen zu dieser Entscheidung seien allesamt schlechter. Hätte es diesen Sommer keine Einigung gegeben, müsste sich der Europarat mit dem kompletten Rauswurf Russlands aus der Organisation beschäftigen. Denn die Regeln besagen, nach zwei aufeinanderfolgenden Jahren ohne Mitgliedsbeiträge darf ein Mitglied ausgeschlossen werden. "Wenn Russland aus dem Europarat austreten würde, wäre das zweifelsohne ein herber Schlag für die russischen Bürger", sagte Tatjana Lokschina, Programmdirektorin von Human Rights Watch in Russland, im DW-Interview. Denn dann verließe das Land die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). "Tausende Russen, die sich kein Recht in ihrer Heimat verschaffen können, reichen hier ihre Klagen ein", so Lokschina.
Heute sei der EGMR "das einzige funktionierende Gericht in Russland, wenn man das so sagen darf", erklärte Soja Swetowa, eine bekannte russische Menschenrechtlerin und Journalistin, gegenüber der DW. EGMR-Urteile seien eine kleine Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Ein Austritt, ist Soja Swetowa überzeugt, würde Russland stark verändern. "Faktisch wären wir wieder zurückgeworfen in alte Sowjet-Zeiten. Es fehlen nur der Eiserne Vorhang und die Todesstrafe", so Swetowa.
Teurerer Kompromiss für den Europarat
Auch in Straßburg war Russlands Verbleib in der Gerichtsbarkeit des EGMR ein wichtiges Argument für die Unterstützer der Resolution: Schließlich kamen im Jahr 2018 die meisten Klagen, die vor dem EGMR vorgebracht wurden, aus Russland. Doch der Kreml, beklagt Kirill Korotejew von der russischen Menschenrechtsorganisation "Agora", verfolge eine "rationale Strategie" der gezielten Schwächung des EGMR. Das russische Verfassungsgericht befand im Jahr 2017, dass Russland Urteile des EGMR nur akzeptieren solle, wenn diese nicht gegen die russische Verfassung verstoßen. So hat Moskau etwa ein Straßburger Urteil ignoriert, nach dem Russland Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro an die früheren Eigentümer des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos auszahlen müsste. Eine Entschädigung aus Haushaltsmitteln widerspreche den Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit, so die Begründung des Gerichts.
Unter diesen Voraussetzungen, so Korotejew, sei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Russland keine wirkliche Instanz zur Durchsetzung von Menschenrechten, sondern "mehr eine Art Buchhalter", der zwar Fälle von Menschenrechtsverletzungen anprangern, den Geschädigten aber kaum zu ihrem Recht verhelfen könne.
Zu den Gegnern des Kompromisses gehört auch die renommierte russische Menschenrechtsorganisation "Memorial". "Änderungen an den Sanktionen soll es geben, wenn es auch Änderungen an der Situation auf der Krim gibt. Doch die russischen Behörden sind den Forderungen des Europarates keinen Schritt entgegengekommen", erklärt Jan Ratschinskij, der Vorstandsvorsitzende von "Memorial", im DW-Interview. "Weshalb sollte man die Sanktionen dann jetzt aufheben?"