Europas Green Deal und die Eisenbahn
6. Februar 2020Nachtzüge erleben gerade ein großes Comeback. In etlichen Ländern Europas setzt man nun wieder auf das nostalgische Reisen im Schlaf. Nach 16 Jahren Unterbrechung gibt es zum Beispiel wieder eine Nachtverbindung zwischen Wien und Brüssel. Der erste Nachtzug verließ die österreichische Hauptstadt Mitte Januar.
Die österreichische Eisenbahngesellschaft ÖBB betreibt die Strecke, und bis Ende des Jahres will sie Wien per Nachtzug auch mit Amsterdam verbinden. Schon seit einiger Zeit fährt der ÖBB-Nightjet auch zwischen Berlin und Zürich. Das staatseigene Unternehmen ist nicht die einzige Eisenbahngesellschaft, die in der neuen Vorliebe der Europäer und in der wachsenden Aufmerksamkeit für die Umwelt eine Chance sieht.
Im Jahr 2017 lag die Umweltbelastung durch den Verkehr in der EU 28 Prozent über dem Niveau von 1990. Mit dem sogenannten European Green Deal, der jetzt bei der Kommission in der Diskussion ist, soll die Tendenz umgekehrt werden. "Durch den Green Deal wollen wir dazu kommen, dass der Transportsektor in Europa Teil unserer Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel wird und uns dabei hilft", sagte Adina-Ioana Valean, die neue EU-Verkehrskommissarin, der DW. "Dazu sollten alle Verkehrsmittel beitragen, aber ich denke, der Eisenbahn kommt eine entscheidende Rolle zu, weil wir es hier mit einer wirklich nachhaltigen Transportform für Menschen und Güter zu tun haben."
Beim Verkehr ist der Transport auf der Straße in Europa der größte CO2-Verursacher (73 Prozent), gefolgt vom Luftverkehr (13) und der Seefahrt (13). Die Bahn mit ihrem hohen Elektrifizierungsgrad liegt mit 1,6 Prozent auf Platz vier.
Laut Valean gelten die laufenden EU-Programme zur Förderung der Eisenbahn auch nicht als Zankapfel innerhalb der Union. "Wir freuen uns auf ein gutes Verkehrsbudget im Rahmen der kommenden mehrjährigen Finanzplanung."
Große Unterschiede
Allerdings verweist die Kommissarin beim Eisenbahn-Netz auf große Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedern. Weniger entwickelte Regionen sollten deshalb Mittel aus bestehenden Förderinstrumenten wie der Connecting Europe Facility und dem Kohäsionsfonds erhalten.
Das sind allerdings nicht die Schwerpunkte für die Kommissarin - jedenfalls derzeit nicht. "Wir müssen jetzt verstehen, wo es Engpässe in den Netzen gibt und wie viele Investitionen da nötig sind. Es ist also nicht die Zeit für neue Ziele; vorher brauchen wir die genaue Analyse." Zunächst würde das sogenannte Vierte Eisenbahnpaket umgesetzt, das den Markt liberalisieren und den Wettbewerb zugunsten der Reisenden erhöhen solle.
Mehr Wettbewerb
"Der Wettbewerb wird zunehmen", sagt auch Josef Doppelbauer, der Exekutivdirektor der Europäischen Eisenbahnunion (ERA), im Gespräch mit der DW, "vor allem nach dem Juni 2020, wenn die verbleibenden EU-Mitglieder die neuen Regeln übernehmen werden, die die ersten acht EU-Länder bereits seit Juni 2019 anwenden."
Doppelbauer nennt Beispiele: "Italiens Trenitalia hat bei ERA ein Sicherheitszertifikat und die Zulassung von Fahrzeugen beantragt, um auch in Frankreich aktiv werden zu können. Die französische SNCF und Trenitalia wollen ab Juni 2020 auf dem spanischen Markt einsteigen."
ERA hat zwei Aufgaben: Die Agentur soll die EU-Regeln für Kompatibilität und Sicherheit umsetzen. Seit Juni 2019 stellt sie aber auch sogenannte single safety certificates und Zulassungen für das rollende Material aus. "Das bedeutet, für Züge, die in mehreren Ländern unterwegs sind, reicht eine einzige Zulassung durch ERA."
Der ERA-Direktor sieht allerdings noch eine Menge Raum für Verbesserungen. "Noch muss etwa der erste Nachtzug von Wien nach Brüssel 30 Minuten in Aachen halten, weil es Probleme mit der Kompatibilität in der Technik gibt. Auch der Lokführer muss ausgetauscht werden, der muss nämlich Flämisch sprechen."
Man bekommt, wofür man investiert
Für Doppelbauer zeigen nationale Verbindungen wie die zwischen Barcelona und Madrid schon jetzt, dass es möglich ist, "weniger umweltfreundliche Inlandsflüge zu ersetzen, wenn man die Reisezeit und die Preise senkt."
Die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn im Vergleich zum Flugzeug hängt also ab von den Investitionen ins Schienennetz, und die liegen in der Kompetenz der einzelnen EU-Mitglieder. Während Länder wie Italien die Investitionen in die Bahn immer weiter zurückfahren, engagieren sich Ländern wie Deutschland stärker, obwohl dort die Fahrpreise bei der Bahn unlängst gesunken sind. So gab die Bundesregierung im letzten Monat Investitionsvorhaben über 86 Milliarden Euro bekannt, die in den kommenden zehn Jahren umgesetzt werden sollen.
"Das ist ein zusätzlicher Aufwand von 64 Euro pro Kopf im Jahr, und damit kommt Deutschland auf rund 140 Euro, was aber immer noch nicht Spitzenklasse ist, wenn man es mit den Pro-Kopf-Ausgaben für die Bahn in Österreich oder der Schweiz vergleicht", so Doppelbauer. Die Kundenzufriedenheit hänge aber weitgehend von der Höhe der Investitionen pro Kopf ab. Der ERA-Direktor verweist darauf, dass die Schweiz mit Bahnausgaben von 365 Euro pro Kopf in Sachen Zufriedenheit bei Bahnkunden 2018 auf Platz eins in Europa liege. "Österreich lag auf Platz zwei der Kundenzufriedenheit und auf Platz zwei der Ausgaben mit 218 Euro pro Kopf. In Deutschland lag diese Zahl da noch bei 77 Euro pro Jahr."
Herausforderung nachhaltiges Reisen
"Die Mehrzahl der Reisebüros bietet den Zug derzeit nicht an, um ein Urlaubsziel zu erreichen", sagt Libo Lochman, Exekutivdirektor der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen, der DW. "Aber wir fangen ja nicht ganz von Null an. Die Reisebüros bieten immerhin schon den Euro-Pass an, durch den Urlauber mit einem einzigen Ticket vier oder sieben Tage im Monat durch Europa reisen können."
Noch schwieriger ist es beim Güterverkehr. „Wir sehen eine Zunahme beim Personenverkehr, haben aber nicht die gleiche Entwicklung bei der Fracht.", so Lochman. "Im Moment geht der Anteil der Schiene am europäischen Güterverkehr zurück, 2018 ging es von 18 Prozent auf unter 17 Prozent", berichtet James Nix, Leiter Fracht bei Transport & Environment, einer Lobbygruppe für sauberen Gütertransport. Derzeit laufe der Löwenanteil des inländischen Frachtverkehrs über die Straße, so Nix, aber "sehr große Summen werden in den Schienentransport investiert". "Der Green Deal sieht vor, so viel Fracht wie möglich von der Straße auf die Schiene zu bringen. Dafür aber muss man die grenzüberschreitenden Schienennetze in Europa verbessern", so sieht es auch EU-Kommissarin Valean. Verbindungen und Kapazitäten, die verschiedene Systeme kombinieren, müssten verbessert, die Abläufe an Grenzen beschleunigt werden.
Alles in allem aber seien die Aussichten gar nicht so schlecht, weil jetzt kräftige Unterstützung nicht allein von Umweltschützern, sondern auch von der Industrie komme. "Die EU-Regulierung wird auch helfen, um für den Eisenbahnsektor einheitliche technische Standards zu definieren", sagte der Generaldirektor beim Internationalen Eisenbahnverband, Francois Davenne, der DW. Und er ist der Auffassung, dass der Green Deal Folgen für die Eisenbahn in vielen Regionen der Welt haben wird - nicht nur in Europa.